Schleicher, August: Die Darwinsche Theorie und die Sprachwissenschaft. Weimar, 1863.chen, die wir zufällig deshalb so lange Zeiträume hindurch Wäre die Schrift bis auf den heutigen Tag noch nicht chen, die wir zufällig deshalb so lange Zeiträume hindurch Wäre die Schrift bis auf den heutigen Tag noch nicht <TEI> <text> <body> <p><pb facs="#f0020" n="18"/> chen, die wir zufällig deshalb so lange Zeiträume hindurch<lb/> beobachten können, weil die sie redenden Völker glück-<lb/> licherweise aus verhältnissmässig früher Zeit Schriftdenk-<lb/> male hinterlassen haben, wirklich vorliegt, das muss auch<lb/> bei den anderen Sprachsippen vorausgesetzt werden, denen<lb/> dergleichen Bilder ihrer früheren Formen abgehen. Wir<lb/> wissen also geradezu aus vorliegenden Beobachtungsreihen,<lb/> dass die Sprachen sich verändern so lange sie leben, und<lb/> diese längeren Beobachtungsreihen verdanken wir der Schrift.</p><lb/> <p>Wäre die Schrift bis auf den heutigen Tag noch nicht<lb/> erfunden, so würden die Sprachkenner wohl niemals auf<lb/> den Gedanken gekommen sein, dass Sprachen wie z. B.<lb/> Russisch, Deutsch und Französisch schliesslich von einer und<lb/> derselben Sprache abstammen. Vielleicht wäre man dann<lb/> überhaupt gar nicht darauf verfallen gemeinsamen Ursprung<lb/> für irgend welche Sprachen, seien sie auch sehr nahe ver-<lb/> wandt, vorauszusetzen und überhaupt anzunehmen, dass die<lb/> Sprache veränderlich ist. Wir wären ohne Schrift noch<lb/> viel übeler daran als Botaniker und Zoologen, denen doch<lb/> Reste früherer Bildungen zu Gebote stehen und deren wis-<lb/> senschaftliche Objecte sich überhaupt leichter beobachten<lb/> lassen als Sprachen. So aber haben wir mehr Beobach-<lb/> tungsmaterial als die übrigen Naturforscher und sind daher<lb/> früher auf den Gedanken der Unursprünglichkeit der Arten<lb/> gekommen. Auch mögen wohl die Veränderungen in den<lb/> Sprachen im Ganzen in kürzeren Zeiträumen vor sich ge-<lb/> gangen sein, als in der Thier- und Pflanzenwelt, so dass<lb/> Zoologen und Botaniker etwa erst dann mit uns gleich gün-<lb/> stig gestellt wären, wenn wenigstens von einigen Gattungen<lb/> ganze Reihen sogenannter vorweltlicher Formen in vollkom-<lb/> men erhaltenen Exemplaren, also mit Haut und Haar, mit<lb/></p> </body> </text> </TEI> [18/0020]
chen, die wir zufällig deshalb so lange Zeiträume hindurch
beobachten können, weil die sie redenden Völker glück-
licherweise aus verhältnissmässig früher Zeit Schriftdenk-
male hinterlassen haben, wirklich vorliegt, das muss auch
bei den anderen Sprachsippen vorausgesetzt werden, denen
dergleichen Bilder ihrer früheren Formen abgehen. Wir
wissen also geradezu aus vorliegenden Beobachtungsreihen,
dass die Sprachen sich verändern so lange sie leben, und
diese längeren Beobachtungsreihen verdanken wir der Schrift.
Wäre die Schrift bis auf den heutigen Tag noch nicht
erfunden, so würden die Sprachkenner wohl niemals auf
den Gedanken gekommen sein, dass Sprachen wie z. B.
Russisch, Deutsch und Französisch schliesslich von einer und
derselben Sprache abstammen. Vielleicht wäre man dann
überhaupt gar nicht darauf verfallen gemeinsamen Ursprung
für irgend welche Sprachen, seien sie auch sehr nahe ver-
wandt, vorauszusetzen und überhaupt anzunehmen, dass die
Sprache veränderlich ist. Wir wären ohne Schrift noch
viel übeler daran als Botaniker und Zoologen, denen doch
Reste früherer Bildungen zu Gebote stehen und deren wis-
senschaftliche Objecte sich überhaupt leichter beobachten
lassen als Sprachen. So aber haben wir mehr Beobach-
tungsmaterial als die übrigen Naturforscher und sind daher
früher auf den Gedanken der Unursprünglichkeit der Arten
gekommen. Auch mögen wohl die Veränderungen in den
Sprachen im Ganzen in kürzeren Zeiträumen vor sich ge-
gangen sein, als in der Thier- und Pflanzenwelt, so dass
Zoologen und Botaniker etwa erst dann mit uns gleich gün-
stig gestellt wären, wenn wenigstens von einigen Gattungen
ganze Reihen sogenannter vorweltlicher Formen in vollkom-
men erhaltenen Exemplaren, also mit Haut und Haar, mit
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