Gesetze der Auslegung und Kritik mit meisterhafter Kunst verstanden, das Allgemeine in dem Besonderen, den Begriff in den Erscheinungen und Erfahrungen, die Theorie in der Praxis nachzuweisen, und diese wiederum an jener zu be- währen, und darnach zu erweitern und zu ordnen. Daraus er- klärt sich, daß seine Darstellung eben so reich ist an neuen feinen Observationen über die künstlerische Praxis im Ein- zelnsten, an den brauchbarsten Rathschlägen für Lernende, wie an theoretischen Constructionen für die Meister und an sicheren Orientirungen auf dem Gebiete des Allgemeinen. So macht sein Werk bei aller natürlichen Unvollkommenheit in der Form, und bei allem Offenhalten und Freistellen neuer weiterer Entwicklungen doch den befriedigenden Eindruck ei- nes im gewissen Grade vollendeten Ganzen.
Schleiermacher hat in der Großartigkeit und Bescheidenheit seines Geistes nirgends und niemahls gewollt und gehofft, daß man bei ihm stehen bleiben solle und werde, im Gegentheil, der war ihm immer der Liebste, der über ihn hinaus Besseres und Vollkommneres zu geben versuchte und vermochte. Aber die Mit- und Nachwelt wäre undankbar und ungerecht gegen ihn, wenn sie nicht in seinen Werken überall das energisch Anregende, Schöpferische, und in sofern Epochemachende anerkennen und benutzen wollte. Dieß Lob und Verdienst nehme ich auch für dieses Werk meines verklärten Freundes in Anspruch. Die Kenner und Meister in der Kunst mögen richten!
Göttingen den 10. Juni 1838.
Dr. Friedrich Lücke.
Geſetze der Auslegung und Kritik mit meiſterhafter Kunſt verſtanden, das Allgemeine in dem Beſonderen, den Begriff in den Erſcheinungen und Erfahrungen, die Theorie in der Praxis nachzuweiſen, und dieſe wiederum an jener zu be- waͤhren, und darnach zu erweitern und zu ordnen. Daraus er- klaͤrt ſich, daß ſeine Darſtellung eben ſo reich iſt an neuen feinen Obſervationen uͤber die kuͤnſtleriſche Praxis im Ein- zelnſten, an den brauchbarſten Rathſchlaͤgen fuͤr Lernende, wie an theoretiſchen Conſtructionen fuͤr die Meiſter und an ſicheren Orientirungen auf dem Gebiete des Allgemeinen. So macht ſein Werk bei aller natuͤrlichen Unvollkommenheit in der Form, und bei allem Offenhalten und Freiſtellen neuer weiterer Entwicklungen doch den befriedigenden Eindruck ei- nes im gewiſſen Grade vollendeten Ganzen.
Schleiermacher hat in der Großartigkeit und Beſcheidenheit ſeines Geiſtes nirgends und niemahls gewollt und gehofft, daß man bei ihm ſtehen bleiben ſolle und werde, im Gegentheil, der war ihm immer der Liebſte, der uͤber ihn hinaus Beſſeres und Vollkommneres zu geben verſuchte und vermochte. Aber die Mit- und Nachwelt waͤre undankbar und ungerecht gegen ihn, wenn ſie nicht in ſeinen Werken uͤberall das energiſch Anregende, Schoͤpferiſche, und in ſofern Epochemachende anerkennen und benutzen wollte. Dieß Lob und Verdienſt nehme ich auch fuͤr dieſes Werk meines verklaͤrten Freundes in Anſpruch. Die Kenner und Meiſter in der Kunſt moͤgen richten!
Goͤttingen den 10. Juni 1838.
Dr. Friedrich Luͤcke.
<TEI><text><front><divn="1"><p><pbfacs="#f0024"n="XVIII"/>
Geſetze der Auslegung und Kritik mit meiſterhafter Kunſt<lb/>
verſtanden, das Allgemeine in dem Beſonderen, den Begriff<lb/>
in den Erſcheinungen und Erfahrungen, die Theorie in der<lb/>
Praxis nachzuweiſen, und dieſe wiederum an jener zu be-<lb/>
waͤhren, und darnach zu erweitern und zu ordnen. Daraus er-<lb/>
klaͤrt ſich, daß ſeine Darſtellung eben ſo reich iſt an neuen<lb/>
feinen Obſervationen uͤber die kuͤnſtleriſche Praxis im Ein-<lb/>
zelnſten, an den brauchbarſten Rathſchlaͤgen fuͤr Lernende,<lb/>
wie an theoretiſchen Conſtructionen fuͤr die Meiſter und an<lb/>ſicheren Orientirungen auf dem Gebiete des Allgemeinen.<lb/>
So macht ſein Werk bei aller natuͤrlichen Unvollkommenheit<lb/>
in der Form, und bei allem Offenhalten und Freiſtellen neuer<lb/>
weiterer Entwicklungen doch den befriedigenden Eindruck ei-<lb/>
nes im gewiſſen Grade vollendeten Ganzen.</p><lb/><p>Schleiermacher hat in der Großartigkeit und Beſcheidenheit<lb/>ſeines Geiſtes nirgends und niemahls gewollt und gehofft, daß<lb/>
man bei ihm ſtehen bleiben ſolle und werde, im Gegentheil, der<lb/>
war ihm immer der Liebſte, der uͤber ihn hinaus Beſſeres und<lb/>
Vollkommneres zu geben verſuchte und vermochte. Aber die<lb/>
Mit- und Nachwelt waͤre undankbar und ungerecht gegen<lb/>
ihn, wenn ſie nicht in ſeinen Werken uͤberall das energiſch<lb/>
Anregende, Schoͤpferiſche, und in ſofern Epochemachende<lb/>
anerkennen und benutzen wollte. Dieß Lob und Verdienſt<lb/>
nehme ich auch fuͤr dieſes Werk meines verklaͤrten Freundes<lb/>
in Anſpruch. Die Kenner und Meiſter in der Kunſt moͤgen<lb/>
richten!</p><lb/><p><hirendition="#g">Goͤttingen</hi> den 10. Juni 1838.</p><lb/><p><hirendition="#aq">Dr</hi>. <hirendition="#g">Friedrich Luͤcke</hi>.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/></div></front><body></body></text></TEI>
[XVIII/0024]
Geſetze der Auslegung und Kritik mit meiſterhafter Kunſt
verſtanden, das Allgemeine in dem Beſonderen, den Begriff
in den Erſcheinungen und Erfahrungen, die Theorie in der
Praxis nachzuweiſen, und dieſe wiederum an jener zu be-
waͤhren, und darnach zu erweitern und zu ordnen. Daraus er-
klaͤrt ſich, daß ſeine Darſtellung eben ſo reich iſt an neuen
feinen Obſervationen uͤber die kuͤnſtleriſche Praxis im Ein-
zelnſten, an den brauchbarſten Rathſchlaͤgen fuͤr Lernende,
wie an theoretiſchen Conſtructionen fuͤr die Meiſter und an
ſicheren Orientirungen auf dem Gebiete des Allgemeinen.
So macht ſein Werk bei aller natuͤrlichen Unvollkommenheit
in der Form, und bei allem Offenhalten und Freiſtellen neuer
weiterer Entwicklungen doch den befriedigenden Eindruck ei-
nes im gewiſſen Grade vollendeten Ganzen.
Schleiermacher hat in der Großartigkeit und Beſcheidenheit
ſeines Geiſtes nirgends und niemahls gewollt und gehofft, daß
man bei ihm ſtehen bleiben ſolle und werde, im Gegentheil, der
war ihm immer der Liebſte, der uͤber ihn hinaus Beſſeres und
Vollkommneres zu geben verſuchte und vermochte. Aber die
Mit- und Nachwelt waͤre undankbar und ungerecht gegen
ihn, wenn ſie nicht in ſeinen Werken uͤberall das energiſch
Anregende, Schoͤpferiſche, und in ſofern Epochemachende
anerkennen und benutzen wollte. Dieß Lob und Verdienſt
nehme ich auch fuͤr dieſes Werk meines verklaͤrten Freundes
in Anſpruch. Die Kenner und Meiſter in der Kunſt moͤgen
richten!
Goͤttingen den 10. Juni 1838.
Dr. Friedrich Luͤcke.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838, S. XVIII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiermacher_hermeneutik_1838/24>, abgerufen am 04.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.