Saz: in dem Maaße in welchem das Denken eins ist giebt es auch eine Identität der Sprachen. Dieß Gebiet muß die allge- meinen Regeln der Sprache enthalten. Sobald es aber eine Be- sonderheit des Denkens durch die Sprache giebt, entsteht ein spe- cielles hermeneutisches Gebiet. Bei der genaueren Bestimmung der Grenzen zwischen dem allgemeinen und speciellen fragt sich zuerst auf der grammatischen Seite: wie weit sich von der Sprache aus die Rede als Eins (als Einheit) verfolgen lasse? Die Rede muß ein Saz sein. Dadurch ist erst etwas im Gebiet der Sprache Eins. Der Saz aber ist das Aufeinanderbeziehen von Haupt- und Zeitwort, onoma und Rema. So weit sich das Ver- stehen der Rede aus der Natur des Sazes überhaupt ergiebt, so weit geht die allgemeine Hermeneutik gewiß. Allein, obwohl die Natur des Sazes als Denkakt in allen Spra- chen dieselbe ist, so ist doch die Behandlung des Sazes in den verschiedenen Sprachen verschieden. Je größer nun in den Sprachen die Verschiedenheit in der Behandlung des Sazes ist, desto mehr beschränkt sich das Gebiet der allgemeinen Hermeneutik, desto mehr Differenzen kommen in das Gebiet der allgemeinen Her- meneutik.
Eben so auf der psychologischen Seite. In dem Maaße als das menschliche Leben ein und dasselbe ist unterliegt jede Rede als Lebensakt des Einzelnen den allgemeinen hermeneutischen Re- geln. In dem Maaße aber als das menschliche Leben sich indi- vidualisirt ist auch jeder Lebensakt und somit auch jeder Sprech- akt, worin jener sich darstellt, bei Andern anderswie beschaffen und anderswie mit seinen übrigen Lebensmomenten zusammen- hängend. Hier tritt das Gebiet des Speciellen ein. Wenn wir nun voraussetzen, daß alle Differenzen der menschlichen Natur in ihren Lebensfunktionen sich auch in der Sprache darstellen, so folgt auch, daß die Constitution des Sazes mit der Constitution des Lebensaktes zusammenhängt. Dieß gilt sowohl für das All- gemeine, als für das Besondere: Das Verhältniß des Allgemei- nen und Speciellen aber ist ein mannigfach abgestuftes. Denn
Saz: in dem Maaße in welchem das Denken eins iſt giebt es auch eine Identitaͤt der Sprachen. Dieß Gebiet muß die allge- meinen Regeln der Sprache enthalten. Sobald es aber eine Be- ſonderheit des Denkens durch die Sprache giebt, entſteht ein ſpe- cielles hermeneutiſches Gebiet. Bei der genaueren Beſtimmung der Grenzen zwiſchen dem allgemeinen und ſpeciellen fragt ſich zuerſt auf der grammatiſchen Seite: wie weit ſich von der Sprache aus die Rede als Eins (als Einheit) verfolgen laſſe? Die Rede muß ein Saz ſein. Dadurch iſt erſt etwas im Gebiet der Sprache Eins. Der Saz aber iſt das Aufeinanderbeziehen von Haupt- und Zeitwort, ὄνομα und ῥῆμα. So weit ſich das Ver- ſtehen der Rede aus der Natur des Sazes uͤberhaupt ergiebt, ſo weit geht die allgemeine Hermeneutik gewiß. Allein, obwohl die Natur des Sazes als Denkakt in allen Spra- chen dieſelbe iſt, ſo iſt doch die Behandlung des Sazes in den verſchiedenen Sprachen verſchieden. Je groͤßer nun in den Sprachen die Verſchiedenheit in der Behandlung des Sazes iſt, deſto mehr beſchraͤnkt ſich das Gebiet der allgemeinen Hermeneutik, deſto mehr Differenzen kommen in das Gebiet der allgemeinen Her- meneutik.
Eben ſo auf der pſychologiſchen Seite. In dem Maaße als das menſchliche Leben ein und daſſelbe iſt unterliegt jede Rede als Lebensakt des Einzelnen den allgemeinen hermeneutiſchen Re- geln. In dem Maaße aber als das menſchliche Leben ſich indi- vidualiſirt iſt auch jeder Lebensakt und ſomit auch jeder Sprech- akt, worin jener ſich darſtellt, bei Andern anderswie beſchaffen und anderswie mit ſeinen uͤbrigen Lebensmomenten zuſammen- haͤngend. Hier tritt das Gebiet des Speciellen ein. Wenn wir nun vorausſetzen, daß alle Differenzen der menſchlichen Natur in ihren Lebensfunktionen ſich auch in der Sprache darſtellen, ſo folgt auch, daß die Conſtitution des Sazes mit der Conſtitution des Lebensaktes zuſammenhaͤngt. Dieß gilt ſowohl fuͤr das All- gemeine, als fuͤr das Beſondere: Das Verhaͤltniß des Allgemei- nen und Speciellen aber iſt ein mannigfach abgeſtuftes. Denn
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Saz: in dem Maaße in welchem das Denken eins iſt giebt es
auch eine Identitaͤt der Sprachen. Dieß Gebiet muß die allge-
meinen Regeln der Sprache enthalten. Sobald es aber eine Be-
ſonderheit des Denkens durch die Sprache giebt, entſteht ein ſpe-
cielles hermeneutiſches Gebiet. Bei der genaueren Beſtimmung der
Grenzen zwiſchen dem allgemeinen und ſpeciellen fragt ſich zuerſt
auf der grammatiſchen Seite: wie weit ſich von der Sprache aus
die Rede als Eins (als Einheit) verfolgen laſſe? Die Rede muß
ein Saz ſein. Dadurch iſt erſt etwas im Gebiet der Sprache
Eins. Der Saz aber iſt das Aufeinanderbeziehen von Haupt-
und Zeitwort, ὄνομα und ῥῆμα. So weit ſich das Ver-
ſtehen der Rede aus der Natur des Sazes uͤberhaupt
ergiebt, ſo weit geht die allgemeine Hermeneutik gewiß.
Allein, obwohl die Natur des Sazes als Denkakt in allen Spra-
chen dieſelbe iſt, ſo iſt doch die Behandlung des Sazes in
den verſchiedenen Sprachen verſchieden. Je groͤßer nun in den
Sprachen die Verſchiedenheit in der Behandlung des Sazes iſt,
deſto mehr beſchraͤnkt ſich das Gebiet der allgemeinen Hermeneutik,
deſto mehr Differenzen kommen in das Gebiet der allgemeinen Her-
meneutik.
Eben ſo auf der pſychologiſchen Seite. In dem Maaße als
das menſchliche Leben ein und daſſelbe iſt unterliegt jede Rede
als Lebensakt des Einzelnen den allgemeinen hermeneutiſchen Re-
geln. In dem Maaße aber als das menſchliche Leben ſich indi-
vidualiſirt iſt auch jeder Lebensakt und ſomit auch jeder Sprech-
akt, worin jener ſich darſtellt, bei Andern anderswie beſchaffen
und anderswie mit ſeinen uͤbrigen Lebensmomenten zuſammen-
haͤngend. Hier tritt das Gebiet des Speciellen ein. Wenn wir
nun vorausſetzen, daß alle Differenzen der menſchlichen Natur in
ihren Lebensfunktionen ſich auch in der Sprache darſtellen, ſo
folgt auch, daß die Conſtitution des Sazes mit der Conſtitution
des Lebensaktes zuſammenhaͤngt. Dieß gilt ſowohl fuͤr das All-
gemeine, als fuͤr das Beſondere: Das Verhaͤltniß des Allgemei-
nen und Speciellen aber iſt ein mannigfach abgeſtuftes. Denn
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Schleiermacher, Friedrich: Hermeneutik und Kritik. Berlin, 1838, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiermacher_hermeneutik_1838/49>, abgerufen am 04.12.2024.
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