die objective, sofern sie rein im Stoff liegt, und die technische, in Beziehung auf die Form. Die eine muß durch die andere ver- standen werden. Außerdem hat jeder Gedankencomplexus eine Einheit, die über jene hinausliegt, die subjective, die Willens- meinung des Verfassers, wodurch Stoff und Form zusammenkom- men. In jedem Werke, das im Kunstgebiet liegt, ist keine andere Einheit vorauszusezen, als die Selbstmanifestation. Da wie ge- sagt die rein künstlerische Produktion durch jede anderweitige Rich- tung alterirt wird, so entsteht die Aufgabe dieß zu finden, wenn es vorhanden ist. Im Allgemeinen fragt sich, wie sind in den verschiedenen Arten und Gebieten der Composition die subjectiven Nebenzwecke oder untergeordneten Einheiten zu finden? Man darf einen solchen Nebenzweck niemals unmittelbar voraussezen, es müßte denn schon aus der Schrift selbst eine Ahnung davon ent- stehen. Es ist oben der Fall gesezt worden, daß bei Werken auf dem Gebiete der Kunst eine bestehende Kunstform so dominire, daß die Differenz zwischen mehreren, die denselben Stoff künstle- risch darstellen, sehr gering werde. Allein dieß war nur eine Fiction, um zu zeigen, wie die objective Einheit so dominiren könne, daß die subjective Selbstmanifestation nicht genug heraus- treten könne. Sezen wir nun aber, daß ein Zustand der Kunst sich jener dominirenden Macht des Objectiven nähere, dabei aber in den Subjecten ein mächtiger Drang zur Selbstmanifestation vorhanden sei, so werden in diesem Falle neue Formen gesucht werden. Es entsteht ein Antagonismus zwischen dem Beherrscht- werden des Künstlers durch die Form und dem Produciren desselben in der Form. Denken wir uns, daß dabei ein Neben- zweck sei, so wird dieser eine gewisse Gewalt ausüben gegen jenes Herrschen der Form. Und eben daran wird man die Selbstmani- festation des Verfassers erkennen. Alles, was nicht durch die Darlegung des Stoffes bestimmt ist, giebt uns ein Bild von dem Verfasser in seiner Art zu denken. Eben so, wenn mehrere den- selben Gegenstand behandeln mit derselben Tendenz, und es fin- den sich Elemente, worin sich jene gemeinsame Tendenz nicht zeigt,
die objective, ſofern ſie rein im Stoff liegt, und die techniſche, in Beziehung auf die Form. Die eine muß durch die andere ver- ſtanden werden. Außerdem hat jeder Gedankencomplexus eine Einheit, die uͤber jene hinausliegt, die ſubjective, die Willens- meinung des Verfaſſers, wodurch Stoff und Form zuſammenkom- men. In jedem Werke, das im Kunſtgebiet liegt, iſt keine andere Einheit vorauszuſezen, als die Selbſtmanifeſtation. Da wie ge- ſagt die rein kuͤnſtleriſche Produktion durch jede anderweitige Rich- tung alterirt wird, ſo entſteht die Aufgabe dieß zu finden, wenn es vorhanden iſt. Im Allgemeinen fragt ſich, wie ſind in den verſchiedenen Arten und Gebieten der Compoſition die ſubjectiven Nebenzwecke oder untergeordneten Einheiten zu finden? Man darf einen ſolchen Nebenzweck niemals unmittelbar vorausſezen, es muͤßte denn ſchon aus der Schrift ſelbſt eine Ahnung davon ent- ſtehen. Es iſt oben der Fall geſezt worden, daß bei Werken auf dem Gebiete der Kunſt eine beſtehende Kunſtform ſo dominire, daß die Differenz zwiſchen mehreren, die denſelben Stoff kuͤnſtle- riſch darſtellen, ſehr gering werde. Allein dieß war nur eine Fiction, um zu zeigen, wie die objective Einheit ſo dominiren koͤnne, daß die ſubjective Selbſtmanifeſtation nicht genug heraus- treten koͤnne. Sezen wir nun aber, daß ein Zuſtand der Kunſt ſich jener dominirenden Macht des Objectiven naͤhere, dabei aber in den Subjecten ein maͤchtiger Drang zur Selbſtmanifeſtation vorhanden ſei, ſo werden in dieſem Falle neue Formen geſucht werden. Es entſteht ein Antagonismus zwiſchen dem Beherrſcht- werden des Kuͤnſtlers durch die Form und dem Produciren deſſelben in der Form. Denken wir uns, daß dabei ein Neben- zweck ſei, ſo wird dieſer eine gewiſſe Gewalt ausuͤben gegen jenes Herrſchen der Form. Und eben daran wird man die Selbſtmani- feſtation des Verfaſſers erkennen. Alles, was nicht durch die Darlegung des Stoffes beſtimmt iſt, giebt uns ein Bild von dem Verfaſſer in ſeiner Art zu denken. Eben ſo, wenn mehrere den- ſelben Gegenſtand behandeln mit derſelben Tendenz, und es fin- den ſich Elemente, worin ſich jene gemeinſame Tendenz nicht zeigt,
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die objective, ſofern ſie rein im Stoff liegt, und die techniſche,
in Beziehung auf die Form. Die eine muß durch die andere ver-
ſtanden werden. Außerdem hat jeder Gedankencomplexus eine
Einheit, die uͤber jene hinausliegt, die ſubjective, die Willens-
meinung des Verfaſſers, wodurch Stoff und Form zuſammenkom-
men. In jedem Werke, das im Kunſtgebiet liegt, iſt keine andere
Einheit vorauszuſezen, als die Selbſtmanifeſtation. Da wie ge-
ſagt die rein kuͤnſtleriſche Produktion durch jede anderweitige Rich-
tung alterirt wird, ſo entſteht die Aufgabe dieß zu finden, wenn
es vorhanden iſt. Im Allgemeinen fragt ſich, wie ſind in den
verſchiedenen Arten und Gebieten der Compoſition die ſubjectiven
Nebenzwecke oder untergeordneten Einheiten zu finden? Man darf
einen ſolchen Nebenzweck niemals unmittelbar vorausſezen, es
muͤßte denn ſchon aus der Schrift ſelbſt eine Ahnung davon ent-
ſtehen. Es iſt oben der Fall geſezt worden, daß bei Werken auf
dem Gebiete der Kunſt eine beſtehende Kunſtform ſo dominire,
daß die Differenz zwiſchen mehreren, die denſelben Stoff kuͤnſtle-
riſch darſtellen, ſehr gering werde. Allein dieß war nur eine
Fiction, um zu zeigen, wie die objective Einheit ſo dominiren
koͤnne, daß die ſubjective Selbſtmanifeſtation nicht genug heraus-
treten koͤnne. Sezen wir nun aber, daß ein Zuſtand der Kunſt
ſich jener dominirenden Macht des Objectiven naͤhere, dabei aber
in den Subjecten ein maͤchtiger Drang zur Selbſtmanifeſtation
vorhanden ſei, ſo werden in dieſem Falle neue Formen geſucht
werden. Es entſteht ein Antagonismus zwiſchen dem Beherrſcht-
werden des Kuͤnſtlers durch die Form und dem Produciren
deſſelben in der Form. Denken wir uns, daß dabei ein Neben-
zweck ſei, ſo wird dieſer eine gewiſſe Gewalt ausuͤben gegen jenes
Herrſchen der Form. Und eben daran wird man die Selbſtmani-
feſtation des Verfaſſers erkennen. Alles, was nicht durch die
Darlegung des Stoffes beſtimmt iſt, giebt uns ein Bild von dem
Verfaſſer in ſeiner Art zu denken. Eben ſo, wenn mehrere den-
ſelben Gegenſtand behandeln mit derſelben Tendenz, und es fin-
den ſich Elemente, worin ſich jene gemeinſame Tendenz nicht zeigt,
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Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiermacher_hermeneutik_1838/190>, abgerufen am 04.12.2024.
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