Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799.Das ist die eine Seite der Sache: aber wenn man bedenkt, an was für Bücher und Dichtungen (wenn sie so heißen können) die Zeichner der Kupferstiche größtentheils gebunden sind, so wird man sie nicht nur entschuldigen, sondern finden, daß sie die traurigsten Aufgaben oft mit ungemeiner Geschicklichkeit ausgeführt. Menschenkenntniß, Psychologie und Moral waren die herrschenden und anerkannten Prinzipe, besonders des Romans. Neuerdings hat es verlauten wollen, die Poesie wäre eine schöne Kunst, und die Romane gehörten so zu sagen mit zur Poesie. Da sind nun manche Beurtheiler in Verlegenheit, die jene alte Losung des Lobspruches nur noch in den Bart hinzumurmeln wagen, und doch schlechterdings nicht wissen, was an einem Roman zu loben seyn kann, wenn es nicht die Menschenkenntniß, die Psychologie und die Moral ist. Auch giebt es noch viele edle Gemüther, die den unnützen Genuß des Schönen und Geistreichen entweder für sündlich halten, oder gar keinen Begriff davon haben. Was blieb also den Zeichnern übrig, als mit den Schriftstellern in ihrer eignen Gattung zu wetteifern? Und welche Wunder von Psychologie haben sie in den engsten Raum zusammengedrängt! Einem zollhohen Figürchen konnte man seine ganze Erziehung ansehen, alles was es im Leben gethan und gelitten hatte. Hier konnte man recht eigentlich sagen, daß die geheimsten Triebfedern der menschlichen Seele auf der Breite eines Haares schweben. Zweifelt noch jemand, daß die Tugend glücklich, das Laster aber höchst elend macht? Man hält ihnen ein Taschenbuch entgegen, worin der Kupferstecher die irdische Laufbahn Das ist die eine Seite der Sache: aber wenn man bedenkt, an was fuͤr Buͤcher und Dichtungen (wenn sie so heißen koͤnnen) die Zeichner der Kupferstiche groͤßtentheils gebunden sind, so wird man sie nicht nur entschuldigen, sondern finden, daß sie die traurigsten Aufgaben oft mit ungemeiner Geschicklichkeit ausgefuͤhrt. Menschenkenntniß, Psychologie und Moral waren die herrschenden und anerkannten Prinzipe, besonders des Romans. Neuerdings hat es verlauten wollen, die Poesie waͤre eine schoͤne Kunst, und die Romane gehoͤrten so zu sagen mit zur Poesie. Da sind nun manche Beurtheiler in Verlegenheit, die jene alte Losung des Lobspruches nur noch in den Bart hinzumurmeln wagen, und doch schlechterdings nicht wissen, was an einem Roman zu loben seyn kann, wenn es nicht die Menschenkenntniß, die Psychologie und die Moral ist. Auch giebt es noch viele edle Gemuͤther, die den unnuͤtzen Genuß des Schoͤnen und Geistreichen entweder fuͤr suͤndlich halten, oder gar keinen Begriff davon haben. Was blieb also den Zeichnern uͤbrig, als mit den Schriftstellern in ihrer eignen Gattung zu wetteifern? Und welche Wunder von Psychologie haben sie in den engsten Raum zusammengedraͤngt! Einem zollhohen Figuͤrchen konnte man seine ganze Erziehung ansehen, alles was es im Leben gethan und gelitten hatte. Hier konnte man recht eigentlich sagen, daß die geheimsten Triebfedern der menschlichen Seele auf der Breite eines Haares schweben. Zweifelt noch jemand, daß die Tugend gluͤcklich, das Laster aber hoͤchst elend macht? 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Auch giebt es noch viele edle Gemuͤther, die den unnuͤtzen Genuß des Schoͤnen und Geistreichen entweder fuͤr suͤndlich halten, oder gar keinen Begriff davon haben. Was blieb also den Zeichnern uͤbrig, als mit den Schriftstellern in ihrer eignen Gattung zu wetteifern? Und welche Wunder von Psychologie haben sie in den engsten Raum zusammengedraͤngt! Einem zollhohen Figuͤrchen konnte man seine ganze Erziehung ansehen, alles was es im Leben gethan und gelitten hatte. Hier konnte man recht eigentlich sagen, daß die geheimsten Triebfedern der menschlichen Seele auf der Breite eines Haares schweben. Zweifelt noch jemand, daß die Tugend gluͤcklich, das Laster aber hoͤchst elend macht? Man haͤlt ihnen ein Taschenbuch entgegen, worin der Kupferstecher die irdische Laufbahn </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [195/0205]
Das ist die eine Seite der Sache: aber wenn man bedenkt, an was fuͤr Buͤcher und Dichtungen (wenn sie so heißen koͤnnen) die Zeichner der Kupferstiche groͤßtentheils gebunden sind, so wird man sie nicht nur entschuldigen, sondern finden, daß sie die traurigsten Aufgaben oft mit ungemeiner Geschicklichkeit ausgefuͤhrt. Menschenkenntniß, Psychologie und Moral waren die herrschenden und anerkannten Prinzipe, besonders des Romans. Neuerdings hat es verlauten wollen, die Poesie waͤre eine schoͤne Kunst, und die Romane gehoͤrten so zu sagen mit zur Poesie. Da sind nun manche Beurtheiler in Verlegenheit, die jene alte Losung des Lobspruches nur noch in den Bart hinzumurmeln wagen, und doch schlechterdings nicht wissen, was an einem Roman zu loben seyn kann, wenn es nicht die Menschenkenntniß, die Psychologie und die Moral ist. Auch giebt es noch viele edle Gemuͤther, die den unnuͤtzen Genuß des Schoͤnen und Geistreichen entweder fuͤr suͤndlich halten, oder gar keinen Begriff davon haben. Was blieb also den Zeichnern uͤbrig, als mit den Schriftstellern in ihrer eignen Gattung zu wetteifern? Und welche Wunder von Psychologie haben sie in den engsten Raum zusammengedraͤngt! Einem zollhohen Figuͤrchen konnte man seine ganze Erziehung ansehen, alles was es im Leben gethan und gelitten hatte. Hier konnte man recht eigentlich sagen, daß die geheimsten Triebfedern der menschlichen Seele auf der Breite eines Haares schweben. Zweifelt noch jemand, daß die Tugend gluͤcklich, das Laster aber hoͤchst elend macht? Man haͤlt ihnen ein Taschenbuch entgegen, worin der Kupferstecher die irdische Laufbahn
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