Einleitung. Begriff. Psychologische und sittliche Grundlage. Litteratur und Methode.
2. Der Begriff des Wirtschaftens. Das Wort Ökonomie stammt von oikos, Haus, her und bedeutet die Hauswirtschaft. Der deutsche Wirt besagt ähnliches, wie wir aus seinen Zusammensetzungen, Hauswirt, Landwirt, Gastwirt, sehen. Wir denken bei dem Worte "Wirtschaften" zuerst an die Thätigkeit für die äußeren körper- lichen Bedürfnisse, deren Befriedigung die Bedingung unserer Existenz ist. Der Mutter Natur durch Jagd und Viehzucht, durch Hacke und Pflug die Nahrung abringen, gegen Kälte und Feinde uns in einer Wohnung von Holz und Stein schützen, aus Bast, Lein und Wolle uns Kleider herrichten, Geräte und Werkzeuge für all' das schaffen, das ist Wirtschaften. Aber auch das Sammeln der Vorräte für die Zukunft, das Waschen und Reinigen, die Ordnung im Hause, die Schaffung der Güter an den Ort, wo sie gebraucht werden, die letzte Herrichtung derselben für den Verbrauch gehört dazu; und bald sucht der Wirt dieses und jenes auf den Markt zu bringen, zu ver- kaufen; er will dabei gewinnen, Geld und Vermögen sammeln; bei vielen rückt so das Verdienen, der Verkehr in das Centrum der wirtschaftlichen Thätigkeit. Und in all' dem erscheint uns als wirtschaftlich nur die zweckmäßige, von gewissen technischen Kenntnissen, von vernünftiger Überlegung und moralischen Ideen geleitete Thätigkeit; eine solche, welche durch Wertgefühle und Werturteile gelenkt ist, d. h. durch vernünftige Vorstellungen über die wirtschaftlichen Zwecke und Mittel, ihre Beziehungen aufeinander und auf Nutzen und Schaden, auf Lust und Leid für den Menschen.
Mag der einzelne all' solche Thätigkeit zunächst und in erster Linie für sich selbst üben, schon in den frühesten Zeiten hat doch die Mutter für ihre Kinder gesorgt. Und wie wir Ähnliches schon bei den höheren, klügeren Tieren sehen, so treffen wir auch keine Menschen, die nicht gruppenweise, durch Bluts- oder andere Bande verknüpft, sich auf den Wanderzügen, bei der Jagd und dem kriegerischen Beuteerwerb gegenseitig wirtschaftlich helfen. Die Stammes-, Gentil-, Familienverfassung wird schlechtweg bei allen Menschen zu einer Organisation wirtschaftlichen Zusammenwirkens. Aus der ge- meinsamen Siedlung entsteht der wirtschaftliche Verband der Mark und des Dorfes. Aus den Herrschaftsverhältnissen, der kriegerischen, der kirchlichen Organisation entstehen feste Verpflichtungen zu Dienst und Arbeit, zu Natural- und Geldlieferungen. Es kann keinen etwas entwickelteren socialen Körper geben, in dem nicht so ein Teil der wirt- schaftlichen Thätigkeit mit den Gesamtzwecken, mit der Regierung, der Gemeinschaft in dauernde Verbindung gebracht wäre.
Erscheint uns so die wirtschaftliche Thätigkeit bei allen etwas höher stehenden Stämmen und Völkern bereits gespalten in die individuale und hauswirtschaftliche einer- seits, die gesamtwirtschaftliche andererseits, begreifen wir so, daß schon die Alten alle wirtschaftliche Erörterung an Haus und Gemeinde anknüpften, so kommt nun mit der Rassenmengung, der Klassendifferenzierung, dem Geld- und Kreditverkehr die Arbeits- teilung zwischen den einzelnen und den Familien hinzu: neben die Hauswirtschaft, die nur für den eigenen Bedarf thätig ist, stellt sich die Tauschwirtschaft, die Produktion für andere, für den Absatz, für den Markt. Es entsteht die wirtschaftliche Unternehmung, die nicht wie die Familie zugleich für alle Zwecke des Lebens eine Anzahl Individuen zusammenfaßt, sondern nur für die Marktproduktion die Kräfte verschiedener Personen vereinigt. Wenn die Familie und die Gemeinde im festen, gebundenen Rahmen von Sitte und Recht wirtschaften, das Individuum zu Dienst und Hülfe zwingen, ihm aber auch ohne Entgelt Dienste und Güter zukommen lassen, so entsteht der Tausch- und Geldverkehr mehr als freies Spiel der Interessen mit der steten Absicht auf Gegen- leistung. Es entsteht -- an tausend einzelnen Punkten ansetzend und immer weiter vordringend -- in der bisher wesentlich für den Eigenbedarf des Hauses thätigen Gesellschaft das tauschwirtschaftliche System, das die wirtschaftliche Thätigkeit in die Güterproduktion, den Verkehr und die Konsumtion als nebeneinander stehende Teile oder Stationen zer- legt, das neben Haus, Gemeinde und Staat eine zunehmende Zahl gesellschaftlicher Organe, Anstalten, Geschäfte, die sog. Unternehmungen stellt, welche Güter produzieren und verkaufen, Handel treiben, Gewinn machen wollen. Die höhere, verbesserte Technik, die Anwendung ersparter Gütervorräte durch sie charakterisiert nun diesen wichtigsten
Einleitung. Begriff. Pſychologiſche und ſittliche Grundlage. Litteratur und Methode.
2. Der Begriff des Wirtſchaftens. Das Wort Ökonomie ſtammt von οἶκος, Haus, her und bedeutet die Hauswirtſchaft. Der deutſche Wirt beſagt ähnliches, wie wir aus ſeinen Zuſammenſetzungen, Hauswirt, Landwirt, Gaſtwirt, ſehen. Wir denken bei dem Worte „Wirtſchaften“ zuerſt an die Thätigkeit für die äußeren körper- lichen Bedürfniſſe, deren Befriedigung die Bedingung unſerer Exiſtenz iſt. Der Mutter Natur durch Jagd und Viehzucht, durch Hacke und Pflug die Nahrung abringen, gegen Kälte und Feinde uns in einer Wohnung von Holz und Stein ſchützen, aus Baſt, Lein und Wolle uns Kleider herrichten, Geräte und Werkzeuge für all’ das ſchaffen, das iſt Wirtſchaften. Aber auch das Sammeln der Vorräte für die Zukunft, das Waſchen und Reinigen, die Ordnung im Hauſe, die Schaffung der Güter an den Ort, wo ſie gebraucht werden, die letzte Herrichtung derſelben für den Verbrauch gehört dazu; und bald ſucht der Wirt dieſes und jenes auf den Markt zu bringen, zu ver- kaufen; er will dabei gewinnen, Geld und Vermögen ſammeln; bei vielen rückt ſo das Verdienen, der Verkehr in das Centrum der wirtſchaftlichen Thätigkeit. Und in all’ dem erſcheint uns als wirtſchaftlich nur die zweckmäßige, von gewiſſen techniſchen Kenntniſſen, von vernünftiger Überlegung und moraliſchen Ideen geleitete Thätigkeit; eine ſolche, welche durch Wertgefühle und Werturteile gelenkt iſt, d. h. durch vernünftige Vorſtellungen über die wirtſchaftlichen Zwecke und Mittel, ihre Beziehungen aufeinander und auf Nutzen und Schaden, auf Luſt und Leid für den Menſchen.
Mag der einzelne all’ ſolche Thätigkeit zunächſt und in erſter Linie für ſich ſelbſt üben, ſchon in den früheſten Zeiten hat doch die Mutter für ihre Kinder geſorgt. Und wie wir Ähnliches ſchon bei den höheren, klügeren Tieren ſehen, ſo treffen wir auch keine Menſchen, die nicht gruppenweiſe, durch Bluts- oder andere Bande verknüpft, ſich auf den Wanderzügen, bei der Jagd und dem kriegeriſchen Beuteerwerb gegenſeitig wirtſchaftlich helfen. Die Stammes-, Gentil-, Familienverfaſſung wird ſchlechtweg bei allen Menſchen zu einer Organiſation wirtſchaftlichen Zuſammenwirkens. Aus der ge- meinſamen Siedlung entſteht der wirtſchaftliche Verband der Mark und des Dorfes. Aus den Herrſchaftsverhältniſſen, der kriegeriſchen, der kirchlichen Organiſation entſtehen feſte Verpflichtungen zu Dienſt und Arbeit, zu Natural- und Geldlieferungen. Es kann keinen etwas entwickelteren ſocialen Körper geben, in dem nicht ſo ein Teil der wirt- ſchaftlichen Thätigkeit mit den Geſamtzwecken, mit der Regierung, der Gemeinſchaft in dauernde Verbindung gebracht wäre.
Erſcheint uns ſo die wirtſchaftliche Thätigkeit bei allen etwas höher ſtehenden Stämmen und Völkern bereits geſpalten in die individuale und hauswirtſchaftliche einer- ſeits, die geſamtwirtſchaftliche andererſeits, begreifen wir ſo, daß ſchon die Alten alle wirtſchaftliche Erörterung an Haus und Gemeinde anknüpften, ſo kommt nun mit der Raſſenmengung, der Klaſſendifferenzierung, dem Geld- und Kreditverkehr die Arbeits- teilung zwiſchen den einzelnen und den Familien hinzu: neben die Hauswirtſchaft, die nur für den eigenen Bedarf thätig iſt, ſtellt ſich die Tauſchwirtſchaft, die Produktion für andere, für den Abſatz, für den Markt. Es entſteht die wirtſchaftliche Unternehmung, die nicht wie die Familie zugleich für alle Zwecke des Lebens eine Anzahl Individuen zuſammenfaßt, ſondern nur für die Marktproduktion die Kräfte verſchiedener Perſonen vereinigt. Wenn die Familie und die Gemeinde im feſten, gebundenen Rahmen von Sitte und Recht wirtſchaften, das Individuum zu Dienſt und Hülfe zwingen, ihm aber auch ohne Entgelt Dienſte und Güter zukommen laſſen, ſo entſteht der Tauſch- und Geldverkehr mehr als freies Spiel der Intereſſen mit der ſteten Abſicht auf Gegen- leiſtung. Es entſteht — an tauſend einzelnen Punkten anſetzend und immer weiter vordringend — in der bisher weſentlich für den Eigenbedarf des Hauſes thätigen Geſellſchaft das tauſchwirtſchaftliche Syſtem, das die wirtſchaftliche Thätigkeit in die Güterproduktion, den Verkehr und die Konſumtion als nebeneinander ſtehende Teile oder Stationen zer- legt, das neben Haus, Gemeinde und Staat eine zunehmende Zahl geſellſchaftlicher Organe, Anſtalten, Geſchäfte, die ſog. Unternehmungen ſtellt, welche Güter produzieren und verkaufen, Handel treiben, Gewinn machen wollen. Die höhere, verbeſſerte Technik, die Anwendung erſparter Gütervorräte durch ſie charakteriſiert nun dieſen wichtigſten
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Einleitung. Begriff. Pſychologiſche und ſittliche Grundlage. Litteratur und Methode.
2. Der Begriff des Wirtſchaftens. Das Wort Ökonomie ſtammt von
οἶκος, Haus, her und bedeutet die Hauswirtſchaft. Der deutſche Wirt beſagt ähnliches,
wie wir aus ſeinen Zuſammenſetzungen, Hauswirt, Landwirt, Gaſtwirt, ſehen. Wir
denken bei dem Worte „Wirtſchaften“ zuerſt an die Thätigkeit für die äußeren körper-
lichen Bedürfniſſe, deren Befriedigung die Bedingung unſerer Exiſtenz iſt. Der Mutter
Natur durch Jagd und Viehzucht, durch Hacke und Pflug die Nahrung abringen, gegen
Kälte und Feinde uns in einer Wohnung von Holz und Stein ſchützen, aus Baſt,
Lein und Wolle uns Kleider herrichten, Geräte und Werkzeuge für all’ das ſchaffen,
das iſt Wirtſchaften. Aber auch das Sammeln der Vorräte für die Zukunft, das
Waſchen und Reinigen, die Ordnung im Hauſe, die Schaffung der Güter an den Ort,
wo ſie gebraucht werden, die letzte Herrichtung derſelben für den Verbrauch gehört
dazu; und bald ſucht der Wirt dieſes und jenes auf den Markt zu bringen, zu ver-
kaufen; er will dabei gewinnen, Geld und Vermögen ſammeln; bei vielen rückt ſo
das Verdienen, der Verkehr in das Centrum der wirtſchaftlichen Thätigkeit. Und in
all’ dem erſcheint uns als wirtſchaftlich nur die zweckmäßige, von gewiſſen techniſchen
Kenntniſſen, von vernünftiger Überlegung und moraliſchen Ideen geleitete Thätigkeit;
eine ſolche, welche durch Wertgefühle und Werturteile gelenkt iſt, d. h. durch vernünftige
Vorſtellungen über die wirtſchaftlichen Zwecke und Mittel, ihre Beziehungen aufeinander
und auf Nutzen und Schaden, auf Luſt und Leid für den Menſchen.
Mag der einzelne all’ ſolche Thätigkeit zunächſt und in erſter Linie für ſich ſelbſt
üben, ſchon in den früheſten Zeiten hat doch die Mutter für ihre Kinder geſorgt. Und
wie wir Ähnliches ſchon bei den höheren, klügeren Tieren ſehen, ſo treffen wir auch
keine Menſchen, die nicht gruppenweiſe, durch Bluts- oder andere Bande verknüpft,
ſich auf den Wanderzügen, bei der Jagd und dem kriegeriſchen Beuteerwerb gegenſeitig
wirtſchaftlich helfen. Die Stammes-, Gentil-, Familienverfaſſung wird ſchlechtweg bei
allen Menſchen zu einer Organiſation wirtſchaftlichen Zuſammenwirkens. Aus der ge-
meinſamen Siedlung entſteht der wirtſchaftliche Verband der Mark und des Dorfes.
Aus den Herrſchaftsverhältniſſen, der kriegeriſchen, der kirchlichen Organiſation entſtehen
feſte Verpflichtungen zu Dienſt und Arbeit, zu Natural- und Geldlieferungen. Es kann
keinen etwas entwickelteren ſocialen Körper geben, in dem nicht ſo ein Teil der wirt-
ſchaftlichen Thätigkeit mit den Geſamtzwecken, mit der Regierung, der Gemeinſchaft in
dauernde Verbindung gebracht wäre.
Erſcheint uns ſo die wirtſchaftliche Thätigkeit bei allen etwas höher ſtehenden
Stämmen und Völkern bereits geſpalten in die individuale und hauswirtſchaftliche einer-
ſeits, die geſamtwirtſchaftliche andererſeits, begreifen wir ſo, daß ſchon die Alten alle
wirtſchaftliche Erörterung an Haus und Gemeinde anknüpften, ſo kommt nun mit der
Raſſenmengung, der Klaſſendifferenzierung, dem Geld- und Kreditverkehr die Arbeits-
teilung zwiſchen den einzelnen und den Familien hinzu: neben die Hauswirtſchaft,
die nur für den eigenen Bedarf thätig iſt, ſtellt ſich die Tauſchwirtſchaft, die Produktion
für andere, für den Abſatz, für den Markt. Es entſteht die wirtſchaftliche Unternehmung,
die nicht wie die Familie zugleich für alle Zwecke des Lebens eine Anzahl Individuen
zuſammenfaßt, ſondern nur für die Marktproduktion die Kräfte verſchiedener Perſonen
vereinigt. Wenn die Familie und die Gemeinde im feſten, gebundenen Rahmen von
Sitte und Recht wirtſchaften, das Individuum zu Dienſt und Hülfe zwingen, ihm aber
auch ohne Entgelt Dienſte und Güter zukommen laſſen, ſo entſteht der Tauſch- und
Geldverkehr mehr als freies Spiel der Intereſſen mit der ſteten Abſicht auf Gegen-
leiſtung. Es entſteht — an tauſend einzelnen Punkten anſetzend und immer weiter
vordringend — in der bisher weſentlich für den Eigenbedarf des Hauſes thätigen Geſellſchaft
das tauſchwirtſchaftliche Syſtem, das die wirtſchaftliche Thätigkeit in die Güterproduktion,
den Verkehr und die Konſumtion als nebeneinander ſtehende Teile oder Stationen zer-
legt, das neben Haus, Gemeinde und Staat eine zunehmende Zahl geſellſchaftlicher
Organe, Anſtalten, Geſchäfte, die ſog. Unternehmungen ſtellt, welche Güter produzieren
und verkaufen, Handel treiben, Gewinn machen wollen. Die höhere, verbeſſerte Technik,
die Anwendung erſparter Gütervorräte durch ſie charakteriſiert nun dieſen wichtigſten
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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/18>, abgerufen am 21.11.2024.
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