Schmidt, Erich: Gedächtnissrede auf Karl Weinhold. Berlin, 1902.
<TEI> <text> <body> <div> <pb facs="#f0016" n="16"/> <p><lb/> 14 E. SCHMIDT:</p> <p><lb/> er als Festredner die neue Zeit schalt, wie er doch schon die frühere ge-<lb/> scholten: Untriuwe ist in der sâze, so verschloſs er sich keineswegs gegen<lb/> die Lichtseiten. Anwandlungen von Bitterkeit wichen nun, die seinen besten<lb/> Mannesjahren im Concordatland, unter dem Dannebrog, durch die sehr<lb/> lange Isolirung an der Peripherie des deutschen Gelehrtenreiches sowie im<lb/> stillen Gegensatze zu führenden Mächten der Wissenschaft nicht erspart ge-<lb/> blieben waren. Dieser Markwart sah seine Hoffnung auf ein einiges Deutsch-<lb/> land erfüllt, und die weite Bahn von Halle über Breslau an die Jagellonen-<lb/> universität, von der Weichsel an die Mur, aus Graz nach Schleswig-Holstein<lb/> mitten in den ihn tief ergreifenden Entscheidungskampf hinein und wieder<lb/> gen Schlesien führte Weinhold endlich hierher. Auch ihm ward das Alter,<lb/> wie Jacob Grimm sagt, »die Zeit einer im vorausgegangenen Leben nicht so<lb/> dagewesenen Ruhe und Befriedigung«. Was ihn anfocht, das überwand<lb/> er mit schweigsamer Kraft. Er war kein aufgeknöpfter, redseliger Schlesier,<lb/> sondern meist sehr zurückhaltend, ohne Bedürfniſs und Neigung, sich über<lb/> eigene oder fremde Arbeiten, über sein Thun und Lassen, über Freuden<lb/> und Leiden im Austausch zu äuſsern. Seine Schriften führen geringe po-<lb/> lemische Elemente; sein Briefwechsel mit Fachgenossen geht selten auf<lb/> die Studien näher ein. Aber diese spröde Abschlieſsung, diese herben<lb/> Mienen konnten nur bei flüchtiger Berührung täuschen und ihn unnahbar<lb/> erscheinen lassen. Sie vertrugen sich mit einer tiefen Heiterkeit, der wohl-<lb/> thätigsten Güte, der herzlichsten Treue, denn er war Vielen in Nord und<lb/> Süd, Ost und West ein holder wine. Seine geistigen und gemüthlichen<lb/> Interessen reichten gleichfalls noch weiter, als die Äuſserung erwies, und<lb/> der Poesie hat Weinhold, Graf Strachwitzens Jugendfreund, nicht nur for-<lb/> schend und genieſsend oder in hübschen Gelegenheitsgaben gehuldigt, ohne<lb/> sich auf dem Markte zu nennen.<lb/> Unbedingt zuverlässig, keines Wankelwortes fähig, trotz starken Anti-<lb/> pathien nie kleinlich grollend und ungerecht nachtragend, stolz ohne Dünkel,<lb/> conservativ ohne reactionäre Befangenheit, genau ohne Pedanterie, pflicht-<lb/> streng ohne Härte, erwarb er allenthalben Vertrauen und ist von den Collegen<lb/> der höchsten Auszeichnung gewürdigt worden, weil man sicher sein durfte,<lb/> daſs Ehrgefühl der Nerv seines Wesens sei. Ohne sich einen Augenblick<lb/> zu bedenken, blieb der junge Professor auf lange Jahre hin an einer ent-<lb/> legenen, ihrer jetzigen Blüthe noch ganz fernen Rumpfuniversität und schrieb<lb/> der ihm persönlich wohlwollenden Regierung, die ihm den ersten Lehr-</p> </div> </body> </text> </TEI> [16/0016]
14 E. SCHMIDT:
er als Festredner die neue Zeit schalt, wie er doch schon die frühere ge-
scholten: Untriuwe ist in der sâze, so verschloſs er sich keineswegs gegen
die Lichtseiten. Anwandlungen von Bitterkeit wichen nun, die seinen besten
Mannesjahren im Concordatland, unter dem Dannebrog, durch die sehr
lange Isolirung an der Peripherie des deutschen Gelehrtenreiches sowie im
stillen Gegensatze zu führenden Mächten der Wissenschaft nicht erspart ge-
blieben waren. Dieser Markwart sah seine Hoffnung auf ein einiges Deutsch-
land erfüllt, und die weite Bahn von Halle über Breslau an die Jagellonen-
universität, von der Weichsel an die Mur, aus Graz nach Schleswig-Holstein
mitten in den ihn tief ergreifenden Entscheidungskampf hinein und wieder
gen Schlesien führte Weinhold endlich hierher. Auch ihm ward das Alter,
wie Jacob Grimm sagt, »die Zeit einer im vorausgegangenen Leben nicht so
dagewesenen Ruhe und Befriedigung«. Was ihn anfocht, das überwand
er mit schweigsamer Kraft. Er war kein aufgeknöpfter, redseliger Schlesier,
sondern meist sehr zurückhaltend, ohne Bedürfniſs und Neigung, sich über
eigene oder fremde Arbeiten, über sein Thun und Lassen, über Freuden
und Leiden im Austausch zu äuſsern. Seine Schriften führen geringe po-
lemische Elemente; sein Briefwechsel mit Fachgenossen geht selten auf
die Studien näher ein. Aber diese spröde Abschlieſsung, diese herben
Mienen konnten nur bei flüchtiger Berührung täuschen und ihn unnahbar
erscheinen lassen. Sie vertrugen sich mit einer tiefen Heiterkeit, der wohl-
thätigsten Güte, der herzlichsten Treue, denn er war Vielen in Nord und
Süd, Ost und West ein holder wine. Seine geistigen und gemüthlichen
Interessen reichten gleichfalls noch weiter, als die Äuſserung erwies, und
der Poesie hat Weinhold, Graf Strachwitzens Jugendfreund, nicht nur for-
schend und genieſsend oder in hübschen Gelegenheitsgaben gehuldigt, ohne
sich auf dem Markte zu nennen.
Unbedingt zuverlässig, keines Wankelwortes fähig, trotz starken Anti-
pathien nie kleinlich grollend und ungerecht nachtragend, stolz ohne Dünkel,
conservativ ohne reactionäre Befangenheit, genau ohne Pedanterie, pflicht-
streng ohne Härte, erwarb er allenthalben Vertrauen und ist von den Collegen
der höchsten Auszeichnung gewürdigt worden, weil man sicher sein durfte,
daſs Ehrgefühl der Nerv seines Wesens sei. Ohne sich einen Augenblick
zu bedenken, blieb der junge Professor auf lange Jahre hin an einer ent-
legenen, ihrer jetzigen Blüthe noch ganz fernen Rumpfuniversität und schrieb
der ihm persönlich wohlwollenden Regierung, die ihm den ersten Lehr-
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