zweige aus. Die eingebornen Wilden, wie der Europäer, der schwarze Sclave, wie der freie Farbige ersetzen auf gleiche Weise unser Weißbrod und den Reis durch die Tapiocca und die Mandiocca farinha oder das Cassavamehl, welches eben aus jener höchst giftigen Pflanze gewon- nen wird, und durch die daraus bereiteten Kuchen (pan de tierra cali- ente der Mexikaner). Man unterscheidet indeß die süße Juca (Juca dulce) (dies ist der dortige Name der Manjocpflanze) von der sauern oder bittern (Juca amara). Die Erstere, welche deshalb vorzugs- weise künstlich angebaut wird, kann ohne Gefahr sogleich gegessen werden, dahingegen die Letztere, frisch genossen, ein schnellwir- kendes Gift ist. Sie dient dem uncivilisirten Sohne der südamerika- nischen Tropen zur Nahrung und wir wollen ihn einen Augenblick in seinem Lager belauschen. In den dichten Wäldern der Guyana hat der Indianerhäuptling zwischen hohen Stämmen der Magnolie seine Hängematte ausgespannt, im Schatten breitblättriger Bananen ruht er unthätig rauchend und dem Treiben seiner Familie neben ihm zu- sehend. Mit hölzerner Keule in einem ausgehöhlten Baumstamme stampft sein Weib die gesammelten Manjocwurzeln und wickelt den dicklichen Brei in ein dichtes Flechtwerk von den zähen Blättern großer Lilienpflanzen. An einem Stabe, der auf zwei hölzernen Gabeln ruht, wird das lange Bündelchen aufgehängt und unten ein schwerer Stein befestigt, durch dessen Gewicht es ausgepresst wird *). Der abfließende Saft läuft in eine untergesetzte Schaale des Calabassenkürbis (Cres- centia Cujete). Daneben kauert ein kleiner Knabe und taucht die Pfeile des Vaters in die herabtröpfelnde tödtliche Milch, während die Frau ein Feuer anzündet, um den ausgepreßten Wurzelbrei zu dörren und durch Hitze völlig von dem flüchtigen Giftstoffe zu befreien. So- dann wird er zwischen Steinen gerieben und das Cassavemehl ist fertig. Unterdessen hat der Knabe sein unheilvolles Geschäft vollendet, der Saft hat nach längerem Stehen ein zartes weißes Kraftmehl ab- gesetzt, von welchem die giftige Flüssikeit abgegossen wird. Nachdem
*) Man sehe die Vignette.
zweige aus. Die eingebornen Wilden, wie der Europäer, der ſchwarze Sclave, wie der freie Farbige erſetzen auf gleiche Weiſe unſer Weißbrod und den Reis durch die Tapiocca und die Mandiocca farinha oder das Caſſavamehl, welches eben aus jener höchſt giftigen Pflanze gewon- nen wird, und durch die daraus bereiteten Kuchen (pan de tierra cali- ente der Mexikaner). Man unterſcheidet indeß die ſüße Juca (Juca dulce) (dies iſt der dortige Name der Manjocpflanze) von der ſauern oder bittern (Juca amara). Die Erſtere, welche deshalb vorzugs- weiſe künſtlich angebaut wird, kann ohne Gefahr ſogleich gegeſſen werden, dahingegen die Letztere, friſch genoſſen, ein ſchnellwir- kendes Gift iſt. Sie dient dem unciviliſirten Sohne der ſüdamerika- niſchen Tropen zur Nahrung und wir wollen ihn einen Augenblick in ſeinem Lager belauſchen. In den dichten Wäldern der Guyana hat der Indianerhäuptling zwiſchen hohen Stämmen der Magnolie ſeine Hängematte ausgeſpannt, im Schatten breitblättriger Bananen ruht er unthätig rauchend und dem Treiben ſeiner Familie neben ihm zu- ſehend. Mit hölzerner Keule in einem ausgehöhlten Baumſtamme ſtampft ſein Weib die geſammelten Manjocwurzeln und wickelt den dicklichen Brei in ein dichtes Flechtwerk von den zähen Blättern großer Lilienpflanzen. An einem Stabe, der auf zwei hölzernen Gabeln ruht, wird das lange Bündelchen aufgehängt und unten ein ſchwerer Stein befeſtigt, durch deſſen Gewicht es ausgepreſſt wird *). Der abfließende Saft läuft in eine untergeſetzte Schaale des Calabaſſenkürbis (Cres- centia Cujete). Daneben kauert ein kleiner Knabe und taucht die Pfeile des Vaters in die herabtröpfelnde tödtliche Milch, während die Frau ein Feuer anzündet, um den ausgepreßten Wurzelbrei zu dörren und durch Hitze völlig von dem flüchtigen Giftſtoffe zu befreien. So- dann wird er zwiſchen Steinen gerieben und das Caſſavemehl iſt fertig. Unterdeſſen hat der Knabe ſein unheilvolles Geſchäft vollendet, der Saft hat nach längerem Stehen ein zartes weißes Kraftmehl ab- geſetzt, von welchem die giftige Flüſſikeit abgegoſſen wird. Nachdem
*) Man ſehe die Vignette.
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zweige aus. Die eingebornen Wilden, wie der Europäer, der ſchwarze
Sclave, wie der freie Farbige erſetzen auf gleiche Weiſe unſer Weißbrod
und den Reis durch die Tapiocca und die Mandiocca farinha oder das
Caſſavamehl, welches eben aus jener höchſt giftigen Pflanze gewon-
nen wird, und durch die daraus bereiteten Kuchen (pan de tierra cali-
ente der Mexikaner). Man unterſcheidet indeß die ſüße Juca (Juca
dulce) (dies iſt der dortige Name der Manjocpflanze) von der ſauern
oder bittern (Juca amara). Die Erſtere, welche deshalb vorzugs-
weiſe künſtlich angebaut wird, kann ohne Gefahr ſogleich gegeſſen
werden, dahingegen die Letztere, friſch genoſſen, ein ſchnellwir-
kendes Gift iſt. Sie dient dem unciviliſirten Sohne der ſüdamerika-
niſchen Tropen zur Nahrung und wir wollen ihn einen Augenblick in
ſeinem Lager belauſchen. In den dichten Wäldern der Guyana hat
der Indianerhäuptling zwiſchen hohen Stämmen der Magnolie ſeine
Hängematte ausgeſpannt, im Schatten breitblättriger Bananen ruht
er unthätig rauchend und dem Treiben ſeiner Familie neben ihm zu-
ſehend. Mit hölzerner Keule in einem ausgehöhlten Baumſtamme
ſtampft ſein Weib die geſammelten Manjocwurzeln und wickelt den
dicklichen Brei in ein dichtes Flechtwerk von den zähen Blättern großer
Lilienpflanzen. An einem Stabe, der auf zwei hölzernen Gabeln ruht,
wird das lange Bündelchen aufgehängt und unten ein ſchwerer Stein
befeſtigt, durch deſſen Gewicht es ausgepreſſt wird *). Der abfließende
Saft läuft in eine untergeſetzte Schaale des Calabaſſenkürbis (Cres-
centia Cujete). Daneben kauert ein kleiner Knabe und taucht die
Pfeile des Vaters in die herabtröpfelnde tödtliche Milch, während die
Frau ein Feuer anzündet, um den ausgepreßten Wurzelbrei zu dörren
und durch Hitze völlig von dem flüchtigen Giftſtoffe zu befreien. So-
dann wird er zwiſchen Steinen gerieben und das Caſſavemehl iſt
fertig. Unterdeſſen hat der Knabe ſein unheilvolles Geſchäft vollendet,
der Saft hat nach längerem Stehen ein zartes weißes Kraftmehl ab-
geſetzt, von welchem die giftige Flüſſikeit abgegoſſen wird. Nachdem
*) Man ſehe die Vignette.
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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/194>, abgerufen am 21.11.2024.
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