Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838.in einem Werke am meisten zufällige. Beides aber ist aus der Die erste Aufgabe also ist, die Einheit des Werkes als That- Man könnte glauben, die Aufgabe sei schon durch die Über- Bei der Lösung der Aufgabe muß man von folgendem Ge- Wir unterscheiden hier die Frage, unter welchen Um- Die erste Frage bezieht sich auf das Äußerliche und führt in einem Werke am meiſten zufaͤllige. Beides aber iſt aus der Die erſte Aufgabe alſo iſt, die Einheit des Werkes als That- Man koͤnnte glauben, die Aufgabe ſei ſchon durch die Über- Bei der Loͤſung der Aufgabe muß man von folgendem Ge- Wir unterſcheiden hier die Frage, unter welchen Um- Die erſte Frage bezieht ſich auf das Äußerliche und fuͤhrt <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0180" n="156"/> in einem Werke am meiſten zufaͤllige. Beides aber iſt aus der<lb/> perſoͤnlichen Eigenthuͤmlichkeit des Verfaſſer zu verſtehen.</p><lb/> <p>Die erſte Aufgabe alſo iſt, die Einheit des Werkes als That-<lb/> ſache in dem Leben ſeines Verfaſſers. Es fragt ſich, wie iſt der<lb/> Verf. zu dem Gedanken gekommen, woraus das Ganze ſich ent-<lb/> wickelt, d. h. welche Beziehung hat es zu ſeinem ganzen Leben<lb/> und wie verhaͤlt ſich der Entſtehungsmoment in Verbindung mit<lb/> allen andern Lebensmomenten des Verfaſſers? —</p><lb/> <p>Man koͤnnte glauben, die Aufgabe ſei ſchon durch die Über-<lb/> ſchrift geloͤſt. Aber dies iſt Taͤuſchung. Denn die Überſchrift iſt<lb/> nichts weſentliches fuͤr die Hermeneutik und hat im Alterthum<lb/> faſt immer gefehlt. In den Werken des Alterthums iſt ſie meiſt<lb/> ſpaͤtern Urſprungs; iſt auch oft ganz zufaͤllig ohne Bedeutung fuͤr<lb/> die Einheit des Werkes, z. B. die Überſchrift <hi rendition="#g">Ilias</hi>.</p><lb/> <p>Bei der Loͤſung der Aufgabe muß man von folgendem Ge-<lb/> genſaze ausgehen. Auf der einen Seite, je mehr ein Werk der<lb/> Form nach in den Beruf ſeines Verf. gehoͤrt, deſto mehr verſteht<lb/> ſich die Geneſis im Allgemeinen von ſelbſt. Da bliebe nun die<lb/> Frage, wie der Verf. eben zu dem beſtimmten Beruf gekommen.<lb/> Allein dieß hat in Beziehung auf das einzelne Werk, welches vor-<lb/> liegt, gar kein Intereſſe. Der entgegengeſezte Fall iſt der, daß<lb/> die Aufgabe in dem Maaße ſchwer iſt, in welchem die Thaͤtigkeit,<lb/> woraus ein Werk hervorgeht, in dem Leben des Verf. zufaͤllig<lb/> erſcheint. In dieſem Falle muͤßte, um die Aufgabe loͤſen zu koͤn-<lb/> nen, das ganze Leben des Verfaſſers vorliegen.</p><lb/> <p>Wir unterſcheiden hier die Frage, <hi rendition="#g">unter welchen Um</hi>-<lb/><hi rendition="#g">ſtaͤnden iſt der Verfaſſer zu ſeinem Entſchluß gekom</hi>-<lb/><hi rendition="#g">men</hi>, <hi rendition="#g">von der</hi>, <hi rendition="#g">was bedeutet dieſer in ihm</hi>, <hi rendition="#g">oder was<lb/> hat er fuͤr einen beſtimmten Werth in Beziehung auf<lb/> die Totalitaͤt ſeines Lebens</hi>? —</p><lb/> <p>Die <hi rendition="#g">erſte</hi> Frage bezieht ſich auf das Äußerliche und fuͤhrt<lb/> auch nur zur Erklaͤrung des Äußerlichen. Ja es liegt darin et-<lb/> was, was leicht vom rechten Wege abfuͤhrt. Es giebt in der<lb/> Entſtehung eines ſchriftſtelleriſchen Entſchluſſes immer Zufaͤlligkei-<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [156/0180]
in einem Werke am meiſten zufaͤllige. Beides aber iſt aus der
perſoͤnlichen Eigenthuͤmlichkeit des Verfaſſer zu verſtehen.
Die erſte Aufgabe alſo iſt, die Einheit des Werkes als That-
ſache in dem Leben ſeines Verfaſſers. Es fragt ſich, wie iſt der
Verf. zu dem Gedanken gekommen, woraus das Ganze ſich ent-
wickelt, d. h. welche Beziehung hat es zu ſeinem ganzen Leben
und wie verhaͤlt ſich der Entſtehungsmoment in Verbindung mit
allen andern Lebensmomenten des Verfaſſers? —
Man koͤnnte glauben, die Aufgabe ſei ſchon durch die Über-
ſchrift geloͤſt. Aber dies iſt Taͤuſchung. Denn die Überſchrift iſt
nichts weſentliches fuͤr die Hermeneutik und hat im Alterthum
faſt immer gefehlt. In den Werken des Alterthums iſt ſie meiſt
ſpaͤtern Urſprungs; iſt auch oft ganz zufaͤllig ohne Bedeutung fuͤr
die Einheit des Werkes, z. B. die Überſchrift Ilias.
Bei der Loͤſung der Aufgabe muß man von folgendem Ge-
genſaze ausgehen. Auf der einen Seite, je mehr ein Werk der
Form nach in den Beruf ſeines Verf. gehoͤrt, deſto mehr verſteht
ſich die Geneſis im Allgemeinen von ſelbſt. Da bliebe nun die
Frage, wie der Verf. eben zu dem beſtimmten Beruf gekommen.
Allein dieß hat in Beziehung auf das einzelne Werk, welches vor-
liegt, gar kein Intereſſe. Der entgegengeſezte Fall iſt der, daß
die Aufgabe in dem Maaße ſchwer iſt, in welchem die Thaͤtigkeit,
woraus ein Werk hervorgeht, in dem Leben des Verf. zufaͤllig
erſcheint. In dieſem Falle muͤßte, um die Aufgabe loͤſen zu koͤn-
nen, das ganze Leben des Verfaſſers vorliegen.
Wir unterſcheiden hier die Frage, unter welchen Um-
ſtaͤnden iſt der Verfaſſer zu ſeinem Entſchluß gekom-
men, von der, was bedeutet dieſer in ihm, oder was
hat er fuͤr einen beſtimmten Werth in Beziehung auf
die Totalitaͤt ſeines Lebens? —
Die erſte Frage bezieht ſich auf das Äußerliche und fuͤhrt
auch nur zur Erklaͤrung des Äußerlichen. Ja es liegt darin et-
was, was leicht vom rechten Wege abfuͤhrt. Es giebt in der
Entſtehung eines ſchriftſtelleriſchen Entſchluſſes immer Zufaͤlligkei-
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