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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848.

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bilden, die sich mit zahlreichen ganz isolirten, staubähnlichen Zellen
füllen und diese letztern dadurch, daß sie regelmäßig sich öffnen, aus-
streuen. Diese Blätter nennt man "Staubfäden" oder so weit
die Höhlen reichen "Staubbeutel" und die isolirten Zellen
"Blüthenstaub" oder "Pollen."

An der hier betrachteten Idealpflanze braucht man nun nur die
etwas zusammengesetztern Laubblätter (cI. und cII.) wegzulassen, die
Zahl der Blattorgane der Blüthe bis auf fünf vermehrt und in vier
Kreise verwachsen zu denken, endlich ebenfalls statt der einen Saamen-
knospe viele anzunehmen, die auf einem knopfförmigen Ende des
Stengels sich vereinigen, so erhält man ein Pflänzchen jener oben
genannten kleinen Anagallis.

Wollten wir aber aus dieser Idealpflanze nun die einfacheren
Pflanzenformen z. B. Farnkräuter, Moose, Schwämme u. s. w.
ableiten, so müssten wir dieselbe so zusammenstreichen und verschmel-
zen, daß zuletzt gar Nichts mehr übrig bliebe, was noch eine entfernte
Beziehung zu ihr hätte. Nun kann es uns aber mit den Versuchen
einer morphologischen Gesetzgebung eben so wenig darum zu thun
seyn, statt in der wirklichen Welt nur in den spielerischen Producten
unserer Einbildungskraft uns zu bewegen, als uns mit Erklärungen
und Gesetzen zu begnügen, welche nur für einen kleinen Theil der
Pflanzenwelt Anwendung finden, während alles Uebrige dunkel und
nnverständlich bleibt. Es ist daher mit Göthes Urpflanze überhaupt
nichts anzufangen und wir müssen uns nach anderen Eingängen in die
Betrachtung der verwickelten Formenverhältnisse der Pflanzenwelt
umsehen. --

Die Sache hat größere Schwierigkeiten als es anfänglich den
Anschein hat, und um eine richtige Einsicht in diese Fragen sich zu
verschaffen, um selbst grobe Fehler zu vermeiden, die sogar von aus-
gezeichneten Forschern begangen sind und noch täglich begangen wer-
den, muß man weit über das Gebiet der Pflanzenwelt um sich blicken.
Wenn wir von Formen, von Gestalten reden, so meinen wir damit
bestimmt begrenzte Körper in der Natur. -- Der Begriff eines jeden

bilden, die ſich mit zahlreichen ganz iſolirten, ſtaubähnlichen Zellen
füllen und dieſe letztern dadurch, daß ſie regelmäßig ſich öffnen, aus-
ſtreuen. Dieſe Blätter nennt man „Staubfäden“ oder ſo weit
die Höhlen reichen „Staubbeutel“ und die iſolirten Zellen
Blüthenſtaub“ oder „Pollen.“

An der hier betrachteten Idealpflanze braucht man nun nur die
etwas zuſammengeſetztern Laubblätter (cI. und cII.) wegzulaſſen, die
Zahl der Blattorgane der Blüthe bis auf fünf vermehrt und in vier
Kreiſe verwachſen zu denken, endlich ebenfalls ſtatt der einen Saamen-
knospe viele anzunehmen, die auf einem knopfförmigen Ende des
Stengels ſich vereinigen, ſo erhält man ein Pflänzchen jener oben
genannten kleinen Anagallis.

Wollten wir aber aus dieſer Idealpflanze nun die einfacheren
Pflanzenformen z. B. Farnkräuter, Mooſe, Schwämme u. ſ. w.
ableiten, ſo müſſten wir dieſelbe ſo zuſammenſtreichen und verſchmel-
zen, daß zuletzt gar Nichts mehr übrig bliebe, was noch eine entfernte
Beziehung zu ihr hätte. Nun kann es uns aber mit den Verſuchen
einer morphologiſchen Geſetzgebung eben ſo wenig darum zu thun
ſeyn, ſtatt in der wirklichen Welt nur in den ſpieleriſchen Producten
unſerer Einbildungskraft uns zu bewegen, als uns mit Erklärungen
und Geſetzen zu begnügen, welche nur für einen kleinen Theil der
Pflanzenwelt Anwendung finden, während alles Uebrige dunkel und
nnverſtändlich bleibt. Es iſt daher mit Göthes Urpflanze überhaupt
nichts anzufangen und wir müſſen uns nach anderen Eingängen in die
Betrachtung der verwickelten Formenverhältniſſe der Pflanzenwelt
umſehen. —

Die Sache hat größere Schwierigkeiten als es anfänglich den
Anſchein hat, und um eine richtige Einſicht in dieſe Fragen ſich zu
verſchaffen, um ſelbſt grobe Fehler zu vermeiden, die ſogar von aus-
gezeichneten Forſchern begangen ſind und noch täglich begangen wer-
den, muß man weit über das Gebiet der Pflanzenwelt um ſich blicken.
Wenn wir von Formen, von Geſtalten reden, ſo meinen wir damit
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[84/0100] bilden, die ſich mit zahlreichen ganz iſolirten, ſtaubähnlichen Zellen füllen und dieſe letztern dadurch, daß ſie regelmäßig ſich öffnen, aus- ſtreuen. Dieſe Blätter nennt man „Staubfäden“ oder ſo weit die Höhlen reichen „Staubbeutel“ und die iſolirten Zellen „Blüthenſtaub“ oder „Pollen.“ An der hier betrachteten Idealpflanze braucht man nun nur die etwas zuſammengeſetztern Laubblätter (cI. und cII.) wegzulaſſen, die Zahl der Blattorgane der Blüthe bis auf fünf vermehrt und in vier Kreiſe verwachſen zu denken, endlich ebenfalls ſtatt der einen Saamen- knospe viele anzunehmen, die auf einem knopfförmigen Ende des Stengels ſich vereinigen, ſo erhält man ein Pflänzchen jener oben genannten kleinen Anagallis. Wollten wir aber aus dieſer Idealpflanze nun die einfacheren Pflanzenformen z. B. Farnkräuter, Mooſe, Schwämme u. ſ. w. ableiten, ſo müſſten wir dieſelbe ſo zuſammenſtreichen und verſchmel- zen, daß zuletzt gar Nichts mehr übrig bliebe, was noch eine entfernte Beziehung zu ihr hätte. Nun kann es uns aber mit den Verſuchen einer morphologiſchen Geſetzgebung eben ſo wenig darum zu thun ſeyn, ſtatt in der wirklichen Welt nur in den ſpieleriſchen Producten unſerer Einbildungskraft uns zu bewegen, als uns mit Erklärungen und Geſetzen zu begnügen, welche nur für einen kleinen Theil der Pflanzenwelt Anwendung finden, während alles Uebrige dunkel und nnverſtändlich bleibt. Es iſt daher mit Göthes Urpflanze überhaupt nichts anzufangen und wir müſſen uns nach anderen Eingängen in die Betrachtung der verwickelten Formenverhältniſſe der Pflanzenwelt umſehen. — Die Sache hat größere Schwierigkeiten als es anfänglich den Anſchein hat, und um eine richtige Einſicht in dieſe Fragen ſich zu verſchaffen, um ſelbſt grobe Fehler zu vermeiden, die ſogar von aus- gezeichneten Forſchern begangen ſind und noch täglich begangen wer- den, muß man weit über das Gebiet der Pflanzenwelt um ſich blicken. Wenn wir von Formen, von Geſtalten reden, ſo meinen wir damit beſtimmt begrenzte Körper in der Natur. — Der Begriff eines jeden

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Zitationshilfe: Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/100>, abgerufen am 04.12.2024.