Den Übergang zum Norden machen die ernsten, nüchternen, aber auf armem Boden zurückgebliebenen, jedoch tüchtigen Hessen, die geweckten, ruhigen, intelligenten Sachsen, die den Thüringern verwandten Schlesier. Der Nordosten Deutschlands enthält eine Mischung slavischer Elemente mit allen anderen deutschen Stämmen: es ist auf diesem wiedereroberten Kolonialboden das kräftige, nüchtern verständige, unternehmungs- lustige Geschlecht erwachsen, das den deutschen Staat wieder aufgerichtet hat, auch in den Fortschritten der Technik und der großen Industrie jetzt in erster Linie steht. In Holstein, Westfalen, Hannover und den Niederlanden sitzt der niedersächsische Stamm, jene gens robustissima, die reinste deutsche Bauernrasse; trotzig und ernst, im schweren Kampfe mit den Elementen hat sich dieser Menschenschlag zu dem besten Material für ein gesundes Staatswesen und eine künstlich gefügte Volkswirtschaft entwickelt. Es sind die Nachbarn und nächsten Verwandten der Holländer, welche die Gunst ihrer Lage und der Heldenkampf gegen Spanien im 17. Jahrhunderte zu glänzender Höhe emporhob. Von ihnen giebt E. M. Arndt eine gute Schilderung.
Ungeschlachte, schlotterige Leiber, gemächlich und nachlässig in der Erscheinung, freundlich gutmütige Gesichter; selbst bedeutende Menschen sehen gewöhnlich, selbst die Feurigen schläfrig aus. Ohne Leidenschaft, ohne Phantasie, ohne alle Eitelkeit lebt dieser Menschenschlag nur dem Zweckmäßigen, Tüchtigen, Ordentlichen. Pedantisch, klein- meisterlich, säuberlich im Hause, widmet sich jeder mit rastloser Thätigkeit seinem Berufe, bekämpft mit hartnäckigem Freiheitstrotz jede Tyrannei. Eigensinnig, hartnäckig am Alten klebend, verständig, zäh im Glauben, naiv, in der Kunst das Kleinste treu wieder- gebend hat dieses Volk in seinem Handel, in seinem Wohlstand, in der Rechtswissen- schaft, der Mathematik, den Naturwissenschaften das Höchste erreicht, was man mit biederer Mühe und trockenem Ernste allein erreichen kann.
67. Ethnographische Einzelschilderung: Die Engländer und Nordamerikaner. Schlußergebnis. Die Engländer sind eine Mischung von Kelten, Niedersachsen und französisch-romanischen Normannen. Von den Kelten haben sie Sprach- klang und Beweglichkeit, von den Sachsen die starken Leiber, den guten Magen, die harten Nerven, die derbe Sinnlichkeit, den tapferen Mut, von den Normannen romanische Staats- und Gesellschaftseinrichtungen und vornehme aristokratische Lebenshaltung: ein grobes derbes, festes, deutsches Gewebe mit französischer Stickerei hat Kohl das englische Wesen genannt. Beim Schotten hat keltische Geisteskraft und norwegisch-dänisches Germanentum zusammengewirkt, um ihn noch verständiger, nüchterner, aber auch pfiffiger, erwerbssüchtiger zu machen.
Die insulare Lage und eine politische und wirtschaftliche Entwickelung ohnegleichen haben dem Engländer den festen, in sich geschlossenen Nationalcharakter gegeben. Sichere Entschlossenheit, nüchterne Thatkraft, derbes Willensvermögen herrschen vor. Stolz und gleichgültig gegen andere verfolgt der Engländer seine Wege; schwerfällig, würdig, kurz und kalt geht er der Arbeit, der Politik, dem Ernst des Lebens nach; er läßt Welt und Menschen an sich kommen, brutalisiert und mißhandelt die schwächeren Rassen und Klassen, aber zu Hause ist er in Familie und Gemeinde edel, pflichttreu, hochherzig. Mit trotzigem Freiheitssinn hat er eine Selbstverwaltung, ein Vereins- und Associationswesen geschaffen, wie kein anderes Volk es hat. Peinlich folgt er der Sitte, die für ihn stets einen ethischen Charakter hat, die zu verletzen er für Unrecht hält. Diese Strenge der Sitte garantiert überall Solidität, innere Tüchtigkeit, gute Arbeit, brauchbare Werk- zeuge und Maschinen, Möbel und Zimmereinrichtungen, die tadellos ihren Dienst thun. Mit robusten, gut genährten, viereckigen, ausdrucksvollen Körpern und Köpfen, mit einer großen Portion gesunden Menschenverstandes, mit derben Vergnügungen, mit kalter Gleichgültigkeit gegenüber Zurückbleibenden und Untergehenden, kämpfen sie den Kampf des Daseins mit der Losung: dem Mutigen gehört die Welt. Mit Organi- sationstalent, mit zähem Fleiß und technischem Geschick arbeiten sie unermüdlich an der Verbesserung von Handel und Gewerbe und Ackerbau. Die Arbeit allein, sagt J. St. Mill, steht zwischen dem Engländer und der Langweile; die Mehrzahl fragt nicht viel nach Vergnügungen und Erholungen; sie kennen keinen anderen Zweck, als reich zu werden,
Erſtes Buch. Land, Leute und Technik.
Den Übergang zum Norden machen die ernſten, nüchternen, aber auf armem Boden zurückgebliebenen, jedoch tüchtigen Heſſen, die geweckten, ruhigen, intelligenten Sachſen, die den Thüringern verwandten Schleſier. Der Nordoſten Deutſchlands enthält eine Miſchung ſlaviſcher Elemente mit allen anderen deutſchen Stämmen: es iſt auf dieſem wiedereroberten Kolonialboden das kräftige, nüchtern verſtändige, unternehmungs- luſtige Geſchlecht erwachſen, das den deutſchen Staat wieder aufgerichtet hat, auch in den Fortſchritten der Technik und der großen Induſtrie jetzt in erſter Linie ſteht. In Holſtein, Weſtfalen, Hannover und den Niederlanden ſitzt der niederſächſiſche Stamm, jene gens robustissima, die reinſte deutſche Bauernraſſe; trotzig und ernſt, im ſchweren Kampfe mit den Elementen hat ſich dieſer Menſchenſchlag zu dem beſten Material für ein geſundes Staatsweſen und eine künſtlich gefügte Volkswirtſchaft entwickelt. Es ſind die Nachbarn und nächſten Verwandten der Holländer, welche die Gunſt ihrer Lage und der Heldenkampf gegen Spanien im 17. Jahrhunderte zu glänzender Höhe emporhob. Von ihnen giebt E. M. Arndt eine gute Schilderung.
Ungeſchlachte, ſchlotterige Leiber, gemächlich und nachläſſig in der Erſcheinung, freundlich gutmütige Geſichter; ſelbſt bedeutende Menſchen ſehen gewöhnlich, ſelbſt die Feurigen ſchläfrig aus. Ohne Leidenſchaft, ohne Phantaſie, ohne alle Eitelkeit lebt dieſer Menſchenſchlag nur dem Zweckmäßigen, Tüchtigen, Ordentlichen. Pedantiſch, klein- meiſterlich, ſäuberlich im Hauſe, widmet ſich jeder mit raſtloſer Thätigkeit ſeinem Berufe, bekämpft mit hartnäckigem Freiheitstrotz jede Tyrannei. Eigenſinnig, hartnäckig am Alten klebend, verſtändig, zäh im Glauben, naiv, in der Kunſt das Kleinſte treu wieder- gebend hat dieſes Volk in ſeinem Handel, in ſeinem Wohlſtand, in der Rechtswiſſen- ſchaft, der Mathematik, den Naturwiſſenſchaften das Höchſte erreicht, was man mit biederer Mühe und trockenem Ernſte allein erreichen kann.
67. Ethnographiſche Einzelſchilderung: Die Engländer und Nordamerikaner. Schlußergebnis. Die Engländer ſind eine Miſchung von Kelten, Niederſachſen und franzöſiſch-romaniſchen Normannen. Von den Kelten haben ſie Sprach- klang und Beweglichkeit, von den Sachſen die ſtarken Leiber, den guten Magen, die harten Nerven, die derbe Sinnlichkeit, den tapferen Mut, von den Normannen romaniſche Staats- und Geſellſchaftseinrichtungen und vornehme ariſtokratiſche Lebenshaltung: ein grobes derbes, feſtes, deutſches Gewebe mit franzöſiſcher Stickerei hat Kohl das engliſche Weſen genannt. Beim Schotten hat keltiſche Geiſteskraft und norwegiſch-däniſches Germanentum zuſammengewirkt, um ihn noch verſtändiger, nüchterner, aber auch pfiffiger, erwerbsſüchtiger zu machen.
Die inſulare Lage und eine politiſche und wirtſchaftliche Entwickelung ohnegleichen haben dem Engländer den feſten, in ſich geſchloſſenen Nationalcharakter gegeben. Sichere Entſchloſſenheit, nüchterne Thatkraft, derbes Willensvermögen herrſchen vor. Stolz und gleichgültig gegen andere verfolgt der Engländer ſeine Wege; ſchwerfällig, würdig, kurz und kalt geht er der Arbeit, der Politik, dem Ernſt des Lebens nach; er läßt Welt und Menſchen an ſich kommen, brutaliſiert und mißhandelt die ſchwächeren Raſſen und Klaſſen, aber zu Hauſe iſt er in Familie und Gemeinde edel, pflichttreu, hochherzig. Mit trotzigem Freiheitsſinn hat er eine Selbſtverwaltung, ein Vereins- und Aſſociationsweſen geſchaffen, wie kein anderes Volk es hat. Peinlich folgt er der Sitte, die für ihn ſtets einen ethiſchen Charakter hat, die zu verletzen er für Unrecht hält. Dieſe Strenge der Sitte garantiert überall Solidität, innere Tüchtigkeit, gute Arbeit, brauchbare Werk- zeuge und Maſchinen, Möbel und Zimmereinrichtungen, die tadellos ihren Dienſt thun. Mit robuſten, gut genährten, viereckigen, ausdrucksvollen Körpern und Köpfen, mit einer großen Portion geſunden Menſchenverſtandes, mit derben Vergnügungen, mit kalter Gleichgültigkeit gegenüber Zurückbleibenden und Untergehenden, kämpfen ſie den Kampf des Daſeins mit der Loſung: dem Mutigen gehört die Welt. Mit Organi- ſationstalent, mit zähem Fleiß und techniſchem Geſchick arbeiten ſie unermüdlich an der Verbeſſerung von Handel und Gewerbe und Ackerbau. Die Arbeit allein, ſagt J. St. Mill, ſteht zwiſchen dem Engländer und der Langweile; die Mehrzahl fragt nicht viel nach Vergnügungen und Erholungen; ſie kennen keinen anderen Zweck, als reich zu werden,
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Erſtes Buch. Land, Leute und Technik.
Den Übergang zum Norden machen die ernſten, nüchternen, aber auf armem
Boden zurückgebliebenen, jedoch tüchtigen Heſſen, die geweckten, ruhigen, intelligenten
Sachſen, die den Thüringern verwandten Schleſier. Der Nordoſten Deutſchlands enthält
eine Miſchung ſlaviſcher Elemente mit allen anderen deutſchen Stämmen: es iſt auf
dieſem wiedereroberten Kolonialboden das kräftige, nüchtern verſtändige, unternehmungs-
luſtige Geſchlecht erwachſen, das den deutſchen Staat wieder aufgerichtet hat, auch in
den Fortſchritten der Technik und der großen Induſtrie jetzt in erſter Linie ſteht. In
Holſtein, Weſtfalen, Hannover und den Niederlanden ſitzt der niederſächſiſche Stamm,
jene gens robustissima, die reinſte deutſche Bauernraſſe; trotzig und ernſt, im ſchweren
Kampfe mit den Elementen hat ſich dieſer Menſchenſchlag zu dem beſten Material für
ein geſundes Staatsweſen und eine künſtlich gefügte Volkswirtſchaft entwickelt. Es ſind
die Nachbarn und nächſten Verwandten der Holländer, welche die Gunſt ihrer Lage und
der Heldenkampf gegen Spanien im 17. Jahrhunderte zu glänzender Höhe emporhob.
Von ihnen giebt E. M. Arndt eine gute Schilderung.
Ungeſchlachte, ſchlotterige Leiber, gemächlich und nachläſſig in der Erſcheinung,
freundlich gutmütige Geſichter; ſelbſt bedeutende Menſchen ſehen gewöhnlich, ſelbſt die
Feurigen ſchläfrig aus. Ohne Leidenſchaft, ohne Phantaſie, ohne alle Eitelkeit lebt
dieſer Menſchenſchlag nur dem Zweckmäßigen, Tüchtigen, Ordentlichen. Pedantiſch, klein-
meiſterlich, ſäuberlich im Hauſe, widmet ſich jeder mit raſtloſer Thätigkeit ſeinem Berufe,
bekämpft mit hartnäckigem Freiheitstrotz jede Tyrannei. Eigenſinnig, hartnäckig am
Alten klebend, verſtändig, zäh im Glauben, naiv, in der Kunſt das Kleinſte treu wieder-
gebend hat dieſes Volk in ſeinem Handel, in ſeinem Wohlſtand, in der Rechtswiſſen-
ſchaft, der Mathematik, den Naturwiſſenſchaften das Höchſte erreicht, was man mit
biederer Mühe und trockenem Ernſte allein erreichen kann.
67. Ethnographiſche Einzelſchilderung: Die Engländer und
Nordamerikaner. Schlußergebnis. Die Engländer ſind eine Miſchung von Kelten,
Niederſachſen und franzöſiſch-romaniſchen Normannen. Von den Kelten haben ſie Sprach-
klang und Beweglichkeit, von den Sachſen die ſtarken Leiber, den guten Magen, die
harten Nerven, die derbe Sinnlichkeit, den tapferen Mut, von den Normannen romaniſche
Staats- und Geſellſchaftseinrichtungen und vornehme ariſtokratiſche Lebenshaltung: ein
grobes derbes, feſtes, deutſches Gewebe mit franzöſiſcher Stickerei hat Kohl das engliſche
Weſen genannt. Beim Schotten hat keltiſche Geiſteskraft und norwegiſch-däniſches
Germanentum zuſammengewirkt, um ihn noch verſtändiger, nüchterner, aber auch pfiffiger,
erwerbsſüchtiger zu machen.
Die inſulare Lage und eine politiſche und wirtſchaftliche Entwickelung ohnegleichen
haben dem Engländer den feſten, in ſich geſchloſſenen Nationalcharakter gegeben. Sichere
Entſchloſſenheit, nüchterne Thatkraft, derbes Willensvermögen herrſchen vor. Stolz und
gleichgültig gegen andere verfolgt der Engländer ſeine Wege; ſchwerfällig, würdig, kurz
und kalt geht er der Arbeit, der Politik, dem Ernſt des Lebens nach; er läßt Welt und
Menſchen an ſich kommen, brutaliſiert und mißhandelt die ſchwächeren Raſſen und Klaſſen,
aber zu Hauſe iſt er in Familie und Gemeinde edel, pflichttreu, hochherzig. Mit
trotzigem Freiheitsſinn hat er eine Selbſtverwaltung, ein Vereins- und Aſſociationsweſen
geſchaffen, wie kein anderes Volk es hat. Peinlich folgt er der Sitte, die für ihn ſtets
einen ethiſchen Charakter hat, die zu verletzen er für Unrecht hält. Dieſe Strenge der
Sitte garantiert überall Solidität, innere Tüchtigkeit, gute Arbeit, brauchbare Werk-
zeuge und Maſchinen, Möbel und Zimmereinrichtungen, die tadellos ihren Dienſt thun.
Mit robuſten, gut genährten, viereckigen, ausdrucksvollen Körpern und Köpfen, mit
einer großen Portion geſunden Menſchenverſtandes, mit derben Vergnügungen, mit
kalter Gleichgültigkeit gegenüber Zurückbleibenden und Untergehenden, kämpfen ſie den
Kampf des Daſeins mit der Loſung: dem Mutigen gehört die Welt. Mit Organi-
ſationstalent, mit zähem Fleiß und techniſchem Geſchick arbeiten ſie unermüdlich an der
Verbeſſerung von Handel und Gewerbe und Ackerbau. Die Arbeit allein, ſagt J. St. Mill,
ſteht zwiſchen dem Engländer und der Langweile; die Mehrzahl fragt nicht viel nach
Vergnügungen und Erholungen; ſie kennen keinen anderen Zweck, als reich zu werden,
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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/172>, abgerufen am 04.12.2024.
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