als ob sich die Knospen immer an der Pflanze selbst und mit ihr in Verbindung zu Zweigen und Ästen entwickeln müßten und wir sehen sie denn auch im gewöhnlichen Leben als Theile einer Pflanze und nicht als selbstständige Pflanzen an, was sie doch in der That sind, obwohl sie, gleichsam wie Kinder die noch im Vater- hause blieben, in der engsten Verbindung mit der sie erzeugt habenden Pflanze verharren. Daß sie aber wenigstens der Mög- lichkeit nach vollkommen selbstständige Pflanzen sind, zeigt ein Ver- such der bei der nöthigen Sorgfalt häufig gelingt, nämlich das Abbrechen und Aussäen der Knospen unserer Waldbäume. Ebenso beruhen hierauf die bekannten Gartenoperationen des Pfropfens und Oculirens und das Ziehen von Absenkern und Stecklingen unterschei- det sich von dem erwähnten Aussäen der Knospen nur dadurch, daß man dieselben erst an der Mutterpflanze bis zu einer gewissen Reife der Entwicklung kommen läßt, ehe man sie vom Stamme trennt. Alles beruht hier auf der Leichtigkeit mit der diese Knospen-Pflanzen Nebenwurzeln treiben (sich bewurzeln) so bald sie mit feuchter Erde in Berührung kommen.
Aber weit entfernt, daß nur der Mensch allein hier eine solche künstliche Vermehrung der Pflanzen erzwänge, so benutzt vielmehr die Natur außerordentlich häufig dieses Mittel um die Vervielfältigung gewisser Pflanzen selbst in ungemessener Menge hervorzurufen. Selten ist hier der Vorgang dem künstlichen Aussäen der Knospen ähnlich indem die Pflanze zu bestimmter Zeit die gebildeten Knospen freiwillig abstößt, wie das zum Beispiel bei der Feuerlilie unserer Gärten mit den kleinen zwiebelähnlichen Knospen, die in den Winkeln der oberen Blätter sich zeigen, geschieht. Gewöhnlicher ist der Vorgang folgen- der: die Knospen an einer Pflanze, welche sich dem Erdboden nahe gebildet haben, wachsen aus, also zu einem Zweige mit Blättern; der Zweig selbst aber wird ganz lang, dünn und zart, die Blätter erscheinen verkümmert als kleine Schuppen, in ihren Winkeln da- gegen entwickeln sich kräftige Knospen, welche sich in demselben oder doch im nächsten Jahre bewurzeln und dadurch daß der dünne sie mit
Schleiden, Pflanze. 5
als ob ſich die Knospen immer an der Pflanze ſelbſt und mit ihr in Verbindung zu Zweigen und Äſten entwickeln müßten und wir ſehen ſie denn auch im gewöhnlichen Leben als Theile einer Pflanze und nicht als ſelbſtſtändige Pflanzen an, was ſie doch in der That ſind, obwohl ſie, gleichſam wie Kinder die noch im Vater- hauſe blieben, in der engſten Verbindung mit der ſie erzeugt habenden Pflanze verharren. Daß ſie aber wenigſtens der Mög- lichkeit nach vollkommen ſelbſtſtändige Pflanzen ſind, zeigt ein Ver- ſuch der bei der nöthigen Sorgfalt häufig gelingt, nämlich das Abbrechen und Ausſäen der Knospen unſerer Waldbäume. Ebenſo beruhen hierauf die bekannten Gartenoperationen des Pfropfens und Oculirens und das Ziehen von Abſenkern und Stecklingen unterſchei- det ſich von dem erwähnten Ausſäen der Knospen nur dadurch, daß man dieſelben erſt an der Mutterpflanze bis zu einer gewiſſen Reife der Entwicklung kommen läßt, ehe man ſie vom Stamme trennt. Alles beruht hier auf der Leichtigkeit mit der dieſe Knospen-Pflanzen Nebenwurzeln treiben (ſich bewurzeln) ſo bald ſie mit feuchter Erde in Berührung kommen.
Aber weit entfernt, daß nur der Menſch allein hier eine ſolche künſtliche Vermehrung der Pflanzen erzwänge, ſo benutzt vielmehr die Natur außerordentlich häufig dieſes Mittel um die Vervielfältigung gewiſſer Pflanzen ſelbſt in ungemeſſener Menge hervorzurufen. Selten iſt hier der Vorgang dem künſtlichen Ausſäen der Knospen ähnlich indem die Pflanze zu beſtimmter Zeit die gebildeten Knospen freiwillig abſtößt, wie das zum Beiſpiel bei der Feuerlilie unſerer Gärten mit den kleinen zwiebelähnlichen Knospen, die in den Winkeln der oberen Blätter ſich zeigen, geſchieht. Gewöhnlicher iſt der Vorgang folgen- der: die Knospen an einer Pflanze, welche ſich dem Erdboden nahe gebildet haben, wachſen aus, alſo zu einem Zweige mit Blättern; der Zweig ſelbſt aber wird ganz lang, dünn und zart, die Blätter erſcheinen verkümmert als kleine Schuppen, in ihren Winkeln da- gegen entwickeln ſich kräftige Knospen, welche ſich in demſelben oder doch im nächſten Jahre bewurzeln und dadurch daß der dünne ſie mit
Schleiden, Pflanze. 5
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als ob ſich die Knospen immer an der Pflanze ſelbſt und mit ihr
in Verbindung zu Zweigen und Äſten entwickeln müßten und wir
ſehen ſie denn auch im gewöhnlichen Leben als Theile einer Pflanze
und nicht als ſelbſtſtändige Pflanzen an, was ſie doch in der
That ſind, obwohl ſie, gleichſam wie Kinder die noch im Vater-
hauſe blieben, in der engſten Verbindung mit der ſie erzeugt
habenden Pflanze verharren. Daß ſie aber wenigſtens der Mög-
lichkeit nach vollkommen ſelbſtſtändige Pflanzen ſind, zeigt ein Ver-
ſuch der bei der nöthigen Sorgfalt häufig gelingt, nämlich das
Abbrechen und Ausſäen der Knospen unſerer Waldbäume. Ebenſo
beruhen hierauf die bekannten Gartenoperationen des Pfropfens und
Oculirens und das Ziehen von Abſenkern und Stecklingen unterſchei-
det ſich von dem erwähnten Ausſäen der Knospen nur dadurch, daß
man dieſelben erſt an der Mutterpflanze bis zu einer gewiſſen Reife
der Entwicklung kommen läßt, ehe man ſie vom Stamme trennt.
Alles beruht hier auf der Leichtigkeit mit der dieſe Knospen-Pflanzen
Nebenwurzeln treiben (ſich bewurzeln) ſo bald ſie mit feuchter Erde
in Berührung kommen.
Aber weit entfernt, daß nur der Menſch allein hier eine ſolche
künſtliche Vermehrung der Pflanzen erzwänge, ſo benutzt vielmehr
die Natur außerordentlich häufig dieſes Mittel um die Vervielfältigung
gewiſſer Pflanzen ſelbſt in ungemeſſener Menge hervorzurufen. Selten
iſt hier der Vorgang dem künſtlichen Ausſäen der Knospen ähnlich
indem die Pflanze zu beſtimmter Zeit die gebildeten Knospen freiwillig
abſtößt, wie das zum Beiſpiel bei der Feuerlilie unſerer Gärten mit
den kleinen zwiebelähnlichen Knospen, die in den Winkeln der oberen
Blätter ſich zeigen, geſchieht. Gewöhnlicher iſt der Vorgang folgen-
der: die Knospen an einer Pflanze, welche ſich dem Erdboden nahe
gebildet haben, wachſen aus, alſo zu einem Zweige mit Blättern;
der Zweig ſelbſt aber wird ganz lang, dünn und zart, die Blätter
erſcheinen verkümmert als kleine Schuppen, in ihren Winkeln da-
gegen entwickeln ſich kräftige Knospen, welche ſich in demſelben oder
doch im nächſten Jahre bewurzeln und dadurch daß der dünne ſie mit
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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/81>, abgerufen am 04.12.2024.
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