Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.Erstes Buch. Land, Leute und Technik. denn der Ausspruch Pindars, daß das Wasser das Herrlichste sei, ist vor allem auchwirtschaftlich wahr. Ohne Wasser ist nirgends ein wirtschaftliches Gedeihen. Man könnte fast sagen, die am Wasser gelegenen Gebiete seien die reichen. Die Regenmenge und das örtliche Vorkommen des Wassers stehen in engster Wie schon die Tiere des Waldes und der Wüste dem Wasser nachgehen, so hat Und wenn wir so Siedelungen, Ackerbau und Gewerbe dem Wasser mit Vorliebe Das Ergebnis all' solcher an die Erdoberfläche anknüpfender volkswirtschaftlich- Erſtes Buch. Land, Leute und Technik. denn der Ausſpruch Pindars, daß das Waſſer das Herrlichſte ſei, iſt vor allem auchwirtſchaftlich wahr. Ohne Waſſer iſt nirgends ein wirtſchaftliches Gedeihen. Man könnte faſt ſagen, die am Waſſer gelegenen Gebiete ſeien die reichen. Die Regenmenge und das örtliche Vorkommen des Waſſers ſtehen in engſter Wie ſchon die Tiere des Waldes und der Wüſte dem Waſſer nachgehen, ſo hat Und wenn wir ſo Siedelungen, Ackerbau und Gewerbe dem Waſſer mit Vorliebe Das Ergebnis all’ ſolcher an die Erdoberfläche anknüpfender volkswirtſchaftlich- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0150" n="134"/><fw place="top" type="header">Erſtes Buch. Land, Leute und Technik.</fw><lb/> denn der Ausſpruch Pindars, daß das Waſſer das Herrlichſte ſei, iſt vor allem auch<lb/> wirtſchaftlich wahr. Ohne Waſſer iſt nirgends ein wirtſchaftliches Gedeihen. Man<lb/> könnte faſt ſagen, die am Waſſer gelegenen Gebiete ſeien die reichen.</p><lb/> <p>Die Regenmenge und das örtliche Vorkommen des Waſſers ſtehen in engſter<lb/> kauſaler Wechſelwirkung; aber im einzelnen iſt der Reichtum an Quellen, Flüſſen und<lb/> Küſten doch nicht durch die Regenmenge des Ortes bedingt, und jedenfalls wird das<lb/> Vorkommen fließenden Waſſers um ſo wichtiger, je mehr es an Regen in der<lb/> Gegend fehlt.</p><lb/> <p>Wie ſchon die Tiere des Waldes und der Wüſte dem Waſſer nachgehen, ſo hat<lb/> es der primitive Menſch gethan; die Wanderungen und Siedelungen der Ureinwohner<lb/> ſind zwar von großen Waſſerläufen oft auch gehemmt worden, große Ströme bieten<lb/> lange eine faſt unüberbrückbare Völkerſcheide; aber umſomehr folgt der primitive Menſch<lb/> den Quellen und Flußrändern. Und mit der Seßhaftigkeit und der höheren Kultur<lb/> nimmt der Zug nach dem Waſſer nicht ab. Die Quellen haben überall die Wohnſitze<lb/> der Menſchen beſtimmt, weil Menſch und Vieh, Küche und Haus ohne Waſſer nicht<lb/> exiſtieren können. Wo die Feuchtigkeit durch Regen fehlt, beſtimmen Quellen, Bäche und<lb/> Flüſſe alle Vegetation; freilich erſt eine hohe geſellſchaftliche und techniſche Entwickelung<lb/> haben in trockenen Ländern wie in Ägypten, Indien, China, Meſopotamien, in Nord-<lb/> afrika, Spanien und Italien die Wunder jener bewäſſerten Ackerbau- und Gartendiſtrikte<lb/> geſchaffen, wobei nicht bloß die Zuführung der nötigen Feuchtigkeit, ſondern auch die<lb/> des düngenden Schlammes die reichen Ernten erzeugte. Ein großer Teil alles älteren<lb/> Gewerbebetriebes bedurfte der Nähe bedeutender Waſſermengen, mußte alſo den Bächen<lb/> und Flüſſen folgen: der Flachsbereiter und -Bleicher, der Gerber, Walker und Färber,<lb/> der Bierbrauer und Fleiſcher ſuchte das Waſſer auf. Als die Waſſermühlen erfunden<lb/> waren, war für die Mahl- und Sägemühlen, die Eiſenhämmer und alle Werkſtätten,<lb/> die mechaniſcher Kraft bedurften, der Standort am Waſſer gegeben; und wenn heute<lb/> Dampf und Elektricität teilweiſe die große Induſtrie von dieſer Bannung ans Waſſer<lb/> befreit haben, billiger bleibt ſtets die Waſſerkraft, und noch heute iſt die ganze Ver-<lb/> teilung unſerer Gewerbe doch überwiegend durch die Waſſerläufe beſtimmt.</p><lb/> <p>Und wenn wir ſo Siedelungen, Ackerbau und Gewerbe dem Waſſer mit Vorliebe<lb/> folgen ſehen, wenn deshalb überall die dichte Bevölkerung in den mit Waſſer reichlich<lb/> verſehenen Thälern ſich zuſammendrängt, ſo iſt die Wirkung auf den Verkehr faſt eine<lb/> noch größere. Wie alle menſchliche Kultur von den Küſten und Flußmündungen die<lb/> Thäler aufwärts ging, ſo entſtanden alle größeren Orte und Städte hauptſächlich durch<lb/> den Verkehr, der von hier aus landeinwärts und ſtromaufwärts ging; in primitiven<lb/> Zeiten war der Waſſerverkehr, der Handel zu Schiff vielfach die einzige Art größeren<lb/> Warenaustauſches, lebendiger Berührung verſchiedener Stämme und Händler; nur am<lb/> Meere und an großen Strömen ſaßen alle bekannten reichen Handelsvölker. Freilich<lb/> hat nicht überall, ſondern nur an wenigen beſonders günſtigen Stellen das Waſſer<lb/> fähige Raſſen zu ſelbſtändiger Erfindung des Schiffsbaues und Handels angeleitet; an den<lb/> ungünſtigen Küſten hat die Nachahmung erſt langſam und nach und nach einen Waſſer-<lb/> verkehr geſchaffen. Nur an Punkten wie Tyrus, Alexandria, Karthago, Venedig, Genua,<lb/> Amſterdam, London, Hamburg, Newyork konnten die vorangeſchrittenſten Völker Mittelpunkte<lb/> des Welthandels und höchſten Reichtums ſchaffen. Und wenn heute die Eiſenbahnen teil-<lb/> weiſe dem Waſſer ſeine Verkehrsrolle abgenommen haben, wenn falſche geſellſchaftliche<lb/> und politiſche Einrichtungen, ſowie politiſche Schickſale die Kultur an großen Strömen,<lb/> die früher die Hauptlinien des Handels bildeten, verfallen ließen, die großen Fluß- und<lb/> Stromſyſteme ſind doch auch heute mehr als je die Hauptadern alles, auch des Eiſen-<lb/> bahnverkehrs: am Lorenzo- und Miſſiſſippiſtrom, an Rhein und Elbe, an Seine und<lb/> Themſe konzentriert ſich auch heute der Pulsſchlag des höchſten wirtſchaftlichen Lebens.</p><lb/> <p>Das Ergebnis all’ ſolcher an die Erdoberfläche anknüpfender volkswirtſchaftlich-<lb/> geographiſcher Betrachtungen iſt immer wieder die Erkenntnis, wie engbegrenzt die Punkte<lb/> und Gebiete ſind, an welchen eine hohe und allſeitige, reiche wirtſchaftliche Entwickelung<lb/> möglich iſt, wie die an dieſen Punkten ſitzenden Menſchen und Geſellſchaften naturgemäß<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [134/0150]
Erſtes Buch. Land, Leute und Technik.
denn der Ausſpruch Pindars, daß das Waſſer das Herrlichſte ſei, iſt vor allem auch
wirtſchaftlich wahr. Ohne Waſſer iſt nirgends ein wirtſchaftliches Gedeihen. Man
könnte faſt ſagen, die am Waſſer gelegenen Gebiete ſeien die reichen.
Die Regenmenge und das örtliche Vorkommen des Waſſers ſtehen in engſter
kauſaler Wechſelwirkung; aber im einzelnen iſt der Reichtum an Quellen, Flüſſen und
Küſten doch nicht durch die Regenmenge des Ortes bedingt, und jedenfalls wird das
Vorkommen fließenden Waſſers um ſo wichtiger, je mehr es an Regen in der
Gegend fehlt.
Wie ſchon die Tiere des Waldes und der Wüſte dem Waſſer nachgehen, ſo hat
es der primitive Menſch gethan; die Wanderungen und Siedelungen der Ureinwohner
ſind zwar von großen Waſſerläufen oft auch gehemmt worden, große Ströme bieten
lange eine faſt unüberbrückbare Völkerſcheide; aber umſomehr folgt der primitive Menſch
den Quellen und Flußrändern. Und mit der Seßhaftigkeit und der höheren Kultur
nimmt der Zug nach dem Waſſer nicht ab. Die Quellen haben überall die Wohnſitze
der Menſchen beſtimmt, weil Menſch und Vieh, Küche und Haus ohne Waſſer nicht
exiſtieren können. Wo die Feuchtigkeit durch Regen fehlt, beſtimmen Quellen, Bäche und
Flüſſe alle Vegetation; freilich erſt eine hohe geſellſchaftliche und techniſche Entwickelung
haben in trockenen Ländern wie in Ägypten, Indien, China, Meſopotamien, in Nord-
afrika, Spanien und Italien die Wunder jener bewäſſerten Ackerbau- und Gartendiſtrikte
geſchaffen, wobei nicht bloß die Zuführung der nötigen Feuchtigkeit, ſondern auch die
des düngenden Schlammes die reichen Ernten erzeugte. Ein großer Teil alles älteren
Gewerbebetriebes bedurfte der Nähe bedeutender Waſſermengen, mußte alſo den Bächen
und Flüſſen folgen: der Flachsbereiter und -Bleicher, der Gerber, Walker und Färber,
der Bierbrauer und Fleiſcher ſuchte das Waſſer auf. Als die Waſſermühlen erfunden
waren, war für die Mahl- und Sägemühlen, die Eiſenhämmer und alle Werkſtätten,
die mechaniſcher Kraft bedurften, der Standort am Waſſer gegeben; und wenn heute
Dampf und Elektricität teilweiſe die große Induſtrie von dieſer Bannung ans Waſſer
befreit haben, billiger bleibt ſtets die Waſſerkraft, und noch heute iſt die ganze Ver-
teilung unſerer Gewerbe doch überwiegend durch die Waſſerläufe beſtimmt.
Und wenn wir ſo Siedelungen, Ackerbau und Gewerbe dem Waſſer mit Vorliebe
folgen ſehen, wenn deshalb überall die dichte Bevölkerung in den mit Waſſer reichlich
verſehenen Thälern ſich zuſammendrängt, ſo iſt die Wirkung auf den Verkehr faſt eine
noch größere. Wie alle menſchliche Kultur von den Küſten und Flußmündungen die
Thäler aufwärts ging, ſo entſtanden alle größeren Orte und Städte hauptſächlich durch
den Verkehr, der von hier aus landeinwärts und ſtromaufwärts ging; in primitiven
Zeiten war der Waſſerverkehr, der Handel zu Schiff vielfach die einzige Art größeren
Warenaustauſches, lebendiger Berührung verſchiedener Stämme und Händler; nur am
Meere und an großen Strömen ſaßen alle bekannten reichen Handelsvölker. Freilich
hat nicht überall, ſondern nur an wenigen beſonders günſtigen Stellen das Waſſer
fähige Raſſen zu ſelbſtändiger Erfindung des Schiffsbaues und Handels angeleitet; an den
ungünſtigen Küſten hat die Nachahmung erſt langſam und nach und nach einen Waſſer-
verkehr geſchaffen. Nur an Punkten wie Tyrus, Alexandria, Karthago, Venedig, Genua,
Amſterdam, London, Hamburg, Newyork konnten die vorangeſchrittenſten Völker Mittelpunkte
des Welthandels und höchſten Reichtums ſchaffen. Und wenn heute die Eiſenbahnen teil-
weiſe dem Waſſer ſeine Verkehrsrolle abgenommen haben, wenn falſche geſellſchaftliche
und politiſche Einrichtungen, ſowie politiſche Schickſale die Kultur an großen Strömen,
die früher die Hauptlinien des Handels bildeten, verfallen ließen, die großen Fluß- und
Stromſyſteme ſind doch auch heute mehr als je die Hauptadern alles, auch des Eiſen-
bahnverkehrs: am Lorenzo- und Miſſiſſippiſtrom, an Rhein und Elbe, an Seine und
Themſe konzentriert ſich auch heute der Pulsſchlag des höchſten wirtſchaftlichen Lebens.
Das Ergebnis all’ ſolcher an die Erdoberfläche anknüpfender volkswirtſchaftlich-
geographiſcher Betrachtungen iſt immer wieder die Erkenntnis, wie engbegrenzt die Punkte
und Gebiete ſind, an welchen eine hohe und allſeitige, reiche wirtſchaftliche Entwickelung
möglich iſt, wie die an dieſen Punkten ſitzenden Menſchen und Geſellſchaften naturgemäß
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