Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schlegel, Friedrich von: Lucinde. Berlin, 1799.

Bild:
<< vorherige Seite

dem fruchtbaren mütterlichen Boden,
und es wird sich manches liebevoll
daran hängen, was nur einem Kar-
gen überflüssig scheinen kann.

Aber was soll mein Geist seinem
Sohne geben, der gleich ihm so arm
an Poesie ist als reich an Liebe?

Nur ein Wort, ein Bild zum Ab-
schiede: Nicht der königliche Adler
allein darf das Gekrächz der Raben
verachten; auch der Schwan ist stolz,
und nimmt es nicht wahr. Ihn küm-
mert nichts, als daß der Glanz sei-
ner weißen Fittiche rein bleibe. Er
sinnt nur darauf, sich an den Schooß
der Leda zu schmiegen, ohne ihn zu
verletzen; und alles was sterblich ist
an ihm, in Gesänge auszuhauchen.




dem fruchtbaren mütterlichen Boden,
und es wird ſich manches liebevoll
daran hängen, was nur einem Kar-
gen überflüſſig ſcheinen kann.

Aber was ſoll mein Geiſt ſeinem
Sohne geben, der gleich ihm ſo arm
an Poeſie iſt als reich an Liebe?

Nur ein Wort, ein Bild zum Ab-
ſchiede: Nicht der königliche Adler
allein darf das Gekrächz der Raben
verachten; auch der Schwan iſt ſtolz,
und nimmt es nicht wahr. Ihn küm-
mert nichts, als daß der Glanz ſei-
ner weißen Fittiche rein bleibe. Er
ſinnt nur darauf, ſich an den Schooß
der Leda zu ſchmiegen, ohne ihn zu
verletzen; und alles was ſterblich iſt
an ihm, in Geſänge auszuhauchen.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0007" n="2"/>
dem fruchtbaren mütterlichen Boden,<lb/>
und es wird &#x017F;ich manches liebevoll<lb/>
daran hängen, was nur einem Kar-<lb/>
gen überflü&#x017F;&#x017F;ig &#x017F;cheinen kann.</p><lb/>
          <p>Aber was &#x017F;oll mein Gei&#x017F;t &#x017F;einem<lb/>
Sohne geben, der gleich ihm &#x017F;o arm<lb/>
an Poe&#x017F;ie i&#x017F;t als reich an Liebe?</p><lb/>
          <p>Nur ein Wort, ein Bild zum Ab-<lb/>
&#x017F;chiede: Nicht der königliche Adler<lb/>
allein darf das Gekrächz der Raben<lb/>
verachten; auch der Schwan i&#x017F;t &#x017F;tolz,<lb/>
und nimmt es nicht wahr. Ihn küm-<lb/>
mert nichts, als daß der Glanz &#x017F;ei-<lb/>
ner weißen Fittiche rein bleibe. Er<lb/>
&#x017F;innt nur darauf, &#x017F;ich an den Schooß<lb/>
der Leda zu &#x017F;chmiegen, ohne ihn zu<lb/>
verletzen; und alles was &#x017F;terblich i&#x017F;t<lb/>
an ihm, in Ge&#x017F;änge auszuhauchen.</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[2/0007] dem fruchtbaren mütterlichen Boden, und es wird ſich manches liebevoll daran hängen, was nur einem Kar- gen überflüſſig ſcheinen kann. Aber was ſoll mein Geiſt ſeinem Sohne geben, der gleich ihm ſo arm an Poeſie iſt als reich an Liebe? Nur ein Wort, ein Bild zum Ab- ſchiede: Nicht der königliche Adler allein darf das Gekrächz der Raben verachten; auch der Schwan iſt ſtolz, und nimmt es nicht wahr. Ihn küm- mert nichts, als daß der Glanz ſei- ner weißen Fittiche rein bleibe. Er ſinnt nur darauf, ſich an den Schooß der Leda zu ſchmiegen, ohne ihn zu verletzen; und alles was ſterblich iſt an ihm, in Geſänge auszuhauchen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Darüber hinaus sind keine weiteren Teile erschien… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_lucinde_1799
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_lucinde_1799/7
Zitationshilfe: Schlegel, Friedrich von: Lucinde. Berlin, 1799, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_lucinde_1799/7>, abgerufen am 21.11.2024.