Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800.gründet sich darauf, daß er unbedingt frey gelassen werden muß, um zu seyn was er seyn soll: mit jeder ernsten Absicht tritt er wieder in die Schranken der prosaischen Welt. Welche Bewandniß es mit den Thophilanthropen hat, weiß man, da wir in Deutschland längst die Sekte ohne den Namen haben. Es ist der völlig glatt und kahl geschorne Kopf der Aufklärung, dem ein äußerlicher Gottesdienst nur wie eine Perücke gegen Flüsse und Verkältungen übergestürzt wird. Unser Theophilanthrop, nachdem er sein System in der Kürze ernsthaft entwickelt und zwar seltsam genug dem heiligen Geist in den Mund gelegt hat, p. 30. fügt hinzu: Rien de plus simple; aussi l'homme trouva ce fond trop pale, et soudain le broda. Jch glaube es wohl: wer wird nicht lieber ein sinnbildliches Schauspiel aufführen sehn, als immer und ewig vor dem unbemahlten Vorhange sitzen? Es verdient bemerkt zu werden, daß die Stelle wo der Ernst in Parny's Gedicht zu Hause ist, gerade den Mittelpunkt der absoluten Unpoesie ausmacht. Man hat es dem Christenthum häufig vorgeworfen, daß darin ein für die Poesie und alle schöne Kunst feindliches Princip liege; es hat ja auch anfangs so zerstörend auf sie gewirkt, bis es allmählig mit ihren Ansprüchen eine Vermittlung einging. Allein das strengste Christenthum fodert doch nur Ertödtung des Fleisches, d. h. der Sinne und irdischen Leidenschaften: jene wollen, ihren dürftigen Begriffen zu lieb, Ertödtung gruͤndet sich darauf, daß er unbedingt frey gelassen werden muß, um zu seyn was er seyn soll: mit jeder ernsten Absicht tritt er wieder in die Schranken der prosaischen Welt. Welche Bewandniß es mit den Thophilanthropen hat, weiß man, da wir in Deutschland laͤngst die Sekte ohne den Namen haben. Es ist der voͤllig glatt und kahl geschorne Kopf der Aufklaͤrung, dem ein aͤußerlicher Gottesdienst nur wie eine Peruͤcke gegen Fluͤsse und Verkaͤltungen uͤbergestuͤrzt wird. Unser Theophilanthrop, nachdem er sein System in der Kuͤrze ernsthaft entwickelt und zwar seltsam genug dem heiligen Geist in den Mund gelegt hat, p. 30. fuͤgt hinzu: Rien de plus simple; aussi l'homme trouva ce fond trop pale, et soudain le broda. Jch glaube es wohl: wer wird nicht lieber ein sinnbildliches Schauspiel auffuͤhren sehn, als immer und ewig vor dem unbemahlten Vorhange sitzen? Es verdient bemerkt zu werden, daß die Stelle wo der Ernst in Parny's Gedicht zu Hause ist, gerade den Mittelpunkt der absoluten Unpoesie ausmacht. Man hat es dem Christenthum haͤufig vorgeworfen, daß darin ein fuͤr die Poesie und alle schoͤne Kunst feindliches Princip liege; es hat ja auch anfangs so zerstoͤrend auf sie gewirkt, bis es allmaͤhlig mit ihren Anspruͤchen eine Vermittlung einging. Allein das strengste Christenthum fodert doch nur Ertoͤdtung des Fleisches, d. h. der Sinne und irdischen Leidenschaften: jene wollen, ihren duͤrftigen Begriffen zu lieb, Ertoͤdtung <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0275" n="263"/> gruͤndet sich darauf, daß er unbedingt frey gelassen werden muß, um zu seyn was er seyn soll: mit jeder ernsten Absicht tritt er wieder in die Schranken der prosaischen Welt.</p><lb/> <p>Welche Bewandniß es mit den Thophilanthropen hat, weiß man, da wir in Deutschland laͤngst die Sekte ohne den Namen haben. Es ist der voͤllig glatt und kahl geschorne Kopf der Aufklaͤrung, dem ein aͤußerlicher Gottesdienst nur wie eine Peruͤcke gegen Fluͤsse und Verkaͤltungen uͤbergestuͤrzt wird. Unser Theophilanthrop, nachdem er sein System in der Kuͤrze ernsthaft entwickelt und zwar seltsam genug dem heiligen Geist in den Mund gelegt hat, p. 30. fuͤgt hinzu:</p><lb/> <lg type="poem"> <l>Rien de plus simple; aussi l'homme trouva</l><lb/> <l>ce fond trop pale, et soudain le broda.</l> </lg> <p>Jch glaube es wohl: wer wird nicht lieber ein sinnbildliches Schauspiel auffuͤhren sehn, als immer und ewig vor dem unbemahlten Vorhange sitzen? Es verdient bemerkt zu werden, daß die Stelle wo der Ernst in Parny's Gedicht zu Hause ist, gerade den Mittelpunkt der absoluten Unpoesie ausmacht. Man hat es dem Christenthum haͤufig vorgeworfen, daß darin ein fuͤr die Poesie und alle schoͤne Kunst feindliches Princip liege; es hat ja auch anfangs so zerstoͤrend auf sie gewirkt, bis es allmaͤhlig mit ihren Anspruͤchen eine Vermittlung einging. Allein das strengste Christenthum fodert doch nur Ertoͤdtung des Fleisches, d. h. der Sinne und irdischen Leidenschaften: jene wollen, ihren duͤrftigen Begriffen zu lieb, Ertoͤdtung </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [263/0275]
gruͤndet sich darauf, daß er unbedingt frey gelassen werden muß, um zu seyn was er seyn soll: mit jeder ernsten Absicht tritt er wieder in die Schranken der prosaischen Welt.
Welche Bewandniß es mit den Thophilanthropen hat, weiß man, da wir in Deutschland laͤngst die Sekte ohne den Namen haben. Es ist der voͤllig glatt und kahl geschorne Kopf der Aufklaͤrung, dem ein aͤußerlicher Gottesdienst nur wie eine Peruͤcke gegen Fluͤsse und Verkaͤltungen uͤbergestuͤrzt wird. Unser Theophilanthrop, nachdem er sein System in der Kuͤrze ernsthaft entwickelt und zwar seltsam genug dem heiligen Geist in den Mund gelegt hat, p. 30. fuͤgt hinzu:
Rien de plus simple; aussi l'homme trouva
ce fond trop pale, et soudain le broda.
Jch glaube es wohl: wer wird nicht lieber ein sinnbildliches Schauspiel auffuͤhren sehn, als immer und ewig vor dem unbemahlten Vorhange sitzen? Es verdient bemerkt zu werden, daß die Stelle wo der Ernst in Parny's Gedicht zu Hause ist, gerade den Mittelpunkt der absoluten Unpoesie ausmacht. Man hat es dem Christenthum haͤufig vorgeworfen, daß darin ein fuͤr die Poesie und alle schoͤne Kunst feindliches Princip liege; es hat ja auch anfangs so zerstoͤrend auf sie gewirkt, bis es allmaͤhlig mit ihren Anspruͤchen eine Vermittlung einging. Allein das strengste Christenthum fodert doch nur Ertoͤdtung des Fleisches, d. h. der Sinne und irdischen Leidenschaften: jene wollen, ihren duͤrftigen Begriffen zu lieb, Ertoͤdtung
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