Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799.der Denkart und Sprache gebildeter Menschen steht die Einbildungskraft dem Dichter, Vernünftigkeit dem sittlichen Menschen am nächsten. Verstand aber ist das, worauf es eigentlich ankommt, wenn von dem Geiste eines Menschen die Rede ist. Verstand ist das Vermögen der Gedanken. Ein Gedanke ist eine Vorstellung, die vollkommen für sich besteht, völlig ausgebildet ist, ganz, und innerhalb der Gränzen unendlich; das Göttlichste, was es im menschlichen Geiste giebt. Jn diesem Sinne ist Verstand nichts anders als die natürliche Philosophie selbst, und nicht viel weniger als das höchste Gut. Durch seine Allmacht wird der ganze Mensch innerlich heiter und klar. Er bildet alles was ihn umgiebt und was er berührt. Seine Empfindungen werden ihm zu wirklichen Begebenheiten, und alles Aeußerliche wird ihm unter der Hand zum Jnnerlichen. Auch die Widersprüche lösen sich in Harmonie auf; alles wird ihm bedeutend, er sieht alles recht und wahr, und die Natur, die Erde und das Leben stehen wieder in ihrer ursprünglichen Größe und Göttlichkeit freundlich vor ihm. Und unter diesem milden Aeußern schlummert denn doch die Kraft, in einem Augenblicke allem, was uns eben Glück scheint, auf immer zu entsagen. Gut also! Die Philosophie ist den Frauen unentbehrlich. Wäre es aber nicht am besten, sie trieben sie so, wie sie sie wirklich treiben, ganz natürlich, etwa wie der Gentilhomme des Moliere die Prosa? bloß durch Umgang mit sich selbst, und mit Freunden, die dasselbe wollen, und auch jenen allgemeinen Weltgeist der Denkart und Sprache gebildeter Menschen steht die Einbildungskraft dem Dichter, Vernuͤnftigkeit dem sittlichen Menschen am naͤchsten. Verstand aber ist das, worauf es eigentlich ankommt, wenn von dem Geiste eines Menschen die Rede ist. Verstand ist das Vermoͤgen der Gedanken. Ein Gedanke ist eine Vorstellung, die vollkommen fuͤr sich besteht, voͤllig ausgebildet ist, ganz, und innerhalb der Graͤnzen unendlich; das Goͤttlichste, was es im menschlichen Geiste giebt. Jn diesem Sinne ist Verstand nichts anders als die natuͤrliche Philosophie selbst, und nicht viel weniger als das hoͤchste Gut. Durch seine Allmacht wird der ganze Mensch innerlich heiter und klar. Er bildet alles was ihn umgiebt und was er beruͤhrt. Seine Empfindungen werden ihm zu wirklichen Begebenheiten, und alles Aeußerliche wird ihm unter der Hand zum Jnnerlichen. Auch die Widerspruͤche loͤsen sich in Harmonie auf; alles wird ihm bedeutend, er sieht alles recht und wahr, und die Natur, die Erde und das Leben stehen wieder in ihrer urspruͤnglichen Groͤße und Goͤttlichkeit freundlich vor ihm. Und unter diesem milden Aeußern schlummert denn doch die Kraft, in einem Augenblicke allem, was uns eben Gluͤck scheint, auf immer zu entsagen. Gut also! Die Philosophie ist den Frauen unentbehrlich. Waͤre es aber nicht am besten, sie trieben sie so, wie sie sie wirklich treiben, ganz natuͤrlich, etwa wie der Gentilhomme des Moliere die Prosa? bloß durch Umgang mit sich selbst, und mit Freunden, die dasselbe wollen, und auch jenen allgemeinen Weltgeist <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0033" n="25"/> der Denkart und Sprache gebildeter Menschen steht die Einbildungskraft dem Dichter, Vernuͤnftigkeit dem sittlichen Menschen am naͤchsten. Verstand aber ist das, worauf es eigentlich ankommt, wenn von dem Geiste eines Menschen die Rede ist. Verstand ist das Vermoͤgen der <hi rendition="#g">Gedanken</hi>. Ein Gedanke ist eine Vorstellung, die vollkommen fuͤr sich besteht, voͤllig ausgebildet ist, ganz, und innerhalb der Graͤnzen unendlich; das Goͤttlichste, was es im menschlichen Geiste giebt. Jn diesem Sinne ist Verstand nichts anders als die natuͤrliche Philosophie selbst, und nicht viel weniger als das hoͤchste Gut. Durch seine Allmacht wird der ganze Mensch innerlich heiter und klar. Er bildet alles was ihn umgiebt und was er beruͤhrt. Seine Empfindungen werden ihm zu wirklichen Begebenheiten, und alles Aeußerliche wird ihm unter der Hand zum Jnnerlichen. Auch die Widerspruͤche loͤsen sich in Harmonie auf; alles wird ihm bedeutend, er sieht alles recht und wahr, und die Natur, die Erde und das Leben stehen wieder in ihrer urspruͤnglichen Groͤße und Goͤttlichkeit freundlich vor ihm. Und unter diesem milden Aeußern schlummert denn doch die Kraft, in einem Augenblicke allem, was uns eben Gluͤck scheint, auf immer zu entsagen.</p><lb/> <p>Gut also! Die Philosophie ist den Frauen unentbehrlich. Waͤre es aber nicht am besten, sie trieben sie so, wie sie sie wirklich treiben, ganz natuͤrlich, etwa wie der Gentilhomme des Moliere die Prosa? bloß durch Umgang mit sich selbst, und mit Freunden, die dasselbe wollen, und auch jenen allgemeinen Weltgeist </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [25/0033]
der Denkart und Sprache gebildeter Menschen steht die Einbildungskraft dem Dichter, Vernuͤnftigkeit dem sittlichen Menschen am naͤchsten. Verstand aber ist das, worauf es eigentlich ankommt, wenn von dem Geiste eines Menschen die Rede ist. Verstand ist das Vermoͤgen der Gedanken. Ein Gedanke ist eine Vorstellung, die vollkommen fuͤr sich besteht, voͤllig ausgebildet ist, ganz, und innerhalb der Graͤnzen unendlich; das Goͤttlichste, was es im menschlichen Geiste giebt. Jn diesem Sinne ist Verstand nichts anders als die natuͤrliche Philosophie selbst, und nicht viel weniger als das hoͤchste Gut. Durch seine Allmacht wird der ganze Mensch innerlich heiter und klar. Er bildet alles was ihn umgiebt und was er beruͤhrt. Seine Empfindungen werden ihm zu wirklichen Begebenheiten, und alles Aeußerliche wird ihm unter der Hand zum Jnnerlichen. Auch die Widerspruͤche loͤsen sich in Harmonie auf; alles wird ihm bedeutend, er sieht alles recht und wahr, und die Natur, die Erde und das Leben stehen wieder in ihrer urspruͤnglichen Groͤße und Goͤttlichkeit freundlich vor ihm. Und unter diesem milden Aeußern schlummert denn doch die Kraft, in einem Augenblicke allem, was uns eben Gluͤck scheint, auf immer zu entsagen.
Gut also! Die Philosophie ist den Frauen unentbehrlich. Waͤre es aber nicht am besten, sie trieben sie so, wie sie sie wirklich treiben, ganz natuͤrlich, etwa wie der Gentilhomme des Moliere die Prosa? bloß durch Umgang mit sich selbst, und mit Freunden, die dasselbe wollen, und auch jenen allgemeinen Weltgeist
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |