Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.Der Generationswechsel und die Altersklassen. 41--52 %; auf ihnen ruht überwiegend die wirtschaftliche Last der Unterhaltung derFamilien, der Gemeinden, des Staates. Von den beiden anderen Altersgruppen, die überwiegend nur verzehren, fällt die Heranziehung der künftigen Generation 4--6 mal schwerer als die Pflege der absterbenden. Sie ist durch die viel stärkeren Triebe der mütterlichen und elterlichen Liebe garantiert; aber diese haben oft nicht ausgereicht und reichen selbst heute vielfach noch nicht ganz aus; ein großer Teil der Kinder ist zu allen Zeiten der Schwierigkeit zum Opfer gefallen, welche durch ihre wirtschaftliche Pflege für die Eltern entstand. Auch die viel leichtere Last, die alten Leute zu unter- halten, hat immer schwer auf der Gesellschaft geruht. Und wenn die rohesten Zeiten, die doch viel weniger Greise hatten, die Alten töteten, so hat die höhere sittliche Kultur zwar ihre Lage gebessert, hat Jahrtausende lang Ehrfurcht und Pflege für das Alter verlangt, ist aber nie voll zum Ziele gelangt; noch die neueste Entwickelung zeigt, daß die Liebe der Verwandten und Kinder nicht recht ausreichen will, daß alle möglichen Versicherungs-, Pensions- und ähnliche Einrichtungen über die Klippe hinweghelfen müssen. Auch wenn man die Abgrenzungen der drei großen Altersgruppen etwas anders Natürlich ist nun aber das Verhältnis von Kraft und Last je nach den Kultur- Herbert Spencer hat durch eine Vergleichung aller Tierarten und dieser mit den Schmoller, Grundriß der Volkswirtschaftslehre. I. 11
Der Generationswechſel und die Altersklaſſen. 41—52 %; auf ihnen ruht überwiegend die wirtſchaftliche Laſt der Unterhaltung derFamilien, der Gemeinden, des Staates. Von den beiden anderen Altersgruppen, die überwiegend nur verzehren, fällt die Heranziehung der künftigen Generation 4—6 mal ſchwerer als die Pflege der abſterbenden. Sie iſt durch die viel ſtärkeren Triebe der mütterlichen und elterlichen Liebe garantiert; aber dieſe haben oft nicht ausgereicht und reichen ſelbſt heute vielfach noch nicht ganz aus; ein großer Teil der Kinder iſt zu allen Zeiten der Schwierigkeit zum Opfer gefallen, welche durch ihre wirtſchaftliche Pflege für die Eltern entſtand. Auch die viel leichtere Laſt, die alten Leute zu unter- halten, hat immer ſchwer auf der Geſellſchaft geruht. Und wenn die roheſten Zeiten, die doch viel weniger Greiſe hatten, die Alten töteten, ſo hat die höhere ſittliche Kultur zwar ihre Lage gebeſſert, hat Jahrtauſende lang Ehrfurcht und Pflege für das Alter verlangt, iſt aber nie voll zum Ziele gelangt; noch die neueſte Entwickelung zeigt, daß die Liebe der Verwandten und Kinder nicht recht ausreichen will, daß alle möglichen Verſicherungs-, Penſions- und ähnliche Einrichtungen über die Klippe hinweghelfen müſſen. Auch wenn man die Abgrenzungen der drei großen Altersgruppen etwas anders Natürlich iſt nun aber das Verhältnis von Kraft und Laſt je nach den Kultur- Herbert Spencer hat durch eine Vergleichung aller Tierarten und dieſer mit den Schmoller, Grundriß der Volkswirtſchaftslehre. I. 11
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Der Generationswechſel und die Altersklaſſen.
41—52 %; auf ihnen ruht überwiegend die wirtſchaftliche Laſt der Unterhaltung der
Familien, der Gemeinden, des Staates. Von den beiden anderen Altersgruppen, die
überwiegend nur verzehren, fällt die Heranziehung der künftigen Generation 4—6 mal
ſchwerer als die Pflege der abſterbenden. Sie iſt durch die viel ſtärkeren Triebe der
mütterlichen und elterlichen Liebe garantiert; aber dieſe haben oft nicht ausgereicht
und reichen ſelbſt heute vielfach noch nicht ganz aus; ein großer Teil der Kinder iſt
zu allen Zeiten der Schwierigkeit zum Opfer gefallen, welche durch ihre wirtſchaftliche
Pflege für die Eltern entſtand. Auch die viel leichtere Laſt, die alten Leute zu unter-
halten, hat immer ſchwer auf der Geſellſchaft geruht. Und wenn die roheſten Zeiten,
die doch viel weniger Greiſe hatten, die Alten töteten, ſo hat die höhere ſittliche Kultur
zwar ihre Lage gebeſſert, hat Jahrtauſende lang Ehrfurcht und Pflege für das Alter
verlangt, iſt aber nie voll zum Ziele gelangt; noch die neueſte Entwickelung zeigt, daß
die Liebe der Verwandten und Kinder nicht recht ausreichen will, daß alle möglichen
Verſicherungs-, Penſions- und ähnliche Einrichtungen über die Klippe hinweghelfen
müſſen.
Auch wenn man die Abgrenzungen der drei großen Altersgruppen etwas anders
faßt oder ihre Zahlenverhältniſſe weiter ins einzelne verfolgt, wird das Bild nicht viel
geändert. Die unter 15 jährigen machen durchſchnittlich etwa 35 %, die 15—70 jährigen
etwa 60 %, die über 70 jährigen etwa 5 % aus. Engel berechnet, daß die preußiſche
Bevölkerung 1855 444 Millionen Jahre durchlebt hatte, und daß von dieſen auf die
Zeit vom 15.—70. Jahre nur 230, auf die übrige, die ſogenannte „unproduktive“
Zeit 210 Millionen fielen. Die Säuglinge unter einem Jahre machen in Deutſchland
faſt 3 % der Bevölkerung, die ſchulpflichtigen Kinder 17—18 % aus; die wehrpflichtigen
männlichen Altersklaſſen (17—45 jährigen Männer) 19—20 %. Die ehemündigen, über
16 Jahre alten Frauen 32—33 %. An Gebrechlichen (Blinden, Taubſtummen, Irr-
ſinnigen) rechnet man etwa 0,4 %; an Kranken gehen von den ſonſt produktiv Thätigen
immer noch einige Prozente regelmäßig ab. So giebt der Altersaufbau durch alle wirt-
ſchaftlichen Lebensverhältniſſe hindurch den feſten zahlenmäßigen Rahmen für die Summe
der verwendbaren Kräfte und der daneben zu tragenden Laſten.
Natürlich iſt nun aber das Verhältnis von Kraft und Laſt je nach den Kultur-
verhältniſſen ein verſchiedenes. Schon die obige Tabelle zeigt es, und aus ihr ſind (da
ihre Zahlen alle der Gegenwart und mehr oder weniger geordneten Staaten angehören)
die Gegenſätze, die in der Geſchichte vorgekommen ſind, entfernt nicht in ihrer vollen
Schärfe zu entnehmen. Je weiter wir in der Geſchichte und Kultur der Menſchheit
zurückgehen, deſto weniger erwachſene und ältere Perſonen waren ohne Zweifel durch-
ſchnittlich in jeder Geſellſchaft.
Herbert Spencer hat durch eine Vergleichung aller Tierarten und dieſer mit den
Menſchen gezeigt, daß bei den niedrigſten Weſen die Erzeugung der Nachkommen Ver-
nichtung der Eltern bedeutet, daß, je höher die Weſen ſtehen, deſto mehr die Jugendzeit
und die Epoche nach der Geſchlechtsreife verlängert wird, Eltern und Kinder neben-
einander leben. Er ſieht in dem Verhältnis der Natur- zu den Kulturvölkern einen
ähnlichen Fortſchritt: dort frühe Geſchlechtsreife, frühes Altern und Sterben, erſchöpfende
Inanſpruchnahme der Frauen durch Kindererzeugung, größte Kinderſterblichkeit; hier,
zumal bei den nördlichen Raſſen, längere Jugend, ſpätere Geſchlechtsreife, Verringerung
der Geburtenzahl, höheres Alter; das menſchliche Leben iſt weniger durch die Fort-
pflanzung ausgefüllt, andere Zwecke können mehr verfolgt werden; es leben mehr
Menſchen, welche die Zeit der Kindererzeugung hinter ſich haben; und dabei ſorgen die
Eltern für die Kinder, dieſe für jene beſſer, die edelſten Freuden beider aneinander
wachſen; all’ dies ſetzt er in Zuſammenhang mit der Monogamie und ihrem Siege.
Und er hat wohl mit dieſem Gedanken vollſtändig recht: das planmäßige Leben der
hohen Kultur, die Herrſchaft der Überlieferung, die feſte Ordnung der Geſellſchaft hängt
mit einer ſteigenden Zahl erwachſener, älterer, für höhere Aufgaben zugänglicher Menſchen
zuſammen. Auch der Wohlſtand kann eher ſteigen, wenn nicht eine Überzahl von Ge-
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