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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848.

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aber einen großen Irrthum begehen, wenn man glaubte, daß dieses
Regenwasser alles den Pflanzen zu Gute käme. Es verfliegt vielmehr
gleich ein großer Theil in die Luft, aber ein noch bei Weitem größerer
Theil läuft ab und wird durch Quellen, Bäche und Flüsse dem Meere
zugeführt. Zur Bestimmung dieser letzten Menge besitzen wir immer
noch nicht genügend genaue Messungen und Berechnungen. Auffallend
aber ist es, daß, so wie sich im Laufe der Jahrhunderte die Methoden
der Bestimmung mehr und mehr entwickelt haben, so wie die Beobach-
tungen genauer wurden, sich auch herausstellte, daß man früher diese
Wassermenge viel zu klein angeschlagen habe. Die ältern Physiker
nahmen an, daß etwa 1/6 des als Regen fallenden Wassers durch
die Flüsse dem Meere zugeführt werde. Die schon viel genaueren Be-
rechnungen von Dausse für die Seine und von D'Alton für die
Themse zeigten, daß man wenigstens 1/3 annehmen könne. Noch ge-
nauer sind die Angaben von Berghaus für den untern Rheinlauf,
wonach 3/4, und von Studer für den obern Rhein, wonach 4/5 alles
Regens, Schnee's und Thau's durch den Rhein abfließen würde.
Endlich sind die von Berghaus über die Weser mitgetheilten sehr
ins Specielle gehenden Thatsachen der Art, daß es beinahe wahr-
scheinlich wird, daß dieser Fluß noch etwas mehr Wasser abführt, als
ihm die atmosphärischen Niederschläge liefern können, daß also noch
andere Naturprocesse ihn mit Wasser versorgen müssen. Nehmen wir
aber auch an, daß im Ganzen nur die Hälfte des Regenwassers abfließt,
so ergiebt sich doch sogleich die Unmöglichkeit, daß die übrigbleibenden
800,000 Pfund Wasser, auch abgesehen von der Verdunstung, den
Bedarf der Pflanzen decken können, welcher von 3 bis zu 6 Millionen
beträgt. Es muß den Pflanzen also der Wasserdunst der Luft noch auf
andere Weise zugeführt werden, und dieses geschieht durch die Eigen-
schaft der meisten den Boden bildenden Bestandtheile, die Wasser-
dünste der Luft einzusaugen. Diese Eigenschaft kommt aber keiner
Substanz in so hohem Grade zu, als dem aus der allmäligen Ver-
wesung der organischen Substanzen entstandenen Humus. Merk-
würdiger Weise zeichnet sich aber der Humus auch durch seine besondere

aber einen großen Irrthum begehen, wenn man glaubte, daß dieſes
Regenwaſſer alles den Pflanzen zu Gute käme. Es verfliegt vielmehr
gleich ein großer Theil in die Luft, aber ein noch bei Weitem größerer
Theil läuft ab und wird durch Quellen, Bäche und Flüſſe dem Meere
zugeführt. Zur Beſtimmung dieſer letzten Menge beſitzen wir immer
noch nicht genügend genaue Meſſungen und Berechnungen. Auffallend
aber iſt es, daß, ſo wie ſich im Laufe der Jahrhunderte die Methoden
der Beſtimmung mehr und mehr entwickelt haben, ſo wie die Beobach-
tungen genauer wurden, ſich auch herausſtellte, daß man früher dieſe
Waſſermenge viel zu klein angeſchlagen habe. Die ältern Phyſiker
nahmen an, daß etwa ⅙ des als Regen fallenden Waſſers durch
die Flüſſe dem Meere zugeführt werde. Die ſchon viel genaueren Be-
rechnungen von Dauſſe für die Seine und von D'Alton für die
Themſe zeigten, daß man wenigſtens ⅓ annehmen könne. Noch ge-
nauer ſind die Angaben von Berghaus für den untern Rheinlauf,
wonach ¾, und von Studer für den obern Rhein, wonach ⅘ alles
Regens, Schnee's und Thau's durch den Rhein abfließen würde.
Endlich ſind die von Berghaus über die Weſer mitgetheilten ſehr
ins Specielle gehenden Thatſachen der Art, daß es beinahe wahr-
ſcheinlich wird, daß dieſer Fluß noch etwas mehr Waſſer abführt, als
ihm die atmoſphäriſchen Niederſchläge liefern können, daß alſo noch
andere Naturproceſſe ihn mit Waſſer verſorgen müſſen. Nehmen wir
aber auch an, daß im Ganzen nur die Hälfte des Regenwaſſers abfließt,
ſo ergiebt ſich doch ſogleich die Unmöglichkeit, daß die übrigbleibenden
800,000 Pfund Waſſer, auch abgeſehen von der Verdunſtung, den
Bedarf der Pflanzen decken können, welcher von 3 bis zu 6 Millionen
beträgt. Es muß den Pflanzen alſo der Waſſerdunſt der Luft noch auf
andere Weiſe zugeführt werden, und dieſes geſchieht durch die Eigen-
ſchaft der meiſten den Boden bildenden Beſtandtheile, die Waſſer-
dünſte der Luft einzuſaugen. Dieſe Eigenſchaft kommt aber keiner
Subſtanz in ſo hohem Grade zu, als dem aus der allmäligen Ver-
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[150/0166] aber einen großen Irrthum begehen, wenn man glaubte, daß dieſes Regenwaſſer alles den Pflanzen zu Gute käme. Es verfliegt vielmehr gleich ein großer Theil in die Luft, aber ein noch bei Weitem größerer Theil läuft ab und wird durch Quellen, Bäche und Flüſſe dem Meere zugeführt. Zur Beſtimmung dieſer letzten Menge beſitzen wir immer noch nicht genügend genaue Meſſungen und Berechnungen. Auffallend aber iſt es, daß, ſo wie ſich im Laufe der Jahrhunderte die Methoden der Beſtimmung mehr und mehr entwickelt haben, ſo wie die Beobach- tungen genauer wurden, ſich auch herausſtellte, daß man früher dieſe Waſſermenge viel zu klein angeſchlagen habe. Die ältern Phyſiker nahmen an, daß etwa ⅙ des als Regen fallenden Waſſers durch die Flüſſe dem Meere zugeführt werde. Die ſchon viel genaueren Be- rechnungen von Dauſſe für die Seine und von D'Alton für die Themſe zeigten, daß man wenigſtens ⅓ annehmen könne. Noch ge- nauer ſind die Angaben von Berghaus für den untern Rheinlauf, wonach ¾, und von Studer für den obern Rhein, wonach ⅘ alles Regens, Schnee's und Thau's durch den Rhein abfließen würde. Endlich ſind die von Berghaus über die Weſer mitgetheilten ſehr ins Specielle gehenden Thatſachen der Art, daß es beinahe wahr- ſcheinlich wird, daß dieſer Fluß noch etwas mehr Waſſer abführt, als ihm die atmoſphäriſchen Niederſchläge liefern können, daß alſo noch andere Naturproceſſe ihn mit Waſſer verſorgen müſſen. Nehmen wir aber auch an, daß im Ganzen nur die Hälfte des Regenwaſſers abfließt, ſo ergiebt ſich doch ſogleich die Unmöglichkeit, daß die übrigbleibenden 800,000 Pfund Waſſer, auch abgeſehen von der Verdunſtung, den Bedarf der Pflanzen decken können, welcher von 3 bis zu 6 Millionen beträgt. Es muß den Pflanzen alſo der Waſſerdunſt der Luft noch auf andere Weiſe zugeführt werden, und dieſes geſchieht durch die Eigen- ſchaft der meiſten den Boden bildenden Beſtandtheile, die Waſſer- dünſte der Luft einzuſaugen. Dieſe Eigenſchaft kommt aber keiner Subſtanz in ſo hohem Grade zu, als dem aus der allmäligen Ver- weſung der organiſchen Subſtanzen entſtandenen Humus. Merk- würdiger Weiſe zeichnet ſich aber der Humus auch durch ſeine beſondere

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Zitationshilfe: Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/166>, abgerufen am 21.11.2024.