Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848.

Bild:
<< vorherige Seite

palme und treten hinein in die Pampas von Venezuela, von denen
uns Humboldt ein so geistreiches und lebendiges Bild entworfen.
Kein lachendes Grün überzieht hier den glühenden Felsenboden, in
dessen Ritzen nur hin und wieder mit furchtbar drohenden Dornen
besetzt die runden Ballen des Melonencactus sich zeigen. Steigen
wir höher an den Anden herauf, so bedeckt sich die Erde statt mit
zarten Gräsern mit den fahlen, graugrünen Kugeln der stachligen Ma-
millarien
, dazwischen hebt sich ernst und traurig mit langen grauen
Haaren behängt der Greisencactus. Führt uns der Flug der Phan-
tasie weiter nach Norden, steigen wir hinab in die Ebenen Mexico's, wo
die Riesentrümmer der Azteckenburg, ein Zeugniß einstmaliger längst
verschollener Cultur, sich zeigen, so breitet sich vor uns die Landschaft
aus kahl und nackt von der glühenden Sonne der Tierra caliente ge-
dörrt; in mattem Graugrün, zweig- und blattlos erheben sich, zwanzig,
dreißig Fuß hoch, die kantigen Säulen der Fackeldisteln mit einer un-
durchdringlichen Hecke der empfindlich stechenden indianischen Feige
eingefaßt, und rings umher zeigen sich Gruppen der meist seltsam häß-
lichen Gestalten der Echinocacten und kleinen Cereen, zwischen
denen schlangenartig oder wie großes giftiges Gewürm die langen,
dürren Stengel des großblumigen Cactus (Cereus nycticallus)
umherkriechen. Kurz, auf dieser ganzen Wanderung begleitet uns eine
Pflanzenfamilie, die der Cactusgewächse, welche sich in ihren
wunderlichen Formen durchaus dem Princip der Schönheit zu entziehen
scheint und die sich gleichwohl so auffällig, so sehr den eigenthümlichen
Charakter der Landschaft bestimmend hervordrängt, daß wir gezwungen
sind, ihr unsere Aufmerksamkeit zuzuwenden. Und gewiß verdient eine
Pflanzengruppe, die sich so weit von allen Gesetzen der übrigen Vege-
tation zu entfernen scheint, unsere ganze Theilnahme in hohem Grade.
Sie ist ihr in reichem Maaße geworden, und für die, denen Ver-
hältnisse nicht erlauben, aus eigner Anschauung die Kinder einer
humoristischen Laune der Natur kennen zu lernen, zeigen unsere Gär-
ten, in denen die Cactusgewächse eine der ersten Modepflanzen ge-

palme und treten hinein in die Pampas von Venezuela, von denen
uns Humboldt ein ſo geiſtreiches und lebendiges Bild entworfen.
Kein lachendes Grün überzieht hier den glühenden Felſenboden, in
deſſen Ritzen nur hin und wieder mit furchtbar drohenden Dornen
beſetzt die runden Ballen des Melonencactus ſich zeigen. Steigen
wir höher an den Anden herauf, ſo bedeckt ſich die Erde ſtatt mit
zarten Gräſern mit den fahlen, graugrünen Kugeln der ſtachligen Ma-
millarien
, dazwiſchen hebt ſich ernſt und traurig mit langen grauen
Haaren behängt der Greiſencactus. Führt uns der Flug der Phan-
taſie weiter nach Norden, ſteigen wir hinab in die Ebenen Mexico's, wo
die Rieſentrümmer der Azteckenburg, ein Zeugniß einſtmaliger längſt
verſchollener Cultur, ſich zeigen, ſo breitet ſich vor uns die Landſchaft
aus kahl und nackt von der glühenden Sonne der Tierra caliente ge-
dörrt; in mattem Graugrün, zweig- und blattlos erheben ſich, zwanzig,
dreißig Fuß hoch, die kantigen Säulen der Fackeldiſteln mit einer un-
durchdringlichen Hecke der empfindlich ſtechenden indianiſchen Feige
eingefaßt, und rings umher zeigen ſich Gruppen der meiſt ſeltſam häß-
lichen Geſtalten der Echinocacten und kleinen Cereen, zwiſchen
denen ſchlangenartig oder wie großes giftiges Gewürm die langen,
dürren Stengel des großblumigen Cactus (Cereus nycticallus)
umherkriechen. Kurz, auf dieſer ganzen Wanderung begleitet uns eine
Pflanzenfamilie, die der Cactusgewächſe, welche ſich in ihren
wunderlichen Formen durchaus dem Princip der Schönheit zu entziehen
ſcheint und die ſich gleichwohl ſo auffällig, ſo ſehr den eigenthümlichen
Charakter der Landſchaft beſtimmend hervordrängt, daß wir gezwungen
ſind, ihr unſere Aufmerkſamkeit zuzuwenden. Und gewiß verdient eine
Pflanzengruppe, die ſich ſo weit von allen Geſetzen der übrigen Vege-
tation zu entfernen ſcheint, unſere ganze Theilnahme in hohem Grade.
Sie iſt ihr in reichem Maaße geworden, und für die, denen Ver-
hältniſſe nicht erlauben, aus eigner Anſchauung die Kinder einer
humoriſtiſchen Laune der Natur kennen zu lernen, zeigen unſere Gär-
ten, in denen die Cactusgewächſe eine der erſten Modepflanzen ge-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0214" n="198"/>
palme und treten hinein in die Pampas von Venezuela, von denen<lb/>
uns <hi rendition="#g">Humboldt</hi> ein &#x017F;o gei&#x017F;treiches und lebendiges Bild entworfen.<lb/>
Kein lachendes Grün überzieht hier den glühenden Fel&#x017F;enboden, in<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en Ritzen nur hin und wieder mit furchtbar drohenden Dornen<lb/>
be&#x017F;etzt die runden Ballen des <hi rendition="#g">Melonencactus</hi> &#x017F;ich zeigen. Steigen<lb/>
wir höher an den Anden herauf, &#x017F;o bedeckt &#x017F;ich die Erde &#x017F;tatt mit<lb/>
zarten Grä&#x017F;ern mit den fahlen, graugrünen Kugeln der &#x017F;tachligen <hi rendition="#g">Ma-<lb/>
millarien</hi>, dazwi&#x017F;chen hebt &#x017F;ich ern&#x017F;t und traurig mit langen grauen<lb/>
Haaren behängt der <hi rendition="#g">Grei&#x017F;encactus</hi>. Führt uns der Flug der Phan-<lb/>
ta&#x017F;ie weiter nach Norden, &#x017F;teigen wir hinab in die Ebenen Mexico's, wo<lb/>
die Rie&#x017F;entrümmer der Azteckenburg, ein Zeugniß ein&#x017F;tmaliger läng&#x017F;t<lb/>
ver&#x017F;chollener Cultur, &#x017F;ich zeigen, &#x017F;o breitet &#x017F;ich vor uns die Land&#x017F;chaft<lb/>
aus kahl und nackt von der glühenden Sonne der <hi rendition="#aq">Tierra caliente</hi> ge-<lb/>
dörrt; in mattem Graugrün, zweig- und blattlos erheben &#x017F;ich, zwanzig,<lb/>
dreißig Fuß hoch, die kantigen Säulen der <hi rendition="#g">Fackeldi&#x017F;teln</hi> mit einer un-<lb/>
durchdringlichen Hecke der empfindlich &#x017F;techenden <hi rendition="#g">indiani&#x017F;chen Feige</hi><lb/>
eingefaßt, und rings umher zeigen &#x017F;ich Gruppen der mei&#x017F;t &#x017F;elt&#x017F;am häß-<lb/>
lichen Ge&#x017F;talten der <hi rendition="#g">Echinocacten</hi> und kleinen <hi rendition="#g">Cereen</hi>, zwi&#x017F;chen<lb/>
denen &#x017F;chlangenartig oder wie großes giftiges Gewürm die langen,<lb/>
dürren Stengel des <hi rendition="#g">großblumigen Cactus</hi> (<hi rendition="#aq">Cereus nycticallus</hi>)<lb/>
umherkriechen. Kurz, auf die&#x017F;er ganzen Wanderung begleitet uns eine<lb/>
Pflanzenfamilie, die der <hi rendition="#g">Cactusgewäch&#x017F;e</hi>, welche &#x017F;ich in ihren<lb/>
wunderlichen Formen durchaus dem Princip der Schönheit zu entziehen<lb/>
&#x017F;cheint und die &#x017F;ich gleichwohl &#x017F;o auffällig, &#x017F;o &#x017F;ehr den eigenthümlichen<lb/>
Charakter der Land&#x017F;chaft be&#x017F;timmend hervordrängt, daß wir gezwungen<lb/>
&#x017F;ind, ihr un&#x017F;ere Aufmerk&#x017F;amkeit zuzuwenden. Und gewiß verdient eine<lb/>
Pflanzengruppe, die &#x017F;ich &#x017F;o weit von allen Ge&#x017F;etzen der übrigen Vege-<lb/>
tation zu entfernen &#x017F;cheint, un&#x017F;ere ganze Theilnahme in hohem Grade.<lb/>
Sie i&#x017F;t ihr in reichem Maaße geworden, und für die, denen Ver-<lb/>
hältni&#x017F;&#x017F;e nicht erlauben, aus eigner An&#x017F;chauung die Kinder einer<lb/>
humori&#x017F;ti&#x017F;chen Laune der Natur kennen zu lernen, zeigen un&#x017F;ere Gär-<lb/>
ten, in denen die Cactusgewäch&#x017F;e eine der er&#x017F;ten Modepflanzen ge-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[198/0214] palme und treten hinein in die Pampas von Venezuela, von denen uns Humboldt ein ſo geiſtreiches und lebendiges Bild entworfen. Kein lachendes Grün überzieht hier den glühenden Felſenboden, in deſſen Ritzen nur hin und wieder mit furchtbar drohenden Dornen beſetzt die runden Ballen des Melonencactus ſich zeigen. Steigen wir höher an den Anden herauf, ſo bedeckt ſich die Erde ſtatt mit zarten Gräſern mit den fahlen, graugrünen Kugeln der ſtachligen Ma- millarien, dazwiſchen hebt ſich ernſt und traurig mit langen grauen Haaren behängt der Greiſencactus. Führt uns der Flug der Phan- taſie weiter nach Norden, ſteigen wir hinab in die Ebenen Mexico's, wo die Rieſentrümmer der Azteckenburg, ein Zeugniß einſtmaliger längſt verſchollener Cultur, ſich zeigen, ſo breitet ſich vor uns die Landſchaft aus kahl und nackt von der glühenden Sonne der Tierra caliente ge- dörrt; in mattem Graugrün, zweig- und blattlos erheben ſich, zwanzig, dreißig Fuß hoch, die kantigen Säulen der Fackeldiſteln mit einer un- durchdringlichen Hecke der empfindlich ſtechenden indianiſchen Feige eingefaßt, und rings umher zeigen ſich Gruppen der meiſt ſeltſam häß- lichen Geſtalten der Echinocacten und kleinen Cereen, zwiſchen denen ſchlangenartig oder wie großes giftiges Gewürm die langen, dürren Stengel des großblumigen Cactus (Cereus nycticallus) umherkriechen. Kurz, auf dieſer ganzen Wanderung begleitet uns eine Pflanzenfamilie, die der Cactusgewächſe, welche ſich in ihren wunderlichen Formen durchaus dem Princip der Schönheit zu entziehen ſcheint und die ſich gleichwohl ſo auffällig, ſo ſehr den eigenthümlichen Charakter der Landſchaft beſtimmend hervordrängt, daß wir gezwungen ſind, ihr unſere Aufmerkſamkeit zuzuwenden. Und gewiß verdient eine Pflanzengruppe, die ſich ſo weit von allen Geſetzen der übrigen Vege- tation zu entfernen ſcheint, unſere ganze Theilnahme in hohem Grade. Sie iſt ihr in reichem Maaße geworden, und für die, denen Ver- hältniſſe nicht erlauben, aus eigner Anſchauung die Kinder einer humoriſtiſchen Laune der Natur kennen zu lernen, zeigen unſere Gär- ten, in denen die Cactusgewächſe eine der erſten Modepflanzen ge-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/214
Zitationshilfe: Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/214>, abgerufen am 27.11.2024.