wir die Pflanzen der Jetztwelt ganz mit denselben Merkmalen, welche sie noch jetzt zeigen, in den Schutt der letzten Revolution der Erdoberfläche eingeschlossen. Ganz Hamburg, sein Hafen und ein breiter Streifen nach Südost und Nordwest von dieser Stadt z. B. ruht auf einem untergegangenen Walde, der jetzt 30 bis 100 Fuß unter der Oberfläche begraben ist. Dieser bestand ganz aus denselben Linden und Eichen, die wir jetzt noch in jenen Gegenden kennen; zu andern Zwecken angestellte Aufgrabungen haben Tau- sende von Haselnüssen aus jenem Grunde zu Tage gebracht, welche in Nichts von unserer heutigen Haselnuß verschieden sind. So hat sich für unsre Breiten die wilde Vegetation seit Jahrtausenden ganz in demselben Charakter erhalten, den sie angenommen hatte, als sich nach der letzten Erdrevolution die climatischen Verhältnisse so gestaltet hatten, wie sie gegenwärtig von uns beobachtet werden. Ganz anders verhält es sich mit unserm Culturboden, von welchem ich hier nur das Gartenland berücksichtigen will, weil es die hervor- zuhebenden Eigenheiten in der auffallendsten Weise zeigt.
Wir beschränken unsern sorgfältigen Pflanzenbau auf eine ge- wisse verhältnißmäßig kleine Anzahl von Kräutern, und die Aus- wahl derselben, in früherer Zeit dem Zufalle überlassen, jetzt nicht selten mit Bewußtsein nach bestimmten Grundsätzen geleitet, wird besonders durch Eine Hauptrücksicht bestimmt.
Unsere Culturpflanzen zeigen sämmtlich Merkmale, die ihnen im wilden Zustande nicht zukommen, welche aber gerade das um- fassen, was uns dieselben werth macht. Die 4 bis 6 Pfund schwere, süße, saftige Altring hammöhre ist im wilden Zustande eine dürre, dünne, ungenießbare Wurzel; der faustgroße, zarte, wohl- schmeckende Wiener Glaskohlrabi ist wild ein schlanker, holziger, saftloser Stengel; der weiße, weiche, gewürzige Blumenkohl ist auf seinem natürlichen Standort, in seiner natürlichen Tracht, ein faden- dünner, verzweigter Blüthenstiel mit kleinen grünen, bitter schmec- kenden Blüthenknospen und so fort. Alle diese so verschiedenen Ei- genheiten, wodurch die Pflanzen so wichtige Begleiter des mensch-
wir die Pflanzen der Jetztwelt ganz mit denſelben Merkmalen, welche ſie noch jetzt zeigen, in den Schutt der letzten Revolution der Erdoberfläche eingeſchloſſen. Ganz Hamburg, ſein Hafen und ein breiter Streifen nach Südoſt und Nordweſt von dieſer Stadt z. B. ruht auf einem untergegangenen Walde, der jetzt 30 bis 100 Fuß unter der Oberfläche begraben iſt. Dieſer beſtand ganz aus denſelben Linden und Eichen, die wir jetzt noch in jenen Gegenden kennen; zu andern Zwecken angeſtellte Aufgrabungen haben Tau- ſende von Haſelnüſſen aus jenem Grunde zu Tage gebracht, welche in Nichts von unſerer heutigen Haſelnuß verſchieden ſind. So hat ſich für unſre Breiten die wilde Vegetation ſeit Jahrtauſenden ganz in demſelben Charakter erhalten, den ſie angenommen hatte, als ſich nach der letzten Erdrevolution die climatiſchen Verhältniſſe ſo geſtaltet hatten, wie ſie gegenwärtig von uns beobachtet werden. Ganz anders verhält es ſich mit unſerm Culturboden, von welchem ich hier nur das Gartenland berückſichtigen will, weil es die hervor- zuhebenden Eigenheiten in der auffallendſten Weiſe zeigt.
Wir beſchränken unſern ſorgfältigen Pflanzenbau auf eine ge- wiſſe verhältnißmäßig kleine Anzahl von Kräutern, und die Aus- wahl derſelben, in früherer Zeit dem Zufalle überlaſſen, jetzt nicht ſelten mit Bewußtſein nach beſtimmten Grundſätzen geleitet, wird beſonders durch Eine Hauptrückſicht beſtimmt.
Unſere Culturpflanzen zeigen ſämmtlich Merkmale, die ihnen im wilden Zuſtande nicht zukommen, welche aber gerade das um- faſſen, was uns dieſelben werth macht. Die 4 bis 6 Pfund ſchwere, ſüße, ſaftige Altring hammöhre iſt im wilden Zuſtande eine dürre, dünne, ungenießbare Wurzel; der fauſtgroße, zarte, wohl- ſchmeckende Wiener Glaskohlrabi iſt wild ein ſchlanker, holziger, ſaftloſer Stengel; der weiße, weiche, gewürzige Blumenkohl iſt auf ſeinem natürlichen Standort, in ſeiner natürlichen Tracht, ein faden- dünner, verzweigter Blüthenſtiel mit kleinen grünen, bitter ſchmec- kenden Blüthenknospen und ſo fort. Alle dieſe ſo verſchiedenen Ei- genheiten, wodurch die Pflanzen ſo wichtige Begleiter des menſch-
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wir die Pflanzen der Jetztwelt ganz mit denſelben Merkmalen,
welche ſie noch jetzt zeigen, in den Schutt der letzten Revolution
der Erdoberfläche eingeſchloſſen. Ganz Hamburg, ſein Hafen und
ein breiter Streifen nach Südoſt und Nordweſt von dieſer Stadt
z. B. ruht auf einem untergegangenen Walde, der jetzt 30 bis 100
Fuß unter der Oberfläche begraben iſt. Dieſer beſtand ganz aus
denſelben Linden und Eichen, die wir jetzt noch in jenen Gegenden
kennen; zu andern Zwecken angeſtellte Aufgrabungen haben Tau-
ſende von Haſelnüſſen aus jenem Grunde zu Tage gebracht, welche
in Nichts von unſerer heutigen Haſelnuß verſchieden ſind. So hat
ſich für unſre Breiten die wilde Vegetation ſeit Jahrtauſenden ganz
in demſelben Charakter erhalten, den ſie angenommen hatte, als
ſich nach der letzten Erdrevolution die climatiſchen Verhältniſſe ſo
geſtaltet hatten, wie ſie gegenwärtig von uns beobachtet werden.
Ganz anders verhält es ſich mit unſerm Culturboden, von welchem
ich hier nur das Gartenland berückſichtigen will, weil es die hervor-
zuhebenden Eigenheiten in der auffallendſten Weiſe zeigt.
Wir beſchränken unſern ſorgfältigen Pflanzenbau auf eine ge-
wiſſe verhältnißmäßig kleine Anzahl von Kräutern, und die Aus-
wahl derſelben, in früherer Zeit dem Zufalle überlaſſen, jetzt nicht
ſelten mit Bewußtſein nach beſtimmten Grundſätzen geleitet, wird
beſonders durch Eine Hauptrückſicht beſtimmt.
Unſere Culturpflanzen zeigen ſämmtlich Merkmale, die ihnen
im wilden Zuſtande nicht zukommen, welche aber gerade das um-
faſſen, was uns dieſelben werth macht. Die 4 bis 6 Pfund ſchwere,
ſüße, ſaftige Altring hammöhre iſt im wilden Zuſtande eine
dürre, dünne, ungenießbare Wurzel; der fauſtgroße, zarte, wohl-
ſchmeckende Wiener Glaskohlrabi iſt wild ein ſchlanker, holziger,
ſaftloſer Stengel; der weiße, weiche, gewürzige Blumenkohl iſt auf
ſeinem natürlichen Standort, in ſeiner natürlichen Tracht, ein faden-
dünner, verzweigter Blüthenſtiel mit kleinen grünen, bitter ſchmec-
kenden Blüthenknospen und ſo fort. Alle dieſe ſo verſchiedenen Ei-
genheiten, wodurch die Pflanzen ſo wichtige Begleiter des menſch-
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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/173>, abgerufen am 21.11.2024.
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