durch die That bestimmt, wodurch die Gedankenbewegung ent- steht, und verstehe ich diese, dann verstehe ich auch jene. Dann fällt aber alles heraus, was in der Eigenthümlichkeit des Denkenden keinen Grund hat; ich finde nur was sich aus der freien That selbst entwickelt hat. Da tritt nothwendig das Tech- nische ein. Denn sobald Jemand mit freiem Entschluß, freier That etwas zum Bewußtsein bringen will oder Bewußtes dar- stellen, was hier gleichviel ist, so ist er gleich genöthigt, eine Me- thode zu befolgen. Aber diese wird verschieden sein, je nachdem er sich in seiner Selbstbestimmung fragt, wie komme ich dazu, den Gegenstand gründlich zu durchforschen, oder, wie bringe ich das Durchdachte in einer gewissen Richtung und für gewisse Men- schen zur Darstellung? Jenes ist die Methode der Meditation, dieses die Methode der Composition. Beide sind immer zweier- lei, und nicht bloß in einzelnen Beispielen, sondern in jedem Fall, wo der Begriff der Composition involvirt ist, zu unterscheiden. Die Meditation kann den Entschluß bisweilen nur auf eine ru- hende Weise, festhalten, so daß er nur gelegentlich wirksam ist, und dann wird gewiß die Composition, die Verknüpfung des Ein- zelnen zu einem Ganzen, als ein zweiter Akt postulirt. Dieser Fall ist aber im Grunde immer da. Denn auch wenn im ersten Entschluß die Form schon mitgegeben ist (man denke sich, daß Jemand den Entschluß faßt, ein Gedicht von bestimmter Art zu machen) und diese schon sehr viel Ausschließung und positive Be- standtheile enthält, wird doch im Componiren einzelnes so entste- hen, das es provisorisch muß zur Seite gelegt werden. So ist also die volle hermeneut. Aufgabe eben die, beide Akte in ihrer Verschiedenheit zu verstehen.
Diese Unterscheidung zwischen Meditation und Composi- tion kann zweifelhaft machen, ob bei der weiteren Betrach- tung die Haupteintheilung in die psychologische und technische Seite der Aufgabe festzuhalten sei, oder die Unterabtheilung in der Ordnung der Composition betrachtet werden soll. Also in diesem Falle zuerst Auffindung des Entschlusses, d. i. der
durch die That beſtimmt, wodurch die Gedankenbewegung ent- ſteht, und verſtehe ich dieſe, dann verſtehe ich auch jene. Dann faͤllt aber alles heraus, was in der Eigenthuͤmlichkeit des Denkenden keinen Grund hat; ich finde nur was ſich aus der freien That ſelbſt entwickelt hat. Da tritt nothwendig das Tech- niſche ein. Denn ſobald Jemand mit freiem Entſchluß, freier That etwas zum Bewußtſein bringen will oder Bewußtes dar- ſtellen, was hier gleichviel iſt, ſo iſt er gleich genoͤthigt, eine Me- thode zu befolgen. Aber dieſe wird verſchieden ſein, je nachdem er ſich in ſeiner Selbſtbeſtimmung fragt, wie komme ich dazu, den Gegenſtand gruͤndlich zu durchforſchen, oder, wie bringe ich das Durchdachte in einer gewiſſen Richtung und fuͤr gewiſſe Men- ſchen zur Darſtellung? Jenes iſt die Methode der Meditation, dieſes die Methode der Compoſition. Beide ſind immer zweier- lei, und nicht bloß in einzelnen Beiſpielen, ſondern in jedem Fall, wo der Begriff der Compoſition involvirt iſt, zu unterſcheiden. Die Meditation kann den Entſchluß bisweilen nur auf eine ru- hende Weiſe, feſthalten, ſo daß er nur gelegentlich wirkſam iſt, und dann wird gewiß die Compoſition, die Verknuͤpfung des Ein- zelnen zu einem Ganzen, als ein zweiter Akt poſtulirt. Dieſer Fall iſt aber im Grunde immer da. Denn auch wenn im erſten Entſchluß die Form ſchon mitgegeben iſt (man denke ſich, daß Jemand den Entſchluß faßt, ein Gedicht von beſtimmter Art zu machen) und dieſe ſchon ſehr viel Ausſchließung und poſitive Be- ſtandtheile enthaͤlt, wird doch im Componiren einzelnes ſo entſte- hen, das es proviſoriſch muß zur Seite gelegt werden. So iſt alſo die volle hermeneut. Aufgabe eben die, beide Akte in ihrer Verſchiedenheit zu verſtehen.
Dieſe Unterſcheidung zwiſchen Meditation und Compoſi- tion kann zweifelhaft machen, ob bei der weiteren Betrach- tung die Haupteintheilung in die pſychologiſche und techniſche Seite der Aufgabe feſtzuhalten ſei, oder die Unterabtheilung in der Ordnung der Compoſition betrachtet werden ſoll. Alſo in dieſem Falle zuerſt Auffindung des Entſchluſſes, d. i. der
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durch die That beſtimmt, wodurch die Gedankenbewegung ent-
ſteht, und verſtehe ich dieſe, dann verſtehe ich auch jene. Dann
faͤllt aber alles heraus, was in der Eigenthuͤmlichkeit des
Denkenden keinen Grund hat; ich finde nur was ſich aus der
freien That ſelbſt entwickelt hat. Da tritt nothwendig das Tech-
niſche ein. Denn ſobald Jemand mit freiem Entſchluß, freier
That etwas zum Bewußtſein bringen will oder Bewußtes dar-
ſtellen, was hier gleichviel iſt, ſo iſt er gleich genoͤthigt, eine Me-
thode zu befolgen. Aber dieſe wird verſchieden ſein, je nachdem
er ſich in ſeiner Selbſtbeſtimmung fragt, wie komme ich dazu,
den Gegenſtand gruͤndlich zu durchforſchen, oder, wie bringe ich
das Durchdachte in einer gewiſſen Richtung und fuͤr gewiſſe Men-
ſchen zur Darſtellung? Jenes iſt die Methode der Meditation,
dieſes die Methode der Compoſition. Beide ſind immer zweier-
lei, und nicht bloß in einzelnen Beiſpielen, ſondern in jedem Fall,
wo der Begriff der Compoſition involvirt iſt, zu unterſcheiden.
Die Meditation kann den Entſchluß bisweilen nur auf eine ru-
hende Weiſe, feſthalten, ſo daß er nur gelegentlich wirkſam iſt,
und dann wird gewiß die Compoſition, die Verknuͤpfung des Ein-
zelnen zu einem Ganzen, als ein zweiter Akt poſtulirt. Dieſer
Fall iſt aber im Grunde immer da. Denn auch wenn im erſten
Entſchluß die Form ſchon mitgegeben iſt (man denke ſich, daß
Jemand den Entſchluß faßt, ein Gedicht von beſtimmter Art zu
machen) und dieſe ſchon ſehr viel Ausſchließung und poſitive Be-
ſtandtheile enthaͤlt, wird doch im Componiren einzelnes ſo entſte-
hen, das es proviſoriſch muß zur Seite gelegt werden. So iſt
alſo die volle hermeneut. Aufgabe eben die, beide Akte in ihrer
Verſchiedenheit zu verſtehen.
Dieſe Unterſcheidung zwiſchen Meditation und Compoſi-
tion kann zweifelhaft machen, ob bei der weiteren Betrach-
tung die Haupteintheilung in die pſychologiſche und techniſche
Seite der Aufgabe feſtzuhalten ſei, oder die Unterabtheilung in
der Ordnung der Compoſition betrachtet werden ſoll. Alſo
in dieſem Falle zuerſt Auffindung des Entſchluſſes, d. i. der
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Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiermacher_hermeneutik_1838/177>, abgerufen am 04.12.2024.
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