Wenn wir den Gelehrten fragen, was ihn treibt, daß er allen Genüssen des Lebens fern auf seinem einsamen Stübchen über den abstractesten Problemen brütet, den Soldaten, warum er sich's ge- fallen läßt, in Staub und Schweiß die saure Recrutenschule durch- zumachen, den regsamen Kaufmann, zu welchem Endzweck er früh und spät Bedürfniß und Ueberfluß auf der Erde durch seine Thätigkeit auszugleichen sucht, ja wenn wir selbst beim Verbrecher nach der Ursache forschen, die ihn verwegen dem schimpflichen Tode trotzen läßt, so werden wir von Allen eine Antwort vernehmen, deren Kern nach Abzug der einkleidenden Redensarten lautet: "Was soll man machen, man muß wohl; der Mensch kann einmal nicht von der Luft leben." Die Antwort scheint denn auch Jedermann einleuchtend und selbst die strenge Criminaljustiz ist von der Gültigkeit dieser Rede so überzeugt, daß sie den Hunger als Milderungsgrund in gewissen Fällen gelten läßt.
Da kommt aber der Naturforscher, ein unbequemer Mensch, der keine Autorität anerkennen will, an Nichts glaubt, als was er mit Händen greifen kann, und spricht: "Ihr närrischen Leute, der Mensch kann allerdings von der Luft leben, ja er lebt allein von Luft und von gar nichts Anderem." Das scheint nun dem Theologen eine gar an- maßliche Rede, er mahnt zürnend: "Mensch, bedenke dein Ende, du bist vom Staube und mußt einst wieder zu Staub werden. -- O der Thorheit! lacht der Naturforscher, das wäre eine seltsame Verwand- lung der Stoffe; aus der Luft stammen wir und in die Luft kehren wir bei unserer endlichen Auflösung wieder zurück." Das ärgert nun
Wenn wir den Gelehrten fragen, was ihn treibt, daß er allen Genüſſen des Lebens fern auf ſeinem einſamen Stübchen über den abſtracteſten Problemen brütet, den Soldaten, warum er ſich's ge- fallen läßt, in Staub und Schweiß die ſaure Recrutenſchule durch- zumachen, den regſamen Kaufmann, zu welchem Endzweck er früh und ſpät Bedürfniß und Ueberfluß auf der Erde durch ſeine Thätigkeit auszugleichen ſucht, ja wenn wir ſelbſt beim Verbrecher nach der Urſache forſchen, die ihn verwegen dem ſchimpflichen Tode trotzen läßt, ſo werden wir von Allen eine Antwort vernehmen, deren Kern nach Abzug der einkleidenden Redensarten lautet: „Was ſoll man machen, man muß wohl; der Menſch kann einmal nicht von der Luft leben.“ Die Antwort ſcheint denn auch Jedermann einleuchtend und ſelbſt die ſtrenge Criminaljuſtiz iſt von der Gültigkeit dieſer Rede ſo überzeugt, daß ſie den Hunger als Milderungsgrund in gewiſſen Fällen gelten läßt.
Da kommt aber der Naturforſcher, ein unbequemer Menſch, der keine Autorität anerkennen will, an Nichts glaubt, als was er mit Händen greifen kann, und ſpricht: „Ihr närriſchen Leute, der Menſch kann allerdings von der Luft leben, ja er lebt allein von Luft und von gar nichts Anderem.“ Das ſcheint nun dem Theologen eine gar an- maßliche Rede, er mahnt zürnend: „Menſch, bedenke dein Ende, du biſt vom Staube und mußt einſt wieder zu Staub werden. — O der Thorheit! lacht der Naturforſcher, das wäre eine ſeltſame Verwand- lung der Stoffe; aus der Luft ſtammen wir und in die Luft kehren wir bei unſerer endlichen Auflöſung wieder zurück.“ Das ärgert nun
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Wenn wir den Gelehrten fragen, was ihn treibt, daß er allen
Genüſſen des Lebens fern auf ſeinem einſamen Stübchen über den
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fallen läßt, in Staub und Schweiß die ſaure Recrutenſchule durch-
zumachen, den regſamen Kaufmann, zu welchem Endzweck er früh
und ſpät Bedürfniß und Ueberfluß auf der Erde durch ſeine Thätigkeit
auszugleichen ſucht, ja wenn wir ſelbſt beim Verbrecher nach der
Urſache forſchen, die ihn verwegen dem ſchimpflichen Tode trotzen
läßt, ſo werden wir von Allen eine Antwort vernehmen, deren Kern
nach Abzug der einkleidenden Redensarten lautet: „Was ſoll man
machen, man muß wohl; der Menſch kann einmal nicht von der Luft
leben.“ Die Antwort ſcheint denn auch Jedermann einleuchtend und
ſelbſt die ſtrenge Criminaljuſtiz iſt von der Gültigkeit dieſer Rede ſo
überzeugt, daß ſie den Hunger als Milderungsgrund in gewiſſen
Fällen gelten läßt.
Da kommt aber der Naturforſcher, ein unbequemer Menſch, der
keine Autorität anerkennen will, an Nichts glaubt, als was er mit
Händen greifen kann, und ſpricht: „Ihr närriſchen Leute, der Menſch
kann allerdings von der Luft leben, ja er lebt allein von Luft und von
gar nichts Anderem.“ Das ſcheint nun dem Theologen eine gar an-
maßliche Rede, er mahnt zürnend: „Menſch, bedenke dein Ende, du
biſt vom Staube und mußt einſt wieder zu Staub werden. — O der
Thorheit! lacht der Naturforſcher, das wäre eine ſeltſame Verwand-
lung der Stoffe; aus der Luft ſtammen wir und in die Luft kehren
wir bei unſerer endlichen Auflöſung wieder zurück.“ Das ärgert nun
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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. [125]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/141>, abgerufen am 21.11.2024.
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