schen Schriften enthalten, so giebt das eine ganz falsche Ansicht. Dieß wäre aber nicht so leicht möglich, wenn nicht bei der Auf- gabe, die spätere Lehre in Übereinstimmung mit der biblischen darzustellen, manche neutest. Stelle aus dem Zusammenhang ge- rissen worden wäre. Davor muß man sich hüten, man muß bei der hermeneutischen Operation alles andere vergessen, und nur davon ausgehen, was in der ursprünglichen Aufgabe der Apostel lag. So vermeidet man diese Gefahr. Aber eine andere entsteht, wenn nun das, was den Aposteln gegeben war, bestimmt werden soll. Nemlich, wenn das Christenthum entstanden wäre in einem Lebensgebiet, welches mit der Religion überhaupt keinen Zusammen- hang hätte, so wäre dieser Gesichtspunkt nicht nothwendig. In diesem Falle könnte es in der Mittheilung der Apostel kein religiöses Ele- ment geben, welches nicht die christliche Idee selbst ausspräche. So ist's aber nicht. Wir müssen unterscheiden das, was den Aposteln von Christus gegeben war, und das, was ihnen vor Christus gegeben war, was erst in jenes hineingearbeitet und dadurch modifizirt werden mußte. Beides hat nicht denselben Werth, bei- des kommt aber vor und zwar ohne Unterschied, wer auch die gewesen sein mögen, an welche die Apostel schrieben. Überall hatten diese auch jenes ihnen früher gegebene mit jenen gemein, und es lag also in ihrem gewöhnlichen Lebenskreise, das frühere religiöse Element in das Christliche zu verwandeln. Ist nun die didaktische Einheit so zusammengesezt, daß nicht nur Christliches in eigenthümlicher Form mitzutheilen war, sondern auch Christli- ches in Beziehung auf früher Vorhandenes und dieses in Bezie- hung auf das Christenthum, so ist diese Aufgabe schwieriger, als wenn diese Duplicität nicht wäre. Löst man dieß im Allgemei- nen auf und bringt es unter die Formel, es könne niemals, was einer früheren Lebensweise angehöre, rein um sein selbst willen in die didaktische Mittheilung eingehen, sondern nur in Beziehung auf das was als rein Christliches vorzutragen war, so wird man sich nicht leicht durch diese Duplicität in der Erkenntniß der Einheit irren lassen, weil die Duplicität aufgehoben und das untergeordnete
ſchen Schriften enthalten, ſo giebt das eine ganz falſche Anſicht. Dieß waͤre aber nicht ſo leicht moͤglich, wenn nicht bei der Auf- gabe, die ſpaͤtere Lehre in Übereinſtimmung mit der bibliſchen darzuſtellen, manche neuteſt. Stelle aus dem Zuſammenhang ge- riſſen worden waͤre. Davor muß man ſich huͤten, man muß bei der hermeneutiſchen Operation alles andere vergeſſen, und nur davon ausgehen, was in der urſpruͤnglichen Aufgabe der Apoſtel lag. So vermeidet man dieſe Gefahr. Aber eine andere entſteht, wenn nun das, was den Apoſteln gegeben war, beſtimmt werden ſoll. Nemlich, wenn das Chriſtenthum entſtanden waͤre in einem Lebensgebiet, welches mit der Religion uͤberhaupt keinen Zuſammen- hang haͤtte, ſo waͤre dieſer Geſichtspunkt nicht nothwendig. In dieſem Falle koͤnnte es in der Mittheilung der Apoſtel kein religioͤſes Ele- ment geben, welches nicht die chriſtliche Idee ſelbſt ausſpraͤche. So iſt's aber nicht. Wir muͤſſen unterſcheiden das, was den Apoſteln von Chriſtus gegeben war, und das, was ihnen vor Chriſtus gegeben war, was erſt in jenes hineingearbeitet und dadurch modifizirt werden mußte. Beides hat nicht denſelben Werth, bei- des kommt aber vor und zwar ohne Unterſchied, wer auch die geweſen ſein moͤgen, an welche die Apoſtel ſchrieben. Überall hatten dieſe auch jenes ihnen fruͤher gegebene mit jenen gemein, und es lag alſo in ihrem gewoͤhnlichen Lebenskreiſe, das fruͤhere religioͤſe Element in das Chriſtliche zu verwandeln. Iſt nun die didaktiſche Einheit ſo zuſammengeſezt, daß nicht nur Chriſtliches in eigenthuͤmlicher Form mitzutheilen war, ſondern auch Chriſtli- ches in Beziehung auf fruͤher Vorhandenes und dieſes in Bezie- hung auf das Chriſtenthum, ſo iſt dieſe Aufgabe ſchwieriger, als wenn dieſe Duplicitaͤt nicht waͤre. Loͤſt man dieß im Allgemei- nen auf und bringt es unter die Formel, es koͤnne niemals, was einer fruͤheren Lebensweiſe angehoͤre, rein um ſein ſelbſt willen in die didaktiſche Mittheilung eingehen, ſondern nur in Beziehung auf das was als rein Chriſtliches vorzutragen war, ſo wird man ſich nicht leicht durch dieſe Duplicitaͤt in der Erkenntniß der Einheit irren laſſen, weil die Duplicitaͤt aufgehoben und das untergeordnete
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ſchen Schriften enthalten, ſo giebt das eine ganz falſche Anſicht.
Dieß waͤre aber nicht ſo leicht moͤglich, wenn nicht bei der Auf-
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darzuſtellen, manche neuteſt. Stelle aus dem Zuſammenhang ge-
riſſen worden waͤre. Davor muß man ſich huͤten, man muß bei
der hermeneutiſchen Operation alles andere vergeſſen, und nur
davon ausgehen, was in der urſpruͤnglichen Aufgabe der Apoſtel
lag. So vermeidet man dieſe Gefahr. Aber eine andere entſteht,
wenn nun das, was den Apoſteln gegeben war, beſtimmt werden
ſoll. Nemlich, wenn das Chriſtenthum entſtanden waͤre in einem
Lebensgebiet, welches mit der Religion uͤberhaupt keinen Zuſammen-
hang haͤtte, ſo waͤre dieſer Geſichtspunkt nicht nothwendig. In dieſem
Falle koͤnnte es in der Mittheilung der Apoſtel kein religioͤſes Ele-
ment geben, welches nicht die chriſtliche Idee ſelbſt ausſpraͤche.
So iſt's aber nicht. Wir muͤſſen unterſcheiden das, was den
Apoſteln von Chriſtus gegeben war, und das, was ihnen vor
Chriſtus gegeben war, was erſt in jenes hineingearbeitet und dadurch
modifizirt werden mußte. Beides hat nicht denſelben Werth, bei-
des kommt aber vor und zwar ohne Unterſchied, wer auch die
geweſen ſein moͤgen, an welche die Apoſtel ſchrieben. Überall
hatten dieſe auch jenes ihnen fruͤher gegebene mit jenen gemein,
und es lag alſo in ihrem gewoͤhnlichen Lebenskreiſe, das fruͤhere
religioͤſe Element in das Chriſtliche zu verwandeln. Iſt nun die
didaktiſche Einheit ſo zuſammengeſezt, daß nicht nur Chriſtliches
in eigenthuͤmlicher Form mitzutheilen war, ſondern auch Chriſtli-
ches in Beziehung auf fruͤher Vorhandenes und dieſes in Bezie-
hung auf das Chriſtenthum, ſo iſt dieſe Aufgabe ſchwieriger, als
wenn dieſe Duplicitaͤt nicht waͤre. Loͤſt man dieß im Allgemei-
nen auf und bringt es unter die Formel, es koͤnne niemals, was
einer fruͤheren Lebensweiſe angehoͤre, rein um ſein ſelbſt willen in
die didaktiſche Mittheilung eingehen, ſondern nur in Beziehung auf
das was als rein Chriſtliches vorzutragen war, ſo wird man ſich nicht
leicht durch dieſe Duplicitaͤt in der Erkenntniß der Einheit irren
laſſen, weil die Duplicitaͤt aufgehoben und das untergeordnete
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Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiermacher_hermeneutik_1838/207>, abgerufen am 04.12.2024.
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