Schmidt, Erich: Gedächtnissrede auf Karl Weinhold. Berlin, 1902.
<TEI> <text> <body> <div> <pb facs="#f0011" n="11"/> <p><lb/> Gedächtniſsrede auf Karl Weinhold. 9</p> <p><lb/> während der Grazer Germanist vor dem Eintritt des trefflichen Erforschers<lb/> fränkischen ehelichen Güterrechts Sandhaas auch deutsche Reichs- und Rechts-<lb/> geschichte las und sich nicht bloſs dadurch auf die spätere Ehrenpromotion<lb/> rüstete, während er der Steiermark historische Specialstudien über Hugo<lb/> von Montfort und die Stadecker gab oder einen Gräberfund erläuterte, ge-<lb/> diehen ihm auſser jenen »Weihnachtspielen« andre gewichtige und im besten<lb/> Sinn populäre culturhistorische Gaben. Ein Brief an den lauteren Freund<lb/> und Fachgenossen Zacher vom März 1852 meldet: »Ich bin jetzt über den<lb/> Quellenforschungen zu einer Geschichte des deutschen Kriegswesens und der<lb/> Heerverfassung«, vorläufig bis zu den Karolingern; »das Werk wird sich<lb/> an meine deutschen Frauen als ein andrer Theil meiner Vorarbeiten zu<lb/> einer deutschen Culturgeschichte anreihen, die ich mir als Hauptaufgabe<lb/> des Lebens gestellt habe«. Ob er dann von Peucker’s Absicht hörte? 1851<lb/> erschien, lang vorbereitet und den Krakauer Flammen allein entrissen, das<lb/> Werk »Die deutschen Frauen in dem Mittelalter. Ein Beitrag zu den Haus-<lb/> alterthümern der Germanen«, mit einem starken Einschnitt beim Vordringen<lb/> ritterlicher Geselligkeit, sonst der innern Gruppirung zu Lieb' ohne genaue<lb/> Schranken nach Zeit und Landschaft. Alles darin ist aus den Quellen ge-<lb/> schöpft; wir besaſsen noch nichts dergleichen. Die Schatten wurden keines-<lb/> wegs vertuscht, doch sollte diese dann soviel, redlich und unredlich, aus-<lb/> geschriebene Darstellung, die von den Namen und von den Göttinnen ausging<lb/> und keine Seite des Frauenlebens versäumte, in trüben Jahren Deutschlands<lb/> dienen »zur Erkenntniſs der Vergangenheit, zum Trost der Gegenwart, zur<lb/> Hoffnung für die Zukunft«. Sie übertrug mit priesterlichen Scheltworten<lb/> und keuschen Superlativen der Geschichte nicht bloſs ein objectiv berich-<lb/> tendes, sondern auch ein pädagogisch mahnendes Amt. Und so hoffte<lb/> Weinhold 1856 durch die gedrungnere Schilderung des »Altnordischen<lb/> Lebens« im Haus und in der Volksgemeinde, ohne Eingehen auf Recht<lb/> und Staat, zugleich ein Heilmittel für faule moderne Zustände zu bieten.<lb/> Man belächle diesen Übereifer nicht, der den klargegliederten, auf reichster<lb/> Lectüre wohlfundirten, auch die Ausgrabungen thunlichst berücksichtigen-<lb/> den Capiteln keinen tendenziösen Abbruch gethan hat, wenn auch heute die<lb/> idealisirende Neigung stärkeren Zweifeln begegnen mag. Es war Weinhold<lb/> vergönnt, sein Frauenbuch nach einem Menschenalter auf Grund ununter-<lb/> brochener Studien durchweg zu bessern und zu bereichern. Sein »Altnor-<lb/> disches Leben« dagegen hat ihn zwar zu dem vorzüglichen groſsen Aufsatz<lb/> Gedächtniſsreden. 1902. II. 2</p> </div> </body> </text> </TEI> [11/0011]
Gedächtniſsrede auf Karl Weinhold. 9
während der Grazer Germanist vor dem Eintritt des trefflichen Erforschers
fränkischen ehelichen Güterrechts Sandhaas auch deutsche Reichs- und Rechts-
geschichte las und sich nicht bloſs dadurch auf die spätere Ehrenpromotion
rüstete, während er der Steiermark historische Specialstudien über Hugo
von Montfort und die Stadecker gab oder einen Gräberfund erläuterte, ge-
diehen ihm auſser jenen »Weihnachtspielen« andre gewichtige und im besten
Sinn populäre culturhistorische Gaben. Ein Brief an den lauteren Freund
und Fachgenossen Zacher vom März 1852 meldet: »Ich bin jetzt über den
Quellenforschungen zu einer Geschichte des deutschen Kriegswesens und der
Heerverfassung«, vorläufig bis zu den Karolingern; »das Werk wird sich
an meine deutschen Frauen als ein andrer Theil meiner Vorarbeiten zu
einer deutschen Culturgeschichte anreihen, die ich mir als Hauptaufgabe
des Lebens gestellt habe«. Ob er dann von Peucker’s Absicht hörte? 1851
erschien, lang vorbereitet und den Krakauer Flammen allein entrissen, das
Werk »Die deutschen Frauen in dem Mittelalter. Ein Beitrag zu den Haus-
alterthümern der Germanen«, mit einem starken Einschnitt beim Vordringen
ritterlicher Geselligkeit, sonst der innern Gruppirung zu Lieb' ohne genaue
Schranken nach Zeit und Landschaft. Alles darin ist aus den Quellen ge-
schöpft; wir besaſsen noch nichts dergleichen. Die Schatten wurden keines-
wegs vertuscht, doch sollte diese dann soviel, redlich und unredlich, aus-
geschriebene Darstellung, die von den Namen und von den Göttinnen ausging
und keine Seite des Frauenlebens versäumte, in trüben Jahren Deutschlands
dienen »zur Erkenntniſs der Vergangenheit, zum Trost der Gegenwart, zur
Hoffnung für die Zukunft«. Sie übertrug mit priesterlichen Scheltworten
und keuschen Superlativen der Geschichte nicht bloſs ein objectiv berich-
tendes, sondern auch ein pädagogisch mahnendes Amt. Und so hoffte
Weinhold 1856 durch die gedrungnere Schilderung des »Altnordischen
Lebens« im Haus und in der Volksgemeinde, ohne Eingehen auf Recht
und Staat, zugleich ein Heilmittel für faule moderne Zustände zu bieten.
Man belächle diesen Übereifer nicht, der den klargegliederten, auf reichster
Lectüre wohlfundirten, auch die Ausgrabungen thunlichst berücksichtigen-
den Capiteln keinen tendenziösen Abbruch gethan hat, wenn auch heute die
idealisirende Neigung stärkeren Zweifeln begegnen mag. Es war Weinhold
vergönnt, sein Frauenbuch nach einem Menschenalter auf Grund ununter-
brochener Studien durchweg zu bessern und zu bereichern. Sein »Altnor-
disches Leben« dagegen hat ihn zwar zu dem vorzüglichen groſsen Aufsatz
Gedächtniſsreden. 1902. II. 2
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