Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799.das Lebendige halten, sonst würden die Todten ihre Todten begraben. Waller. Alle Plastik ist entweder organisch oder mathematisch, das heißt, sie läßt in den hervorgebrachten Formen eine beseelte Einheit erkennen, oder mißt sie nach regelmäßigen ergründlichen Verhältnissen ab. Die mathematische Plastik ist die Architektur. Louise. Sie gerathen mir in die Metaphysik der Künste hinein, womit ich nichts zu thun habe. Jch muß nur mit einem Zweifel kommen, um Sie davon abzuhalten. Daß die leblosen Nebenwerke, welche bloß den Figuren dienen, als Sitze, Stämme zum Anlehnen und dergleichen, den Kreis der Bildnerey nicht erweitern können, begreife ich wohl. Allein wo wollen Sie bey Jhrer organischen Plastik mit den Gewändern hin, die uns ja die Formen zum Theil verbergen und worin doch ein so großer Theil der Vortrefflichkeit liegt? Waller. Die Griechen haben mehr als irgend ein Volk die Würde des Körpers vor seiner Bekleidung erkannt. Nichts verhüllen, sagt ein Römischer Schriftsteller, ist Griechische Sitte; und es wäre eine anziehende Untersuchung, in wie fern diese Denkart der Kunst aufgeholfen hat, oder wiederum von den Künstlern begünstigt worden ist. Diese mußten sich aber doch bey vielen Gegenständen der Schicklichkeit fügen, und man muß sie nur loben, daß sie aus der Noth eine Tugend zu machen gewußt und die Gewänder so meisterhaft behandelt haben. Louise. Für einen Seher antworten sie diesmal das Lebendige halten, sonst wuͤrden die Todten ihre Todten begraben. Waller. Alle Plastik ist entweder organisch oder mathematisch, das heißt, sie laͤßt in den hervorgebrachten Formen eine beseelte Einheit erkennen, oder mißt sie nach regelmaͤßigen ergruͤndlichen Verhaͤltnissen ab. Die mathematische Plastik ist die Architektur. Louise. Sie gerathen mir in die Metaphysik der Kuͤnste hinein, womit ich nichts zu thun habe. Jch muß nur mit einem Zweifel kommen, um Sie davon abzuhalten. Daß die leblosen Nebenwerke, welche bloß den Figuren dienen, als Sitze, Staͤmme zum Anlehnen und dergleichen, den Kreis der Bildnerey nicht erweitern koͤnnen, begreife ich wohl. Allein wo wollen Sie bey Jhrer organischen Plastik mit den Gewaͤndern hin, die uns ja die Formen zum Theil verbergen und worin doch ein so großer Theil der Vortrefflichkeit liegt? Waller. Die Griechen haben mehr als irgend ein Volk die Wuͤrde des Koͤrpers vor seiner Bekleidung erkannt. Nichts verhuͤllen, sagt ein Roͤmischer Schriftsteller, ist Griechische Sitte; und es waͤre eine anziehende Untersuchung, in wie fern diese Denkart der Kunst aufgeholfen hat, oder wiederum von den Kuͤnstlern beguͤnstigt worden ist. Diese mußten sich aber doch bey vielen Gegenstaͤnden der Schicklichkeit fuͤgen, und man muß sie nur loben, daß sie aus der Noth eine Tugend zu machen gewußt und die Gewaͤnder so meisterhaft behandelt haben. Louise. Fuͤr einen Seher antworten sie diesmal <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0050" n="42"/> das Lebendige halten, sonst wuͤrden die Todten ihre Todten begraben.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Waller</hi>. Alle Plastik ist entweder organisch oder mathematisch, das heißt, sie laͤßt in den hervorgebrachten Formen eine beseelte Einheit erkennen, oder mißt sie nach regelmaͤßigen ergruͤndlichen Verhaͤltnissen ab. Die mathematische Plastik ist die Architektur.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Louise</hi>. Sie gerathen mir in die Metaphysik der Kuͤnste hinein, womit ich nichts zu thun habe. Jch muß nur mit einem Zweifel kommen, um Sie davon abzuhalten. Daß die leblosen Nebenwerke, welche bloß den Figuren dienen, als Sitze, Staͤmme zum Anlehnen und dergleichen, den Kreis der Bildnerey nicht erweitern koͤnnen, begreife ich wohl. Allein wo wollen Sie bey Jhrer organischen Plastik mit den Gewaͤndern hin, die uns ja die Formen zum Theil verbergen und worin doch ein so großer Theil der Vortrefflichkeit liegt?</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Waller</hi>. Die Griechen haben mehr als irgend ein Volk die Wuͤrde des Koͤrpers vor seiner Bekleidung erkannt. Nichts verhuͤllen, sagt ein Roͤmischer Schriftsteller, ist Griechische Sitte; und es waͤre eine anziehende Untersuchung, in wie fern diese Denkart der Kunst aufgeholfen hat, oder wiederum von den Kuͤnstlern beguͤnstigt worden ist. Diese mußten sich aber doch bey vielen Gegenstaͤnden der Schicklichkeit fuͤgen, und man muß sie nur loben, daß sie aus der Noth eine Tugend zu machen gewußt und die Gewaͤnder so meisterhaft behandelt haben.</p><lb/> <p><hi rendition="#g">Louise</hi>. Fuͤr einen Seher antworten sie diesmal </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [42/0050]
das Lebendige halten, sonst wuͤrden die Todten ihre Todten begraben.
Waller. Alle Plastik ist entweder organisch oder mathematisch, das heißt, sie laͤßt in den hervorgebrachten Formen eine beseelte Einheit erkennen, oder mißt sie nach regelmaͤßigen ergruͤndlichen Verhaͤltnissen ab. Die mathematische Plastik ist die Architektur.
Louise. Sie gerathen mir in die Metaphysik der Kuͤnste hinein, womit ich nichts zu thun habe. Jch muß nur mit einem Zweifel kommen, um Sie davon abzuhalten. Daß die leblosen Nebenwerke, welche bloß den Figuren dienen, als Sitze, Staͤmme zum Anlehnen und dergleichen, den Kreis der Bildnerey nicht erweitern koͤnnen, begreife ich wohl. Allein wo wollen Sie bey Jhrer organischen Plastik mit den Gewaͤndern hin, die uns ja die Formen zum Theil verbergen und worin doch ein so großer Theil der Vortrefflichkeit liegt?
Waller. Die Griechen haben mehr als irgend ein Volk die Wuͤrde des Koͤrpers vor seiner Bekleidung erkannt. Nichts verhuͤllen, sagt ein Roͤmischer Schriftsteller, ist Griechische Sitte; und es waͤre eine anziehende Untersuchung, in wie fern diese Denkart der Kunst aufgeholfen hat, oder wiederum von den Kuͤnstlern beguͤnstigt worden ist. Diese mußten sich aber doch bey vielen Gegenstaͤnden der Schicklichkeit fuͤgen, und man muß sie nur loben, daß sie aus der Noth eine Tugend zu machen gewußt und die Gewaͤnder so meisterhaft behandelt haben.
Louise. Fuͤr einen Seher antworten sie diesmal
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Zitationshilfe: | Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 2. Berlin, 1799, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1799/50>, abgerufen am 16.07.2024. |