Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848.

Bild:
<< vorherige Seite

hinunterstürzt, an dessen Fuße im nächsten Frühling ihre zerschmet-
terten Gebeine bleichen werden.

Jede Hoffnung scheint verloren und der Untergang gewiß, schon
bricht die Nacht herein, da ermattet der Sturm; die aufgejagten
Schneemassen senken sich und plötzlich wie er entstanden legt sich
auch nach kaum halbtägiger Dauer der Buran wieder, der Luftkreis
wird noch einmal durch das abendliche Dämmerlicht erhellt und
der erschöpfte Reisende sieht vor sich eine menschliche Wohnung. --
Bietet sie auch nur geringe Entschädigung für die ausgestandenen
Beschwerden, so erlaubt sie doch wenigstens den Schlummer. Ein
freundlicher Traum trägt den müden Wanderer in die ferne Heimath.
An den freundlichen Ufern des sanft dahingleitenden Flusses wandert
er durch üppige Wiesen, der Abend senkt sich herab auf die erwärmten
Fluren. Feuchte Thaunebel erheben sich erquickend vom Boden und
ziehen durch die Ufererlen und hüllen sie in ihren Schleier, Erlkönig
und seine Töchter umschweben in neckisch-wechselndem Spiel der Ge-
stalten die altersgrauen Stämme der Weiden. Da bebt durch die
duftige Abendluft ein leiser Klang. Die Glocke des heimathlichen
Dorfes ruft den Heimgekehrten nach rastlosem Umherstreifen in der
großen Gotteswelt, nach reichen Anschauungen, anregenden Aben-
theuern, spannenden Mühseligkeiten und wunderbaren Genüssen zurück
zur Ruhe, -- in das trotz alles Dazwischenliegenden unvergessene und
unvergeßliche Paradies der Kindheit, in das Elternhaus, in die
Arme der Mutter. --


hinunterſtürzt, an deſſen Fuße im nächſten Frühling ihre zerſchmet-
terten Gebeine bleichen werden.

Jede Hoffnung ſcheint verloren und der Untergang gewiß, ſchon
bricht die Nacht herein, da ermattet der Sturm; die aufgejagten
Schneemaſſen ſenken ſich und plötzlich wie er entſtanden legt ſich
auch nach kaum halbtägiger Dauer der Buran wieder, der Luftkreis
wird noch einmal durch das abendliche Dämmerlicht erhellt und
der erſchöpfte Reiſende ſieht vor ſich eine menſchliche Wohnung. —
Bietet ſie auch nur geringe Entſchädigung für die ausgeſtandenen
Beſchwerden, ſo erlaubt ſie doch wenigſtens den Schlummer. Ein
freundlicher Traum trägt den müden Wanderer in die ferne Heimath.
An den freundlichen Ufern des ſanft dahingleitenden Fluſſes wandert
er durch üppige Wieſen, der Abend ſenkt ſich herab auf die erwärmten
Fluren. Feuchte Thaunebel erheben ſich erquickend vom Boden und
ziehen durch die Ufererlen und hüllen ſie in ihren Schleier, Erlkönig
und ſeine Töchter umſchweben in neckiſch-wechſelndem Spiel der Ge-
ſtalten die altersgrauen Stämme der Weiden. Da bebt durch die
duftige Abendluft ein leiſer Klang. Die Glocke des heimathlichen
Dorfes ruft den Heimgekehrten nach raſtloſem Umherſtreifen in der
großen Gotteswelt, nach reichen Anſchauungen, anregenden Aben-
theuern, ſpannenden Mühſeligkeiten und wunderbaren Genüſſen zurück
zur Ruhe, — in das trotz alles Dazwiſchenliegenden unvergeſſene und
unvergeßliche Paradies der Kindheit, in das Elternhaus, in die
Arme der Mutter. —


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0345" n="329"/>
hinunter&#x017F;türzt, an de&#x017F;&#x017F;en Fuße im näch&#x017F;ten Frühling ihre zer&#x017F;chmet-<lb/>
terten Gebeine bleichen werden.</p><lb/>
        <p>Jede Hoffnung &#x017F;cheint verloren und der Untergang gewiß, &#x017F;chon<lb/>
bricht die Nacht herein, da ermattet der Sturm; die aufgejagten<lb/>
Schneema&#x017F;&#x017F;en &#x017F;enken &#x017F;ich und plötzlich wie er ent&#x017F;tanden legt &#x017F;ich<lb/>
auch nach kaum halbtägiger Dauer der Buran wieder, der Luftkreis<lb/>
wird noch einmal durch das abendliche Dämmerlicht erhellt und<lb/>
der er&#x017F;chöpfte Rei&#x017F;ende &#x017F;ieht vor &#x017F;ich eine men&#x017F;chliche Wohnung. &#x2014;<lb/>
Bietet &#x017F;ie auch nur geringe Ent&#x017F;chädigung für die ausge&#x017F;tandenen<lb/>
Be&#x017F;chwerden, &#x017F;o erlaubt &#x017F;ie doch wenig&#x017F;tens den Schlummer. Ein<lb/>
freundlicher Traum trägt den müden Wanderer in die ferne Heimath.<lb/>
An den freundlichen Ufern des &#x017F;anft dahingleitenden Flu&#x017F;&#x017F;es wandert<lb/>
er durch üppige Wie&#x017F;en, der Abend &#x017F;enkt &#x017F;ich herab auf die erwärmten<lb/>
Fluren. Feuchte Thaunebel erheben &#x017F;ich erquickend vom Boden und<lb/>
ziehen durch die Ufererlen und hüllen &#x017F;ie in ihren Schleier, Erlkönig<lb/>
und &#x017F;eine Töchter um&#x017F;chweben in necki&#x017F;ch-wech&#x017F;elndem Spiel der Ge-<lb/>
&#x017F;talten die altersgrauen Stämme der Weiden. Da bebt durch die<lb/>
duftige Abendluft ein lei&#x017F;er Klang. Die Glocke des heimathlichen<lb/>
Dorfes ruft den Heimgekehrten nach ra&#x017F;tlo&#x017F;em Umher&#x017F;treifen in der<lb/>
großen Gotteswelt, nach reichen An&#x017F;chauungen, anregenden Aben-<lb/>
theuern, &#x017F;pannenden Müh&#x017F;eligkeiten und wunderbaren Genü&#x017F;&#x017F;en zurück<lb/>
zur Ruhe, &#x2014; in das trotz alles Dazwi&#x017F;chenliegenden unverge&#x017F;&#x017F;ene und<lb/>
unvergeßliche Paradies der Kindheit, in das Elternhaus, in die<lb/>
Arme der Mutter. &#x2014;</p>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[329/0345] hinunterſtürzt, an deſſen Fuße im nächſten Frühling ihre zerſchmet- terten Gebeine bleichen werden. Jede Hoffnung ſcheint verloren und der Untergang gewiß, ſchon bricht die Nacht herein, da ermattet der Sturm; die aufgejagten Schneemaſſen ſenken ſich und plötzlich wie er entſtanden legt ſich auch nach kaum halbtägiger Dauer der Buran wieder, der Luftkreis wird noch einmal durch das abendliche Dämmerlicht erhellt und der erſchöpfte Reiſende ſieht vor ſich eine menſchliche Wohnung. — Bietet ſie auch nur geringe Entſchädigung für die ausgeſtandenen Beſchwerden, ſo erlaubt ſie doch wenigſtens den Schlummer. Ein freundlicher Traum trägt den müden Wanderer in die ferne Heimath. An den freundlichen Ufern des ſanft dahingleitenden Fluſſes wandert er durch üppige Wieſen, der Abend ſenkt ſich herab auf die erwärmten Fluren. Feuchte Thaunebel erheben ſich erquickend vom Boden und ziehen durch die Ufererlen und hüllen ſie in ihren Schleier, Erlkönig und ſeine Töchter umſchweben in neckiſch-wechſelndem Spiel der Ge- ſtalten die altersgrauen Stämme der Weiden. Da bebt durch die duftige Abendluft ein leiſer Klang. Die Glocke des heimathlichen Dorfes ruft den Heimgekehrten nach raſtloſem Umherſtreifen in der großen Gotteswelt, nach reichen Anſchauungen, anregenden Aben- theuern, ſpannenden Mühſeligkeiten und wunderbaren Genüſſen zurück zur Ruhe, — in das trotz alles Dazwiſchenliegenden unvergeſſene und unvergeßliche Paradies der Kindheit, in das Elternhaus, in die Arme der Mutter. —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/345
Zitationshilfe: Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/345>, abgerufen am 21.11.2024.