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Schmid, Hermann: Mohrenfranzl. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 88–178. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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sten Städtchen, das an der Salzach aufwärts an der bayerischen Grenze liegt. Die Zunft ist sehr zahlreich und treibt die Schifffahrt auf der Salzach ausschließend und in großer Ausdehnung. Besonders mit den Salzzügen kommen sie die ganze Donau hinunter bis tief in die Türkei. Im Winter aber und im Spätherbst, wenn wegen der kurzen Tage, wegen der Nebel und dann wegen des Eises die Schifffahrt nicht mehr möglich ist, steht die ganze Zunft zusammen und spielt Theater. Sie theilen sich in mehrere Truppen und bereisen die umliegenden Städte und Marktflecken, wo sie Jahr für Jahr mit Sehnsucht erwartet werden. Sie spielen auf gemeinsame Rechnung; die Spielenden werden aus der Einnahme verpflegt, alles Uebrige fällt in die Kasse und wird theils angelegt, theils vertheilt. Die Stücke, die sie spielen, gehören mitunter den neuern Erscheinungen an; meistens aber sind es Stücke, die aus dem Volke entstanden sind und die man auf keinem andern Theater findet. Ich glaube gewiß, daß Sie es nicht bereuen werden, hingegangen zu sein.

In der ganzen Sache lag etwas Lockendes und Eigenthümliches, so daß ich mich rasch entschloß, den Abend daran zu wenden, ein neues und besonderes Stück Volksthum kennen zu lernen, und also dem Bräuhause zuwanderte, in dessen Tanzsaal die Bühne der Schiffleute aufgeschlagen war. Der am Hausthore neben der Bierglocke angeklebte geschriebene Theaterzettel be-

sten Städtchen, das an der Salzach aufwärts an der bayerischen Grenze liegt. Die Zunft ist sehr zahlreich und treibt die Schifffahrt auf der Salzach ausschließend und in großer Ausdehnung. Besonders mit den Salzzügen kommen sie die ganze Donau hinunter bis tief in die Türkei. Im Winter aber und im Spätherbst, wenn wegen der kurzen Tage, wegen der Nebel und dann wegen des Eises die Schifffahrt nicht mehr möglich ist, steht die ganze Zunft zusammen und spielt Theater. Sie theilen sich in mehrere Truppen und bereisen die umliegenden Städte und Marktflecken, wo sie Jahr für Jahr mit Sehnsucht erwartet werden. Sie spielen auf gemeinsame Rechnung; die Spielenden werden aus der Einnahme verpflegt, alles Uebrige fällt in die Kasse und wird theils angelegt, theils vertheilt. Die Stücke, die sie spielen, gehören mitunter den neuern Erscheinungen an; meistens aber sind es Stücke, die aus dem Volke entstanden sind und die man auf keinem andern Theater findet. Ich glaube gewiß, daß Sie es nicht bereuen werden, hingegangen zu sein.

In der ganzen Sache lag etwas Lockendes und Eigenthümliches, so daß ich mich rasch entschloß, den Abend daran zu wenden, ein neues und besonderes Stück Volksthum kennen zu lernen, und also dem Bräuhause zuwanderte, in dessen Tanzsaal die Bühne der Schiffleute aufgeschlagen war. Der am Hausthore neben der Bierglocke angeklebte geschriebene Theaterzettel be-

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T11:20:55Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T11:20:55Z)

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Zitationshilfe: Schmid, Hermann: Mohrenfranzl. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 88–178. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmid_mohrenfranzl_1910/9>, abgerufen am 23.11.2024.