Schleiden, Matthias Jacob: Das Alter des Menschengeschlechts, die Entstehung der Arten und die Stellung des Menschen in der Natur. Leipzig, 1863.Zweite Vorlesung. In meinem vorigen Berichte habe ich ein Beispiel der Art vorge¬ Man war lange von der Voraussetzung ausgegangen, daß es eine Die Entdeckungen der Geognosie mußten diesem Vorurtheil bald Zweite Vorleſung. In meinem vorigen Berichte habe ich ein Beiſpiel der Art vorge¬ Man war lange von der Vorausſetzung ausgegangen, daß es eine Die Entdeckungen der Geognoſie mußten dieſem Vorurtheil bald <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0036" n="26"/> <fw place="top" type="header">Zweite Vorleſung.<lb/></fw> <p>In meinem vorigen Berichte habe ich ein Beiſpiel der Art <choice><sic>vorge¬<lb/> geführt</sic><corr>vorge¬<lb/> führt</corr></choice>, der heutige Bericht iſt beſtimmt, ein zweites zu erläutern.</p><lb/> <p>Man war lange von der Vorausſetzung ausgegangen, daß es eine<lb/> gewiſſe feſtſtehende Zahl von Pflanzen- und Thierarten auf der Erde<lb/> gebe und daß die Naturgeſchichte ihr Endziel erreicht habe, wenn ſie<lb/> dieſe Arten ſämmtlich erkannt, unterſchieden und vollkommen beſchrie¬<lb/> ben habe. Beſonders lebendig und zum allgemeinen Bewußtſein ge¬<lb/> bracht wurde dieſer Gedanke durch den Begründer der ſyſtematiſchen<lb/> Naturgeſchichte <hi rendition="#g">Linné</hi>, der allerdings ſich dieſe Aufgabe gar nicht ſo<lb/> bedeutend vorſtellte, wie ſie unſeren gegenwärtigen Kenntniſſen zufolge<lb/> in der That iſt. In der erſten Ausgabe ſeines Syſtems der Pflanzen¬<lb/> arten ſpricht er ſeine Anſicht dahin aus, daß auf der ganzen Erde die<lb/> Anzahl der Pflanzen ſchwerlich 10,000 erreiche. Gegenwärtig kennen<lb/> wir ſchon ungefähr 200,000. — Der Gedanke ſtand bei den Bearbei¬<lb/> tern der Naturgeſchichte feſt, daß die gegenwärtig auf der Erde vor¬<lb/> handenen Pflanzen und Thiere von jeher auf derſelben gelebt hätten<lb/> und in ununterbrochner Geſchlechtsfolge von den mit der Erde zugleich<lb/> geſchaffenen Stammexemplaren abſtammten. Wiſſenſchaftliche Gründe<lb/> für dieſe Anſicht gab es durchaus nicht, gleichwohl wurde ſie wie ein<lb/> Glaubensſatz feſtgehalten und war auch in der That ein ſolcher. Es<lb/> war ein Vorurtheil, welches aus einer falſchen und beſchränkten Auf¬<lb/> faſſung der bibliſchen Schöpfungsſage durch den Jugendunterricht auch<lb/> in die Köpfe der Gelehrten gekommen war, ſo daß dieſelben mit ſe¬<lb/> henden Augen blind waren und in einigen närriſchen Beiſpielen noch<lb/> jetzt ſind. —</p><lb/> <p>Die Entdeckungen der Geognoſie mußten dieſem Vorurtheil bald<lb/> ein Ende machen. Sobald man erkannte, daß die feſte Rinde unſeres<lb/> Planeten eine lange Entwicklungsgeſchichte durchlaufen habe, ſobald<lb/> man dieſelbe mit wiſſenſchaftlicher Strenge und Anordnung in Forma¬<lb/> tionen, Perioden und Epochen eintheilen lernte und dann fand, daß die<lb/> organiſchen Geſtalten der Pflanzen- und Thier-Welt in jeder Periode<lb/> und noch gewiſſer in jeder Epoche durchaus andere geweſen ſind, da<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [26/0036]
Zweite Vorleſung.
In meinem vorigen Berichte habe ich ein Beiſpiel der Art vorge¬
führt, der heutige Bericht iſt beſtimmt, ein zweites zu erläutern.
Man war lange von der Vorausſetzung ausgegangen, daß es eine
gewiſſe feſtſtehende Zahl von Pflanzen- und Thierarten auf der Erde
gebe und daß die Naturgeſchichte ihr Endziel erreicht habe, wenn ſie
dieſe Arten ſämmtlich erkannt, unterſchieden und vollkommen beſchrie¬
ben habe. Beſonders lebendig und zum allgemeinen Bewußtſein ge¬
bracht wurde dieſer Gedanke durch den Begründer der ſyſtematiſchen
Naturgeſchichte Linné, der allerdings ſich dieſe Aufgabe gar nicht ſo
bedeutend vorſtellte, wie ſie unſeren gegenwärtigen Kenntniſſen zufolge
in der That iſt. In der erſten Ausgabe ſeines Syſtems der Pflanzen¬
arten ſpricht er ſeine Anſicht dahin aus, daß auf der ganzen Erde die
Anzahl der Pflanzen ſchwerlich 10,000 erreiche. Gegenwärtig kennen
wir ſchon ungefähr 200,000. — Der Gedanke ſtand bei den Bearbei¬
tern der Naturgeſchichte feſt, daß die gegenwärtig auf der Erde vor¬
handenen Pflanzen und Thiere von jeher auf derſelben gelebt hätten
und in ununterbrochner Geſchlechtsfolge von den mit der Erde zugleich
geſchaffenen Stammexemplaren abſtammten. Wiſſenſchaftliche Gründe
für dieſe Anſicht gab es durchaus nicht, gleichwohl wurde ſie wie ein
Glaubensſatz feſtgehalten und war auch in der That ein ſolcher. Es
war ein Vorurtheil, welches aus einer falſchen und beſchränkten Auf¬
faſſung der bibliſchen Schöpfungsſage durch den Jugendunterricht auch
in die Köpfe der Gelehrten gekommen war, ſo daß dieſelben mit ſe¬
henden Augen blind waren und in einigen närriſchen Beiſpielen noch
jetzt ſind. —
Die Entdeckungen der Geognoſie mußten dieſem Vorurtheil bald
ein Ende machen. Sobald man erkannte, daß die feſte Rinde unſeres
Planeten eine lange Entwicklungsgeſchichte durchlaufen habe, ſobald
man dieſelbe mit wiſſenſchaftlicher Strenge und Anordnung in Forma¬
tionen, Perioden und Epochen eintheilen lernte und dann fand, daß die
organiſchen Geſtalten der Pflanzen- und Thier-Welt in jeder Periode
und noch gewiſſer in jeder Epoche durchaus andere geweſen ſind, da
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