Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800.

Bild:
<< vorherige Seite

Worten, die man hören konnte, ließ sich schließen, daß ihre Unterhaltung sich auf die sogenannten classischen Dichter der Engländer bezog. Man sagte noch einiges über denselben Gegenstand, und Antonio, der sich gern bey Gelegenheit mit dergleichen polemischen Einfällen dem Gespräch einmischte, das er selten selbst führte, behauptete, die Grundsätze ihrer Kritik und ihres Enthusiasmus wären im Smith über den Nationalreichthum zu suchen. Sie wären nur froh, wenn sie wieder einen Classiker in die öffentliche Schatzkammer tragen könnten. Wie jedes Buch auf dieser Jnsel ein Essay, so werde da auch jeder Schriftsteller, wenn er nur seine gehörige Zeit gelegen habe, zum Classiker. Sie wären aus gleichem Grund und in gleicher Weise auf die Verfertigung der besten Scheeren stolz wie auf die der besten Poesie. So ein Engländer lese den Shakspeare eigentlich nicht anders wie den Pope, den Dryden, oder wer sonst noch Classiker sey; bey dem einen denke er eben nicht mehr als bey dem andern. -- Marcus meynte, das goldne Zeitalter sey nun einmal eine moderne Krankheit, durch die jede Nation hindurch müsse, wie die Kinder durch die Pocken. -- So müßte man den Versuch machen können, die Kraft der Krankheit durch Jnoculation zu schwächen, sagte Antonio. Ludoviko, der mit seiner revoluzionären Philosophie das Vernichten gern im Großen trieb, fing an von einem System der falschen Poesie zu sprechen, was er darstellen wolle, die in diesem Zeitalter besonders bey Engländern und Franzosen grassirt habe und zum Theil noch grassire; der tiefe gründliche

Worten, die man hoͤren konnte, ließ sich schließen, daß ihre Unterhaltung sich auf die sogenannten classischen Dichter der Englaͤnder bezog. Man sagte noch einiges uͤber denselben Gegenstand, und Antonio, der sich gern bey Gelegenheit mit dergleichen polemischen Einfaͤllen dem Gespraͤch einmischte, das er selten selbst fuͤhrte, behauptete, die Grundsaͤtze ihrer Kritik und ihres Enthusiasmus waͤren im Smith uͤber den Nationalreichthum zu suchen. Sie waͤren nur froh, wenn sie wieder einen Classiker in die oͤffentliche Schatzkammer tragen koͤnnten. Wie jedes Buch auf dieser Jnsel ein Essay, so werde da auch jeder Schriftsteller, wenn er nur seine gehoͤrige Zeit gelegen habe, zum Classiker. Sie waͤren aus gleichem Grund und in gleicher Weise auf die Verfertigung der besten Scheeren stolz wie auf die der besten Poesie. So ein Englaͤnder lese den Shakspeare eigentlich nicht anders wie den Pope, den Dryden, oder wer sonst noch Classiker sey; bey dem einen denke er eben nicht mehr als bey dem andern. — Marcus meynte, das goldne Zeitalter sey nun einmal eine moderne Krankheit, durch die jede Nation hindurch muͤsse, wie die Kinder durch die Pocken. — So muͤßte man den Versuch machen koͤnnen, die Kraft der Krankheit durch Jnoculation zu schwaͤchen, sagte Antonio. Ludoviko, der mit seiner revoluzionaͤren Philosophie das Vernichten gern im Großen trieb, fing an von einem System der falschen Poesie zu sprechen, was er darstellen wolle, die in diesem Zeitalter besonders bey Englaͤndern und Franzosen grassirt habe und zum Theil noch grassire; der tiefe gruͤndliche

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0074" n="66"/>
Worten, die man ho&#x0364;ren konnte, ließ sich schließen, daß ihre Unterhaltung sich auf die sogenannten classischen Dichter der Engla&#x0364;nder bezog. Man sagte noch einiges u&#x0364;ber denselben Gegenstand, und Antonio, der sich gern bey Gelegenheit mit dergleichen polemischen Einfa&#x0364;llen dem Gespra&#x0364;ch einmischte, das er selten selbst fu&#x0364;hrte, behauptete, die Grundsa&#x0364;tze ihrer Kritik und ihres Enthusiasmus wa&#x0364;ren im Smith u&#x0364;ber den Nationalreichthum zu suchen. Sie wa&#x0364;ren nur froh, wenn sie wieder einen Classiker in die o&#x0364;ffentliche Schatzkammer tragen ko&#x0364;nnten. Wie jedes Buch auf dieser Jnsel ein Essay, so werde da auch jeder Schriftsteller, wenn er nur seine geho&#x0364;rige Zeit gelegen habe, zum Classiker. Sie wa&#x0364;ren aus gleichem Grund und in gleicher Weise auf die Verfertigung der besten Scheeren stolz wie auf die der besten Poesie. So ein Engla&#x0364;nder lese den Shakspeare eigentlich nicht anders wie den Pope, den Dryden, oder wer sonst noch Classiker sey; bey dem einen denke er eben nicht mehr als bey dem andern. &#x2014; Marcus meynte, das goldne Zeitalter sey nun einmal eine moderne Krankheit, durch die jede Nation hindurch mu&#x0364;sse, wie die Kinder durch die Pocken. &#x2014; So mu&#x0364;ßte man den Versuch machen ko&#x0364;nnen, die Kraft der Krankheit durch Jnoculation zu schwa&#x0364;chen, sagte Antonio. Ludoviko, der mit seiner revoluziona&#x0364;ren Philosophie das Vernichten gern im Großen trieb, fing an von einem <hi rendition="#g">System der falschen Poesie</hi> zu sprechen, was er darstellen wolle, die in diesem Zeitalter besonders bey Engla&#x0364;ndern und Franzosen grassirt habe und zum Theil noch grassire; der tiefe gru&#x0364;ndliche
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[66/0074] Worten, die man hoͤren konnte, ließ sich schließen, daß ihre Unterhaltung sich auf die sogenannten classischen Dichter der Englaͤnder bezog. Man sagte noch einiges uͤber denselben Gegenstand, und Antonio, der sich gern bey Gelegenheit mit dergleichen polemischen Einfaͤllen dem Gespraͤch einmischte, das er selten selbst fuͤhrte, behauptete, die Grundsaͤtze ihrer Kritik und ihres Enthusiasmus waͤren im Smith uͤber den Nationalreichthum zu suchen. Sie waͤren nur froh, wenn sie wieder einen Classiker in die oͤffentliche Schatzkammer tragen koͤnnten. Wie jedes Buch auf dieser Jnsel ein Essay, so werde da auch jeder Schriftsteller, wenn er nur seine gehoͤrige Zeit gelegen habe, zum Classiker. Sie waͤren aus gleichem Grund und in gleicher Weise auf die Verfertigung der besten Scheeren stolz wie auf die der besten Poesie. So ein Englaͤnder lese den Shakspeare eigentlich nicht anders wie den Pope, den Dryden, oder wer sonst noch Classiker sey; bey dem einen denke er eben nicht mehr als bey dem andern. — Marcus meynte, das goldne Zeitalter sey nun einmal eine moderne Krankheit, durch die jede Nation hindurch muͤsse, wie die Kinder durch die Pocken. — So muͤßte man den Versuch machen koͤnnen, die Kraft der Krankheit durch Jnoculation zu schwaͤchen, sagte Antonio. Ludoviko, der mit seiner revoluzionaͤren Philosophie das Vernichten gern im Großen trieb, fing an von einem System der falschen Poesie zu sprechen, was er darstellen wolle, die in diesem Zeitalter besonders bey Englaͤndern und Franzosen grassirt habe und zum Theil noch grassire; der tiefe gruͤndliche

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1800
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1800/74
Zitationshilfe: Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1800/74>, abgerufen am 14.05.2024.