frisches Leben hervor und überkleidet bald wieder die nackte Erde. Nur einzelne Regionen machen davon eine Ausnahme. Aus dem Dickicht des Urwaldes hervortretend erklettert man einen mäßigen Hügel und plötzlich breitet sich in grauenhafter Wildniß, ein wahres Hoflager des Todes, ein schmales flaches Thal vor den Blicken des entsetzten Wanderers aus. Keine Spur eines Pflanzenwuchses bedeckt die nackte, von der Sonne ausgedörrte Erde. Skelette von Thieren aller Art liegen auf dem Boden. Oft erkennt man an ihrer Lage, wie den furchtbaren Tiger im Augenblick, als er seine Beute ergriffen, mit dieser zugleich das Verderben erfaßt, wie der Raubvogel, ge- kommen, um von der frischen Leiche zu zehren, im Genuß vom Tode ergriffen wurde. Ganze Haufen todter Käfer, Ameisen und anderer Insecten liegen dazwischen und bewähren noch mehr das Treffende des Namens: Thal des Todes oder Giftthal, denn so heißen diese Orte bei den Eingebornen. Die Furchtbarkeit dieser Localitäten beruht nämlich auf den Ausdünstungen des Bodens, in kohlensaurem Gase bestehend, welches seiner Schwere wegen nur langsam in der Luft sich zerstreut. Gerade wie in der berühmten Grotta del cane bei Neapel, in der Dunsthöhle von Pyrmont, bringt diese Gasart Jedem, der sich dem Boden nähert, unausbleiblichen Erstickungstod. Nur der Mensch, dem es Gott gegeben, aufrecht zu wandeln, geht gewöhnlich ungefährdet über diese öden Strecken, indem die giftigen Ausdünstun- gen nicht bis zu seinem Kopf hinanreichen. Wie auf dem Himalajah die Eingebornen das erschwerte Athemholen auf den 15 und 16,000 Fuß hohen Alpenpässen der Ausdünstung giftiger Kräuter zuschrieben, so wurden auch diese grauenerregenden Erscheinungen der Todes- thäler mit den Wirkungen des Antjargiftes und der gefährlichen Be- rührung des Pohon Upas verbunden, und die Sagen mußten nach und nach einen um so furchtbarern Charakter annehmen, als bis jetzt noch gegen jene heftigen und schnell wirkenden vegetabilischen Stoffe kein Gegengift bekannt geworden ist. Wir wollen den Tropenbe- wohner nicht um die Milch seines Kuhbaums beneiden, und zufrieden mit dem Geschenke des nützlichen Kaoutschoucks gern auf die üppige
friſches Leben hervor und überkleidet bald wieder die nackte Erde. Nur einzelne Regionen machen davon eine Ausnahme. Aus dem Dickicht des Urwaldes hervortretend erklettert man einen mäßigen Hügel und plötzlich breitet ſich in grauenhafter Wildniß, ein wahres Hoflager des Todes, ein ſchmales flaches Thal vor den Blicken des entſetzten Wanderers aus. Keine Spur eines Pflanzenwuchſes bedeckt die nackte, von der Sonne ausgedörrte Erde. Skelette von Thieren aller Art liegen auf dem Boden. Oft erkennt man an ihrer Lage, wie den furchtbaren Tiger im Augenblick, als er ſeine Beute ergriffen, mit dieſer zugleich das Verderben erfaßt, wie der Raubvogel, ge- kommen, um von der friſchen Leiche zu zehren, im Genuß vom Tode ergriffen wurde. Ganze Haufen todter Käfer, Ameiſen und anderer Inſecten liegen dazwiſchen und bewähren noch mehr das Treffende des Namens: Thal des Todes oder Giftthal, denn ſo heißen dieſe Orte bei den Eingebornen. Die Furchtbarkeit dieſer Localitäten beruht nämlich auf den Ausdünſtungen des Bodens, in kohlenſaurem Gaſe beſtehend, welches ſeiner Schwere wegen nur langſam in der Luft ſich zerſtreut. Gerade wie in der berühmten Grotta del cane bei Neapel, in der Dunſthöhle von Pyrmont, bringt dieſe Gasart Jedem, der ſich dem Boden nähert, unausbleiblichen Erſtickungstod. Nur der Menſch, dem es Gott gegeben, aufrecht zu wandeln, geht gewöhnlich ungefährdet über dieſe öden Strecken, indem die giftigen Ausdünſtun- gen nicht bis zu ſeinem Kopf hinanreichen. Wie auf dem Himalajah die Eingebornen das erſchwerte Athemholen auf den 15 und 16,000 Fuß hohen Alpenpäſſen der Ausdünſtung giftiger Kräuter zuſchrieben, ſo wurden auch dieſe grauenerregenden Erſcheinungen der Todes- thäler mit den Wirkungen des Antjargiftes und der gefährlichen Be- rührung des Pohon Upas verbunden, und die Sagen mußten nach und nach einen um ſo furchtbarern Charakter annehmen, als bis jetzt noch gegen jene heftigen und ſchnell wirkenden vegetabiliſchen Stoffe kein Gegengift bekannt geworden iſt. Wir wollen den Tropenbe- wohner nicht um die Milch ſeines Kuhbaums beneiden, und zufrieden mit dem Geſchenke des nützlichen Kaoutſchoucks gern auf die üppige
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friſches Leben hervor und überkleidet bald wieder die nackte Erde.
Nur einzelne Regionen machen davon eine Ausnahme. Aus dem
Dickicht des Urwaldes hervortretend erklettert man einen mäßigen
Hügel und plötzlich breitet ſich in grauenhafter Wildniß, ein wahres
Hoflager des Todes, ein ſchmales flaches Thal vor den Blicken des
entſetzten Wanderers aus. Keine Spur eines Pflanzenwuchſes bedeckt
die nackte, von der Sonne ausgedörrte Erde. Skelette von Thieren
aller Art liegen auf dem Boden. Oft erkennt man an ihrer Lage, wie
den furchtbaren Tiger im Augenblick, als er ſeine Beute ergriffen,
mit dieſer zugleich das Verderben erfaßt, wie der Raubvogel, ge-
kommen, um von der friſchen Leiche zu zehren, im Genuß vom Tode
ergriffen wurde. Ganze Haufen todter Käfer, Ameiſen und anderer
Inſecten liegen dazwiſchen und bewähren noch mehr das Treffende des
Namens: Thal des Todes oder Giftthal, denn ſo heißen dieſe
Orte bei den Eingebornen. Die Furchtbarkeit dieſer Localitäten beruht
nämlich auf den Ausdünſtungen des Bodens, in kohlenſaurem Gaſe
beſtehend, welches ſeiner Schwere wegen nur langſam in der Luft
ſich zerſtreut. Gerade wie in der berühmten Grotta del cane bei
Neapel, in der Dunſthöhle von Pyrmont, bringt dieſe Gasart Jedem,
der ſich dem Boden nähert, unausbleiblichen Erſtickungstod. Nur der
Menſch, dem es Gott gegeben, aufrecht zu wandeln, geht gewöhnlich
ungefährdet über dieſe öden Strecken, indem die giftigen Ausdünſtun-
gen nicht bis zu ſeinem Kopf hinanreichen. Wie auf dem Himalajah
die Eingebornen das erſchwerte Athemholen auf den 15 und 16,000
Fuß hohen Alpenpäſſen der Ausdünſtung giftiger Kräuter zuſchrieben,
ſo wurden auch dieſe grauenerregenden Erſcheinungen der Todes-
thäler mit den Wirkungen des Antjargiftes und der gefährlichen Be-
rührung des Pohon Upas verbunden, und die Sagen mußten nach
und nach einen um ſo furchtbarern Charakter annehmen, als bis jetzt
noch gegen jene heftigen und ſchnell wirkenden vegetabiliſchen Stoffe
kein Gegengift bekannt geworden iſt. Wir wollen den Tropenbe-
wohner nicht um die Milch ſeines Kuhbaums beneiden, und zufrieden
mit dem Geſchenke des nützlichen Kaoutſchoucks gern auf die üppige
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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/207>, abgerufen am 23.11.2024.
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