schäft von dieser besteht darin, Werke von Männern in Beziehung allein auf ihren Werth richtig zu schäzen. Das Wort Werk hier ganz genommen, wonach alle menschlichen Produktionen vom Mechanischen an durch die Gebiete der Kunst und Wissenschaft hindurch darunter begriffen sind. Wonach erfolgt nun hier die Schäzung? Es giebt für jedes menschliche Werk ein Urbild. Darnach muß das Einzelne als Erscheinung beurtheilt werden. Da tritt aber bisweilen die Frage ein, haben Urheber und Beurtheiler dasselbe Urbild? Ein anderes Verhält- niß ist dieß, wenn aus der ersten Schäzung die zweite hervorgeht, nemlich die des Verfassers, ob derselbe ein Urbild hatte oder nicht? Aber auf das Verhältniß der Erscheinung zum Urbilde bezieht sich die ganze Aufgabe. Und dieß geht durch das ganze Gebiet durch. Selbst bei der Beurtheilung mechanischer Werke muß ich sagen können, was zur Vollkommenheit gehört, und dieß kann ich nicht eher, als bis ich das Aggregat von Vollkommenheiten zu einem Ganzen gebildet habe, welches eben das Urbild ist. Eben so im Ge- biete der Wissenschaft und der Kunst. Ich muß das Werk un- ter eine gewisse Gattung bringen, ihm einen gewissen Zweck bei- legen, und es fragt sich dann, in wiefern es seinen Zweck erreicht und seiner Gattung gemäß ist? Wenden wir dasselbe auf sittliche Handlungen, die vorübergehende Lebensmomente sind, an, so wer- den dieselben geschäzt nach dem ethischen Urbilde und ihren Bezie- hungen auf das, was bewirkt werden soll. Beides in seiner Zu- sammengehörigkeit bestimmt die Vollkommenheit oder Unvollkom- menheit der Handlung.
Hierunter sind nun eine Menge von Gegenständen, die zu- gleich Gegenstände der philologischen Kritik sind. Alle Schriften, die irgend Gegenstand der philologischen Kritik werden können, sind zugleich Gegenstände der doctrinalen. Aber die Aufgabe bei- der ist durchaus eine andere. Im Gebiete der Kunst kann die- selbe Aufgabe vorkommen, welche die philologische für die litte- rarischen Werke hat. Bei einem Werke der bildenden Kunst ist z. B. die Frage, ob es dem angehöre, dem es beigelegt wird? Die Beilegung kann im Werke selbst liegen, wenn der Name
ſchaͤft von dieſer beſteht darin, Werke von Maͤnnern in Beziehung allein auf ihren Werth richtig zu ſchaͤzen. Das Wort Werk hier ganz genommen, wonach alle menſchlichen Produktionen vom Mechaniſchen an durch die Gebiete der Kunſt und Wiſſenſchaft hindurch darunter begriffen ſind. Wonach erfolgt nun hier die Schaͤzung? Es giebt fuͤr jedes menſchliche Werk ein Urbild. Darnach muß das Einzelne als Erſcheinung beurtheilt werden. Da tritt aber bisweilen die Frage ein, haben Urheber und Beurtheiler daſſelbe Urbild? Ein anderes Verhaͤlt- niß iſt dieß, wenn aus der erſten Schaͤzung die zweite hervorgeht, nemlich die des Verfaſſers, ob derſelbe ein Urbild hatte oder nicht? Aber auf das Verhaͤltniß der Erſcheinung zum Urbilde bezieht ſich die ganze Aufgabe. Und dieß geht durch das ganze Gebiet durch. Selbſt bei der Beurtheilung mechaniſcher Werke muß ich ſagen koͤnnen, was zur Vollkommenheit gehoͤrt, und dieß kann ich nicht eher, als bis ich das Aggregat von Vollkommenheiten zu einem Ganzen gebildet habe, welches eben das Urbild iſt. Eben ſo im Ge- biete der Wiſſenſchaft und der Kunſt. Ich muß das Werk un- ter eine gewiſſe Gattung bringen, ihm einen gewiſſen Zweck bei- legen, und es fragt ſich dann, in wiefern es ſeinen Zweck erreicht und ſeiner Gattung gemaͤß iſt? Wenden wir daſſelbe auf ſittliche Handlungen, die voruͤbergehende Lebensmomente ſind, an, ſo wer- den dieſelben geſchaͤzt nach dem ethiſchen Urbilde und ihren Bezie- hungen auf das, was bewirkt werden ſoll. Beides in ſeiner Zu- ſammengehoͤrigkeit beſtimmt die Vollkommenheit oder Unvollkom- menheit der Handlung.
Hierunter ſind nun eine Menge von Gegenſtaͤnden, die zu- gleich Gegenſtaͤnde der philologiſchen Kritik ſind. Alle Schriften, die irgend Gegenſtand der philologiſchen Kritik werden koͤnnen, ſind zugleich Gegenſtaͤnde der doctrinalen. Aber die Aufgabe bei- der iſt durchaus eine andere. Im Gebiete der Kunſt kann die- ſelbe Aufgabe vorkommen, welche die philologiſche fuͤr die litte- rariſchen Werke hat. Bei einem Werke der bildenden Kunſt iſt z. B. die Frage, ob es dem angehoͤre, dem es beigelegt wird? Die Beilegung kann im Werke ſelbſt liegen, wenn der Name
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0293"n="269"/>ſchaͤft von dieſer beſteht darin, Werke von Maͤnnern in Beziehung<lb/>
allein auf ihren Werth richtig zu ſchaͤzen. Das Wort Werk hier ganz<lb/>
genommen, wonach alle menſchlichen Produktionen vom Mechaniſchen<lb/>
an durch die Gebiete der Kunſt und Wiſſenſchaft hindurch darunter<lb/>
begriffen ſind. Wonach erfolgt nun hier die Schaͤzung? Es giebt fuͤr<lb/>
jedes menſchliche Werk ein Urbild. Darnach muß das Einzelne als<lb/>
Erſcheinung beurtheilt werden. Da tritt aber bisweilen die Frage ein,<lb/>
haben Urheber und Beurtheiler daſſelbe Urbild? Ein anderes Verhaͤlt-<lb/>
niß iſt dieß, wenn aus der erſten Schaͤzung die zweite hervorgeht,<lb/>
nemlich die des Verfaſſers, ob derſelbe ein Urbild hatte oder nicht?<lb/>
Aber auf das Verhaͤltniß der Erſcheinung zum Urbilde bezieht ſich<lb/>
die ganze Aufgabe. Und dieß geht durch das ganze Gebiet durch.<lb/>
Selbſt bei der Beurtheilung mechaniſcher Werke muß ich ſagen<lb/>
koͤnnen, was zur Vollkommenheit gehoͤrt, und dieß kann ich nicht<lb/>
eher, als bis ich das Aggregat von Vollkommenheiten zu einem<lb/>
Ganzen gebildet habe, welches eben das Urbild iſt. Eben ſo im Ge-<lb/>
biete der Wiſſenſchaft und der Kunſt. Ich muß das Werk un-<lb/>
ter eine gewiſſe Gattung bringen, ihm einen gewiſſen Zweck bei-<lb/>
legen, und es fragt ſich dann, in wiefern es ſeinen Zweck erreicht<lb/>
und ſeiner Gattung gemaͤß iſt? Wenden wir daſſelbe auf ſittliche<lb/>
Handlungen, die voruͤbergehende Lebensmomente ſind, an, ſo wer-<lb/>
den dieſelben geſchaͤzt nach dem ethiſchen Urbilde und ihren Bezie-<lb/>
hungen auf das, was bewirkt werden ſoll. Beides in ſeiner Zu-<lb/>ſammengehoͤrigkeit beſtimmt die Vollkommenheit oder Unvollkom-<lb/>
menheit der Handlung.</p><lb/><p>Hierunter ſind nun eine Menge von Gegenſtaͤnden, die zu-<lb/>
gleich Gegenſtaͤnde der philologiſchen Kritik ſind. Alle Schriften,<lb/>
die irgend Gegenſtand der philologiſchen Kritik werden koͤnnen,<lb/>ſind zugleich Gegenſtaͤnde der doctrinalen. Aber die Aufgabe bei-<lb/>
der iſt durchaus eine andere. Im Gebiete der Kunſt kann die-<lb/>ſelbe Aufgabe vorkommen, welche die philologiſche fuͤr die litte-<lb/>
rariſchen Werke hat. Bei einem Werke der bildenden Kunſt iſt<lb/>
z. B. die Frage, ob es dem angehoͤre, dem es beigelegt wird?<lb/>
Die Beilegung kann im Werke ſelbſt liegen, wenn der Name<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[269/0293]
ſchaͤft von dieſer beſteht darin, Werke von Maͤnnern in Beziehung
allein auf ihren Werth richtig zu ſchaͤzen. Das Wort Werk hier ganz
genommen, wonach alle menſchlichen Produktionen vom Mechaniſchen
an durch die Gebiete der Kunſt und Wiſſenſchaft hindurch darunter
begriffen ſind. Wonach erfolgt nun hier die Schaͤzung? Es giebt fuͤr
jedes menſchliche Werk ein Urbild. Darnach muß das Einzelne als
Erſcheinung beurtheilt werden. Da tritt aber bisweilen die Frage ein,
haben Urheber und Beurtheiler daſſelbe Urbild? Ein anderes Verhaͤlt-
niß iſt dieß, wenn aus der erſten Schaͤzung die zweite hervorgeht,
nemlich die des Verfaſſers, ob derſelbe ein Urbild hatte oder nicht?
Aber auf das Verhaͤltniß der Erſcheinung zum Urbilde bezieht ſich
die ganze Aufgabe. Und dieß geht durch das ganze Gebiet durch.
Selbſt bei der Beurtheilung mechaniſcher Werke muß ich ſagen
koͤnnen, was zur Vollkommenheit gehoͤrt, und dieß kann ich nicht
eher, als bis ich das Aggregat von Vollkommenheiten zu einem
Ganzen gebildet habe, welches eben das Urbild iſt. Eben ſo im Ge-
biete der Wiſſenſchaft und der Kunſt. Ich muß das Werk un-
ter eine gewiſſe Gattung bringen, ihm einen gewiſſen Zweck bei-
legen, und es fragt ſich dann, in wiefern es ſeinen Zweck erreicht
und ſeiner Gattung gemaͤß iſt? Wenden wir daſſelbe auf ſittliche
Handlungen, die voruͤbergehende Lebensmomente ſind, an, ſo wer-
den dieſelben geſchaͤzt nach dem ethiſchen Urbilde und ihren Bezie-
hungen auf das, was bewirkt werden ſoll. Beides in ſeiner Zu-
ſammengehoͤrigkeit beſtimmt die Vollkommenheit oder Unvollkom-
menheit der Handlung.
Hierunter ſind nun eine Menge von Gegenſtaͤnden, die zu-
gleich Gegenſtaͤnde der philologiſchen Kritik ſind. Alle Schriften,
die irgend Gegenſtand der philologiſchen Kritik werden koͤnnen,
ſind zugleich Gegenſtaͤnde der doctrinalen. Aber die Aufgabe bei-
der iſt durchaus eine andere. Im Gebiete der Kunſt kann die-
ſelbe Aufgabe vorkommen, welche die philologiſche fuͤr die litte-
rariſchen Werke hat. Bei einem Werke der bildenden Kunſt iſt
z. B. die Frage, ob es dem angehoͤre, dem es beigelegt wird?
Die Beilegung kann im Werke ſelbſt liegen, wenn der Name
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiermacher_hermeneutik_1838/293>, abgerufen am 05.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.