Schleicher, August: Die Darwinsche Theorie und die Sprachwissenschaft. Weimar, 1863.genden Zeilen einen oder den andern angehenden Sprach- Die Sprachen sind Naturorganismen, die, ohne vom genden Zeilen einen oder den andern angehenden Sprach- Die Sprachen sind Naturorganismen, die, ohne vom <TEI> <text> <body> <p><pb facs="#f0006" n="6"/> genden Zeilen einen oder den andern angehenden Sprach-<lb/> forscher dazu in Betreff der Methode bei tüchtigen Bota-<lb/> nikern und Zoologen in die Schule zu gehen. Auf mein<lb/> Wort, er wird es nicht zu bereuen haben. Ich wenigstens<lb/> weiss sehr wohl, was ich dem Studium von Werken, wie<lb/> Schleidens wissenschaftliche Botanik, Carl Vogts physiolo-<lb/> gische Briefe u. s. f. für die Erfassung des Wesens und des<lb/> Lebens der Sprache zu danken habe. Habe ich doch aus<lb/> diesen Büchern zuerst erfahren, was Entwickelungsgeschichte<lb/> ist. Bei den Naturforschern kann man einsehen lernen,<lb/> dass für die Wissenschaft nur die durch sichere, streng ob-<lb/> jective Beobachtung festgestellte Thatsache und der auf<lb/> diese gebaute richtige Schluss Geltung hat; eine Erkennt-<lb/> niss, die manchem meiner Collegen von Nutzen wäre. Sub-<lb/> jektives Deuteln, haltloses Etymologisieren, vage Vermu-<lb/> thungen ins Blaue hinein, kurz alles, wodurch die sprach-<lb/> lichen Studien ihrer wissenschaftlichen Strenge beraubt und<lb/> in den Augen einsichtiger Leute herabgesetzt, ja sogar<lb/> lächerlich gemacht werden, wird demjenigen gründlich ver-<lb/> leidet, der sich auf den oben angedeuteten Standpunkt<lb/> nüchterner Beobachtung zu stellen gelernt hat. Nur die<lb/> genaue Beobachtung der Organismen und ihrer Lebens-<lb/> gesetze, nur die völlige Hingabe an das wissenschaftliche<lb/> Object soll die Grundlage auch unserer Disciplin bilden;<lb/> alles noch so geistreiche Gerede, das jenes festen Grundes<lb/> enträth, ist jedes wissenschaftlichen Werthes bar und ledig.</p><lb/> <p>Die Sprachen sind Naturorganismen, die, ohne vom<lb/> Willen des Menschen bestimmbar zu sein, entstunden, nach<lb/> bestimmten Gesetzen wuchsen und sich entwickelten und<lb/> wiederum altern und absterben; auch ihnen ist jene Reihe<lb/> von Erscheinungen eigen, die man unter dem ‘Lebens’<lb/></p> </body> </text> </TEI> [6/0006]
genden Zeilen einen oder den andern angehenden Sprach-
forscher dazu in Betreff der Methode bei tüchtigen Bota-
nikern und Zoologen in die Schule zu gehen. Auf mein
Wort, er wird es nicht zu bereuen haben. Ich wenigstens
weiss sehr wohl, was ich dem Studium von Werken, wie
Schleidens wissenschaftliche Botanik, Carl Vogts physiolo-
gische Briefe u. s. f. für die Erfassung des Wesens und des
Lebens der Sprache zu danken habe. Habe ich doch aus
diesen Büchern zuerst erfahren, was Entwickelungsgeschichte
ist. Bei den Naturforschern kann man einsehen lernen,
dass für die Wissenschaft nur die durch sichere, streng ob-
jective Beobachtung festgestellte Thatsache und der auf
diese gebaute richtige Schluss Geltung hat; eine Erkennt-
niss, die manchem meiner Collegen von Nutzen wäre. Sub-
jektives Deuteln, haltloses Etymologisieren, vage Vermu-
thungen ins Blaue hinein, kurz alles, wodurch die sprach-
lichen Studien ihrer wissenschaftlichen Strenge beraubt und
in den Augen einsichtiger Leute herabgesetzt, ja sogar
lächerlich gemacht werden, wird demjenigen gründlich ver-
leidet, der sich auf den oben angedeuteten Standpunkt
nüchterner Beobachtung zu stellen gelernt hat. Nur die
genaue Beobachtung der Organismen und ihrer Lebens-
gesetze, nur die völlige Hingabe an das wissenschaftliche
Object soll die Grundlage auch unserer Disciplin bilden;
alles noch so geistreiche Gerede, das jenes festen Grundes
enträth, ist jedes wissenschaftlichen Werthes bar und ledig.
Die Sprachen sind Naturorganismen, die, ohne vom
Willen des Menschen bestimmbar zu sein, entstunden, nach
bestimmten Gesetzen wuchsen und sich entwickelten und
wiederum altern und absterben; auch ihnen ist jene Reihe
von Erscheinungen eigen, die man unter dem ‘Lebens’
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