Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800.

Bild:
<< vorherige Seite

und er entzieht sich der liebenden Gewalt, er möchte gern sich selbst versuchen, und durch eigene Kraft das erringen, was ihm ein freundliches Geschick früh mit auf die Welt gab.

Nur ein höheres Wesen oder ein schlechteres als der Mensch kann für sich glücklich seyn, und darum thut man den armen Menschen Unrecht, wenn man sie Egoisten schilt. Jst's denn nicht ihr einziges Bestreben sich mitzutheilen, und giebts ein anderes Unglück als den verfehlten Gegenstand?

Liebe, die mit warmem Sonnenschein das arme Leben umgiebt, o warum ist dein Nahme jemals ausgesprochen, warum lebst du in Liedern, und wohnst nicht als allgemeine Poesie in jedes Menschen Busen? Warum springt der Mensch gewaltsam und eigenmächtig aus der Zeit heraus, die ihn umfängt? Stoßen zwei Menschen auf einander, so erinnern sie oft dessen, was man von der Liebe sagt, und meinen, das könnte für sie gelten; der Jüngling erzwingt dann eine Sehnsucht in seinen Busen, und theilt sie dem Mädchen mit; der Beschluß ist, liebst du mich? Ja, sagt sie, und er fühlt sich berauscht, und überseelig glücklich schwärmen sie eine Zeit ihres Lebens dahin, der Rausch verfliegt, sie bewundern ihre Thorheit, verspotten im Herzen, wenn sie es auch nicht aussprechen, Liebe und alle Empfindungen, und fühlen doch in sich die Leere, die etwas dem ähnliches bedarf; sie suchen in der Welt herum, sie warten nun wieder nicht bis die Zeit die Lücke in ihnen ausfüllt, sondern überreden

und er entzieht sich der liebenden Gewalt, er moͤchte gern sich selbst versuchen, und durch eigene Kraft das erringen, was ihm ein freundliches Geschick fruͤh mit auf die Welt gab.

Nur ein hoͤheres Wesen oder ein schlechteres als der Mensch kann fuͤr sich gluͤcklich seyn, und darum thut man den armen Menschen Unrecht, wenn man sie Egoisten schilt. Jst's denn nicht ihr einziges Bestreben sich mitzutheilen, und giebts ein anderes Ungluͤck als den verfehlten Gegenstand?

Liebe, die mit warmem Sonnenschein das arme Leben umgiebt, o warum ist dein Nahme jemals ausgesprochen, warum lebst du in Liedern, und wohnst nicht als allgemeine Poesie in jedes Menschen Busen? Warum springt der Mensch gewaltsam und eigenmaͤchtig aus der Zeit heraus, die ihn umfaͤngt? Stoßen zwei Menschen auf einander, so erinnern sie oft dessen, was man von der Liebe sagt, und meinen, das koͤnnte fuͤr sie gelten; der Juͤngling erzwingt dann eine Sehnsucht in seinen Busen, und theilt sie dem Maͤdchen mit; der Beschluß ist, liebst du mich? Ja, sagt sie, und er fuͤhlt sich berauscht, und uͤberseelig gluͤcklich schwaͤrmen sie eine Zeit ihres Lebens dahin, der Rausch verfliegt, sie bewundern ihre Thorheit, verspotten im Herzen, wenn sie es auch nicht aussprechen, Liebe und alle Empfindungen, und fuͤhlen doch in sich die Leere, die etwas dem aͤhnliches bedarf; sie suchen in der Welt herum, sie warten nun wieder nicht bis die Zeit die Luͤcke in ihnen ausfuͤllt, sondern uͤberreden

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0218" n="206"/>
und er entzieht sich der liebenden Gewalt, er mo&#x0364;chte gern sich selbst versuchen, und durch eigene Kraft das erringen, was ihm ein freundliches Geschick fru&#x0364;h mit auf die Welt gab.</p><lb/>
          <p>Nur ein ho&#x0364;heres Wesen oder ein schlechteres als der Mensch kann fu&#x0364;r sich glu&#x0364;cklich seyn, und darum thut man den armen Menschen Unrecht, wenn man sie Egoisten schilt. Jst's denn nicht ihr einziges Bestreben sich mitzutheilen, und giebts ein anderes Unglu&#x0364;ck als den verfehlten Gegenstand?</p><lb/>
          <p>Liebe, die mit warmem Sonnenschein das arme Leben umgiebt, o warum ist dein Nahme jemals ausgesprochen, warum lebst du in Liedern, und wohnst nicht als allgemeine Poesie in jedes Menschen Busen? Warum springt der Mensch gewaltsam und eigenma&#x0364;chtig aus der Zeit heraus, die ihn umfa&#x0364;ngt? Stoßen zwei Menschen auf einander, so erinnern sie oft dessen, was man von der Liebe sagt, und meinen, das ko&#x0364;nnte fu&#x0364;r sie gelten; der Ju&#x0364;ngling erzwingt dann eine Sehnsucht in seinen Busen, und theilt sie dem Ma&#x0364;dchen mit; der Beschluß ist, liebst du mich? Ja, sagt sie, und er fu&#x0364;hlt sich berauscht, und u&#x0364;berseelig glu&#x0364;cklich schwa&#x0364;rmen sie eine Zeit ihres Lebens dahin, der Rausch verfliegt, sie bewundern ihre Thorheit, verspotten im Herzen, wenn sie es auch nicht aussprechen, Liebe und alle Empfindungen, und fu&#x0364;hlen doch in sich die Leere, die etwas dem a&#x0364;hnliches bedarf; sie suchen in der Welt herum, sie warten nun wieder nicht bis die Zeit die Lu&#x0364;cke in ihnen ausfu&#x0364;llt, sondern u&#x0364;berreden
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[206/0218] und er entzieht sich der liebenden Gewalt, er moͤchte gern sich selbst versuchen, und durch eigene Kraft das erringen, was ihm ein freundliches Geschick fruͤh mit auf die Welt gab. Nur ein hoͤheres Wesen oder ein schlechteres als der Mensch kann fuͤr sich gluͤcklich seyn, und darum thut man den armen Menschen Unrecht, wenn man sie Egoisten schilt. Jst's denn nicht ihr einziges Bestreben sich mitzutheilen, und giebts ein anderes Ungluͤck als den verfehlten Gegenstand? Liebe, die mit warmem Sonnenschein das arme Leben umgiebt, o warum ist dein Nahme jemals ausgesprochen, warum lebst du in Liedern, und wohnst nicht als allgemeine Poesie in jedes Menschen Busen? Warum springt der Mensch gewaltsam und eigenmaͤchtig aus der Zeit heraus, die ihn umfaͤngt? Stoßen zwei Menschen auf einander, so erinnern sie oft dessen, was man von der Liebe sagt, und meinen, das koͤnnte fuͤr sie gelten; der Juͤngling erzwingt dann eine Sehnsucht in seinen Busen, und theilt sie dem Maͤdchen mit; der Beschluß ist, liebst du mich? Ja, sagt sie, und er fuͤhlt sich berauscht, und uͤberseelig gluͤcklich schwaͤrmen sie eine Zeit ihres Lebens dahin, der Rausch verfliegt, sie bewundern ihre Thorheit, verspotten im Herzen, wenn sie es auch nicht aussprechen, Liebe und alle Empfindungen, und fuͤhlen doch in sich die Leere, die etwas dem aͤhnliches bedarf; sie suchen in der Welt herum, sie warten nun wieder nicht bis die Zeit die Luͤcke in ihnen ausfuͤllt, sondern uͤberreden

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1800
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1800/218
Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1800/218>, abgerufen am 24.11.2024.