Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799.

Bild:
<< vorherige Seite

wannen sie wieder herabgekommen ist. Sie ist ohne Leidenschaft, und ihr klares Auge heißt auch die Leidenschaft schweigen. Wie ich hinaufgestiegen bin, um ihr nahe ins Antlitz zu schauen, kann ich nicht läugnen, es ist ein sanfter Schauer über mich gekommen, und meine Augen sind naß geworden.

Waller. Sie sind in Gefahr katholisch zu werden.

Louise. Wie dann und wann heidnisch. Es ist keine Gefahr dabey, wenn Raphael der Priester ist. Sagen Sie, Reinhold, ist nicht das ganze Bild wie ein Tempel gebaut? Die beyden Figuren, welche rechts und links knieen, machen mit dem Schwunge der mittleren eine recht architektonische Symmetrie.

Reinhold. Sie nehmen sich wirklich in einiger Entfernung wie zwey Dreyecke aus, die ein schmales Oval zwischen sich tragen. Sie sind vor der Jungfrau einander so nahe gegenüber, daß ihr Gewand sie eben zu berühren scheint. Die Köpfe stehen ungefähr der Mitte der Hauptgestalt gleich. Die drey Figuren zusammen bilden wieder ein größeres Dreyeck, welchem oben ein von beyden Seiten schräg weggezogener grüner Vorhang parallel läuft. Alle diese Verhältnisse werden durch die hart gegen einander abgeschnittnen Farben noch auffallender gemacht. Am härtesten steht das dunkelblaue Gewand der Madonna auf dem ganz weißen Grunde, der nur gegen seine äußere Granze zu, wo die Engelsköpfe der Glorie kaum sichtbar angedeutet sind, bläulicht wird; der schwere goldgewirkte Mantel des heiligen Sixtus und der graue Rock der Barbara, mit ihrer übrigen ziemlich bunten Tracht,

wannen sie wieder herabgekommen ist. Sie ist ohne Leidenschaft, und ihr klares Auge heißt auch die Leidenschaft schweigen. Wie ich hinaufgestiegen bin, um ihr nahe ins Antlitz zu schauen, kann ich nicht laͤugnen, es ist ein sanfter Schauer uͤber mich gekommen, und meine Augen sind naß geworden.

Waller. Sie sind in Gefahr katholisch zu werden.

Louise. Wie dann und wann heidnisch. Es ist keine Gefahr dabey, wenn Raphael der Priester ist. Sagen Sie, Reinhold, ist nicht das ganze Bild wie ein Tempel gebaut? Die beyden Figuren, welche rechts und links knieen, machen mit dem Schwunge der mittleren eine recht architektonische Symmetrie.

Reinhold. Sie nehmen sich wirklich in einiger Entfernung wie zwey Dreyecke aus, die ein schmales Oval zwischen sich tragen. Sie sind vor der Jungfrau einander so nahe gegenuͤber, daß ihr Gewand sie eben zu beruͤhren scheint. Die Koͤpfe stehen ungefaͤhr der Mitte der Hauptgestalt gleich. Die drey Figuren zusammen bilden wieder ein groͤßeres Dreyeck, welchem oben ein von beyden Seiten schraͤg weggezogener gruͤner Vorhang parallel laͤuft. Alle diese Verhaͤltnisse werden durch die hart gegen einander abgeschnittnen Farben noch auffallender gemacht. Am haͤrtesten steht das dunkelblaue Gewand der Madonna auf dem ganz weißen Grunde, der nur gegen seine aͤußere Granze zu, wo die Engelskoͤpfe der Glorie kaum sichtbar angedeutet sind, blaͤulicht wird; der schwere goldgewirkte Mantel des heiligen Sixtus und der graue Rock der Barbara, mit ihrer uͤbrigen ziemlich bunten Tracht,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0139" n="131"/>
wannen sie wieder herabgekommen ist. Sie ist ohne Leidenschaft, und ihr klares Auge heißt auch die Leidenschaft schweigen. Wie ich hinaufgestiegen bin, um ihr nahe ins Antlitz zu schauen, kann ich nicht la&#x0364;ugnen, es ist ein sanfter Schauer u&#x0364;ber mich gekommen, und meine Augen sind naß geworden.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#g">Waller</hi>. Sie sind in Gefahr katholisch zu werden.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#g">Louise</hi>. Wie dann und wann heidnisch. Es ist keine Gefahr dabey, wenn Raphael der Priester ist. Sagen Sie, Reinhold, ist nicht das ganze Bild wie ein Tempel gebaut? Die beyden Figuren, welche rechts und links knieen, machen mit dem Schwunge der mittleren eine recht architektonische Symmetrie.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#g">Reinhold</hi>. Sie nehmen sich wirklich in einiger Entfernung wie zwey Dreyecke aus, die ein schmales Oval zwischen sich tragen. Sie sind vor der Jungfrau einander so nahe gegenu&#x0364;ber, daß ihr Gewand sie eben zu beru&#x0364;hren scheint. Die Ko&#x0364;pfe stehen ungefa&#x0364;hr der Mitte der Hauptgestalt gleich. Die drey Figuren zusammen bilden wieder ein gro&#x0364;ßeres Dreyeck, welchem oben ein von beyden Seiten schra&#x0364;g weggezogener gru&#x0364;ner Vorhang parallel la&#x0364;uft. Alle diese Verha&#x0364;ltnisse werden durch die hart gegen einander abgeschnittnen Farben noch auffallender gemacht. Am ha&#x0364;rtesten steht das dunkelblaue Gewand der Madonna auf dem ganz weißen Grunde, der nur gegen seine a&#x0364;ußere Granze zu, wo die Engelsko&#x0364;pfe der Glorie kaum sichtbar angedeutet sind, bla&#x0364;ulicht wird; der schwere goldgewirkte Mantel des heiligen Sixtus und der graue Rock der Barbara, mit ihrer u&#x0364;brigen ziemlich bunten Tracht,
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[131/0139] wannen sie wieder herabgekommen ist. Sie ist ohne Leidenschaft, und ihr klares Auge heißt auch die Leidenschaft schweigen. Wie ich hinaufgestiegen bin, um ihr nahe ins Antlitz zu schauen, kann ich nicht laͤugnen, es ist ein sanfter Schauer uͤber mich gekommen, und meine Augen sind naß geworden. Waller. Sie sind in Gefahr katholisch zu werden. Louise. Wie dann und wann heidnisch. Es ist keine Gefahr dabey, wenn Raphael der Priester ist. Sagen Sie, Reinhold, ist nicht das ganze Bild wie ein Tempel gebaut? Die beyden Figuren, welche rechts und links knieen, machen mit dem Schwunge der mittleren eine recht architektonische Symmetrie. Reinhold. Sie nehmen sich wirklich in einiger Entfernung wie zwey Dreyecke aus, die ein schmales Oval zwischen sich tragen. Sie sind vor der Jungfrau einander so nahe gegenuͤber, daß ihr Gewand sie eben zu beruͤhren scheint. Die Koͤpfe stehen ungefaͤhr der Mitte der Hauptgestalt gleich. Die drey Figuren zusammen bilden wieder ein groͤßeres Dreyeck, welchem oben ein von beyden Seiten schraͤg weggezogener gruͤner Vorhang parallel laͤuft. Alle diese Verhaͤltnisse werden durch die hart gegen einander abgeschnittnen Farben noch auffallender gemacht. Am haͤrtesten steht das dunkelblaue Gewand der Madonna auf dem ganz weißen Grunde, der nur gegen seine aͤußere Granze zu, wo die Engelskoͤpfe der Glorie kaum sichtbar angedeutet sind, blaͤulicht wird; der schwere goldgewirkte Mantel des heiligen Sixtus und der graue Rock der Barbara, mit ihrer uͤbrigen ziemlich bunten Tracht,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1799
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1799/139
Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1799/139>, abgerufen am 28.11.2024.