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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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noch fast ganz im Freien ab; solche Wohnstätten konnten keinen wesentlichen Einfluß
auf die Wirtschaftsführung und Gesittung ausüben. Es waren meist Gebilde für einige
Tage oder Monate, ohne viel Wert, von den Frauen oder Knechten rasch hergestellt.
In unendlich vielen verschiedenen Übergängen ging daraus in dem wald- und holzreichen
gemäßigten und nördlichen Klima das Holzhaus, das von der Axt des Mannes und
seiner Genossen hergestellt ist, in den vorderasiatischen Gebieten der Hamiten und
Semiten das Steinhaus hervor; beidesmal handelt es sich um die Sicherung und
Umbauung des Herdes, um etwas größere Räume, um die Anordnung derselben inner-
halb eines umschlossenen Gehöftes. Wir verfolgen hier zunächst den nördlichen Holzbau
und seinen viel später erfolgten Übergang zum Steinbau nicht weiter, ebenso wenig den
Einfluß der verschiedenen Sippen- und Familienverfassung auf die Ausbildung des
Hauses. Wir wollen nur hier schon das Wort Iherings, der Schritt vom Holz- zum
Steinbau sei ein ungeheurer gewesen, nicht unwidersprochen lassen; Holzbau und Stein-
bau sind zu einem großen Teil Folge verschiedenen Bodens und Klimas; eine bestimmte
Reihe der wichtigsten Wirkungen auf Wirtschaft und Familie haben die Holz- wie die
Steinhäuser gleichmäßig ausgeübt; reichere Gliederung der Räume ist bei beiden mög-
lich. Auch Iherings Satz: das Brennen des ersten Ziegels sei viel wichtiger gewesen
als der erste Pflug, ist wohl übertrieben, er enthält eine kaum anzustellende Vergleichung;
zwischen dem Holz- und Steinbau steht das Haus, das neben Holz, Lehm und Stroh
Fachwerk und getrocknete Luftziegel verwendet; schon deshalb ist das Ziegelbrennen nicht
so epochemachend. Aber so viel ist sicher, daß der Bau mit gebrannten Ziegeln und
rohen, später behauenen Steinen den Haus- und allen anderen Bau zu etwas viel
Festerem und Dauerhafterem, gegen Feuer besser Geschütztem machte. Die Fesselung an
den Boden wurde mit ihm eine andere, die Dauerhaftigkeit aller Zustände nahm zu,
die Teilung der Arbeit wurde nötiger, das technische Zusammenwirken vieler wuchs,
die Befestigungskunst, der Tempelbau, die Anwendung der Meßkunst auf die Bauten
schloß sich hauptsächlich an den Ziegel und den Stein an. Die Ausbildung der
technisch vielseitigen patriarchalischen Hauswirtschaft mit Gartenbau, Obst- und Wein-
bau knüpft noch mehr an den Stein- als an den Holzbau an. Die Verlegung einer
steigenden Zahl von technischen Vorgängen in geschlossene oder geschützte Räume, die
Unterbringung des Viehes in Ställe, das Feuer auf dem Herd des Steinhauses, der
gesicherte Schutz der Vorräte und der Werkzeuge, wie das Haus sie gab, all' das erhob
das wirtschaftliche Familienleben zu besserer Ordnung, zu Nachhaltigkeit, zu Gesittung,
zur ausgiebigen Benutzung aller möglichen kleinen technischen Fortschritte. Freilich war
das assyrische Steinhaus in ältester Zeit nicht viel mehr als eine kleine, lichtlose Höhle,
ein Gewölbe von Backstein oder Luftziegeln mit Asphaltüberzug über einem vertieften
Grunde; der Schutz gegen die Hitze war wohl der älteste Zweck. Aber bald fügten sich
mehrere solche Räume neben- und übereinander; flache Dächer zur Benützung der Abend-
kühle, offene Säulen gegen den innern Hof kamen hinzu; mit Licht und Luft wuchs
die innere Ausstattung bei den Reichen. Neue große Aufgaben waren der Technik
gestellt, als die Häuser in Babylon, in Ägypten, in Tyrus und Sidon bereits drei-,
vier-, ja sechsstöckig wurden.

Können wir uns auch von der haus- und hofwirtschaftlichen Technik, welche sich
hier im Schoße der patriarchalischen, großen und kleinen Familien entwickelte, kaum
mehr ein ganz zutreffendes Bild machen, so viel steht doch wohl fest, daß damals der
Typus der patriarchalischen Hauswirtschaft entstand, der als sociale Lebensform sich
drei Jahrtausende erhielt, noch heute, wenn auch verändert und eingeschränkt, besteht.
Die Verbindung des Garten- und Ackerbaues mit der Hauswirtschaft, die Vereinigung
des Mahlens, Kochens, Vorrathaltens mit der Wein-, Butter- und Käsebereitung mit der
Flachs-, Baumwolle- und Wolleverarbeitung, mit der Spinnerei, Weberei, Nähen im
Hause, die Ausgestaltung von Haus und Hof für die Unterkunft von Menschen und
Vieh, von Vorräten aller Art, ihre Ausstattung mit Schemeln, Stühlen, Schränken,
Betten, wie wir sie schon in Ägypten treffen, all' das erzeugte die hauswirtschaftlichen
Tugenden, welche zuerst die vorzugsweise im Hause thätigen Frauen besaßen, und die

Erſtes Buch. Land, Leute und Technik.
noch faſt ganz im Freien ab; ſolche Wohnſtätten konnten keinen weſentlichen Einfluß
auf die Wirtſchaftsführung und Geſittung ausüben. Es waren meiſt Gebilde für einige
Tage oder Monate, ohne viel Wert, von den Frauen oder Knechten raſch hergeſtellt.
In unendlich vielen verſchiedenen Übergängen ging daraus in dem wald- und holzreichen
gemäßigten und nördlichen Klima das Holzhaus, das von der Axt des Mannes und
ſeiner Genoſſen hergeſtellt iſt, in den vorderaſiatiſchen Gebieten der Hamiten und
Semiten das Steinhaus hervor; beidesmal handelt es ſich um die Sicherung und
Umbauung des Herdes, um etwas größere Räume, um die Anordnung derſelben inner-
halb eines umſchloſſenen Gehöftes. Wir verfolgen hier zunächſt den nördlichen Holzbau
und ſeinen viel ſpäter erfolgten Übergang zum Steinbau nicht weiter, ebenſo wenig den
Einfluß der verſchiedenen Sippen- und Familienverfaſſung auf die Ausbildung des
Hauſes. Wir wollen nur hier ſchon das Wort Iherings, der Schritt vom Holz- zum
Steinbau ſei ein ungeheurer geweſen, nicht unwiderſprochen laſſen; Holzbau und Stein-
bau ſind zu einem großen Teil Folge verſchiedenen Bodens und Klimas; eine beſtimmte
Reihe der wichtigſten Wirkungen auf Wirtſchaft und Familie haben die Holz- wie die
Steinhäuſer gleichmäßig ausgeübt; reichere Gliederung der Räume iſt bei beiden mög-
lich. Auch Iherings Satz: das Brennen des erſten Ziegels ſei viel wichtiger geweſen
als der erſte Pflug, iſt wohl übertrieben, er enthält eine kaum anzuſtellende Vergleichung;
zwiſchen dem Holz- und Steinbau ſteht das Haus, das neben Holz, Lehm und Stroh
Fachwerk und getrocknete Luftziegel verwendet; ſchon deshalb iſt das Ziegelbrennen nicht
ſo epochemachend. Aber ſo viel iſt ſicher, daß der Bau mit gebrannten Ziegeln und
rohen, ſpäter behauenen Steinen den Haus- und allen anderen Bau zu etwas viel
Feſterem und Dauerhafterem, gegen Feuer beſſer Geſchütztem machte. Die Feſſelung an
den Boden wurde mit ihm eine andere, die Dauerhaftigkeit aller Zuſtände nahm zu,
die Teilung der Arbeit wurde nötiger, das techniſche Zuſammenwirken vieler wuchs,
die Befeſtigungskunſt, der Tempelbau, die Anwendung der Meßkunſt auf die Bauten
ſchloß ſich hauptſächlich an den Ziegel und den Stein an. Die Ausbildung der
techniſch vielſeitigen patriarchaliſchen Hauswirtſchaft mit Gartenbau, Obſt- und Wein-
bau knüpft noch mehr an den Stein- als an den Holzbau an. Die Verlegung einer
ſteigenden Zahl von techniſchen Vorgängen in geſchloſſene oder geſchützte Räume, die
Unterbringung des Viehes in Ställe, das Feuer auf dem Herd des Steinhauſes, der
geſicherte Schutz der Vorräte und der Werkzeuge, wie das Haus ſie gab, all’ das erhob
das wirtſchaftliche Familienleben zu beſſerer Ordnung, zu Nachhaltigkeit, zu Geſittung,
zur ausgiebigen Benutzung aller möglichen kleinen techniſchen Fortſchritte. Freilich war
das aſſyriſche Steinhaus in älteſter Zeit nicht viel mehr als eine kleine, lichtloſe Höhle,
ein Gewölbe von Backſtein oder Luftziegeln mit Asphaltüberzug über einem vertieften
Grunde; der Schutz gegen die Hitze war wohl der älteſte Zweck. Aber bald fügten ſich
mehrere ſolche Räume neben- und übereinander; flache Dächer zur Benützung der Abend-
kühle, offene Säulen gegen den innern Hof kamen hinzu; mit Licht und Luft wuchs
die innere Ausſtattung bei den Reichen. Neue große Aufgaben waren der Technik
geſtellt, als die Häuſer in Babylon, in Ägypten, in Tyrus und Sidon bereits drei-,
vier-, ja ſechsſtöckig wurden.

Können wir uns auch von der haus- und hofwirtſchaftlichen Technik, welche ſich
hier im Schoße der patriarchaliſchen, großen und kleinen Familien entwickelte, kaum
mehr ein ganz zutreffendes Bild machen, ſo viel ſteht doch wohl feſt, daß damals der
Typus der patriarchaliſchen Hauswirtſchaft entſtand, der als ſociale Lebensform ſich
drei Jahrtauſende erhielt, noch heute, wenn auch verändert und eingeſchränkt, beſteht.
Die Verbindung des Garten- und Ackerbaues mit der Hauswirtſchaft, die Vereinigung
des Mahlens, Kochens, Vorrathaltens mit der Wein-, Butter- und Käſebereitung mit der
Flachs-, Baumwolle- und Wolleverarbeitung, mit der Spinnerei, Weberei, Nähen im
Hauſe, die Ausgeſtaltung von Haus und Hof für die Unterkunft von Menſchen und
Vieh, von Vorräten aller Art, ihre Ausſtattung mit Schemeln, Stühlen, Schränken,
Betten, wie wir ſie ſchon in Ägypten treffen, all’ das erzeugte die hauswirtſchaftlichen
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[204/0220] Erſtes Buch. Land, Leute und Technik. noch faſt ganz im Freien ab; ſolche Wohnſtätten konnten keinen weſentlichen Einfluß auf die Wirtſchaftsführung und Geſittung ausüben. Es waren meiſt Gebilde für einige Tage oder Monate, ohne viel Wert, von den Frauen oder Knechten raſch hergeſtellt. In unendlich vielen verſchiedenen Übergängen ging daraus in dem wald- und holzreichen gemäßigten und nördlichen Klima das Holzhaus, das von der Axt des Mannes und ſeiner Genoſſen hergeſtellt iſt, in den vorderaſiatiſchen Gebieten der Hamiten und Semiten das Steinhaus hervor; beidesmal handelt es ſich um die Sicherung und Umbauung des Herdes, um etwas größere Räume, um die Anordnung derſelben inner- halb eines umſchloſſenen Gehöftes. Wir verfolgen hier zunächſt den nördlichen Holzbau und ſeinen viel ſpäter erfolgten Übergang zum Steinbau nicht weiter, ebenſo wenig den Einfluß der verſchiedenen Sippen- und Familienverfaſſung auf die Ausbildung des Hauſes. Wir wollen nur hier ſchon das Wort Iherings, der Schritt vom Holz- zum Steinbau ſei ein ungeheurer geweſen, nicht unwiderſprochen laſſen; Holzbau und Stein- bau ſind zu einem großen Teil Folge verſchiedenen Bodens und Klimas; eine beſtimmte Reihe der wichtigſten Wirkungen auf Wirtſchaft und Familie haben die Holz- wie die Steinhäuſer gleichmäßig ausgeübt; reichere Gliederung der Räume iſt bei beiden mög- lich. Auch Iherings Satz: das Brennen des erſten Ziegels ſei viel wichtiger geweſen als der erſte Pflug, iſt wohl übertrieben, er enthält eine kaum anzuſtellende Vergleichung; zwiſchen dem Holz- und Steinbau ſteht das Haus, das neben Holz, Lehm und Stroh Fachwerk und getrocknete Luftziegel verwendet; ſchon deshalb iſt das Ziegelbrennen nicht ſo epochemachend. Aber ſo viel iſt ſicher, daß der Bau mit gebrannten Ziegeln und rohen, ſpäter behauenen Steinen den Haus- und allen anderen Bau zu etwas viel Feſterem und Dauerhafterem, gegen Feuer beſſer Geſchütztem machte. Die Feſſelung an den Boden wurde mit ihm eine andere, die Dauerhaftigkeit aller Zuſtände nahm zu, die Teilung der Arbeit wurde nötiger, das techniſche Zuſammenwirken vieler wuchs, die Befeſtigungskunſt, der Tempelbau, die Anwendung der Meßkunſt auf die Bauten ſchloß ſich hauptſächlich an den Ziegel und den Stein an. Die Ausbildung der techniſch vielſeitigen patriarchaliſchen Hauswirtſchaft mit Gartenbau, Obſt- und Wein- bau knüpft noch mehr an den Stein- als an den Holzbau an. Die Verlegung einer ſteigenden Zahl von techniſchen Vorgängen in geſchloſſene oder geſchützte Räume, die Unterbringung des Viehes in Ställe, das Feuer auf dem Herd des Steinhauſes, der geſicherte Schutz der Vorräte und der Werkzeuge, wie das Haus ſie gab, all’ das erhob das wirtſchaftliche Familienleben zu beſſerer Ordnung, zu Nachhaltigkeit, zu Geſittung, zur ausgiebigen Benutzung aller möglichen kleinen techniſchen Fortſchritte. Freilich war das aſſyriſche Steinhaus in älteſter Zeit nicht viel mehr als eine kleine, lichtloſe Höhle, ein Gewölbe von Backſtein oder Luftziegeln mit Asphaltüberzug über einem vertieften Grunde; der Schutz gegen die Hitze war wohl der älteſte Zweck. Aber bald fügten ſich mehrere ſolche Räume neben- und übereinander; flache Dächer zur Benützung der Abend- kühle, offene Säulen gegen den innern Hof kamen hinzu; mit Licht und Luft wuchs die innere Ausſtattung bei den Reichen. Neue große Aufgaben waren der Technik geſtellt, als die Häuſer in Babylon, in Ägypten, in Tyrus und Sidon bereits drei-, vier-, ja ſechsſtöckig wurden. Können wir uns auch von der haus- und hofwirtſchaftlichen Technik, welche ſich hier im Schoße der patriarchaliſchen, großen und kleinen Familien entwickelte, kaum mehr ein ganz zutreffendes Bild machen, ſo viel ſteht doch wohl feſt, daß damals der Typus der patriarchaliſchen Hauswirtſchaft entſtand, der als ſociale Lebensform ſich drei Jahrtauſende erhielt, noch heute, wenn auch verändert und eingeſchränkt, beſteht. Die Verbindung des Garten- und Ackerbaues mit der Hauswirtſchaft, die Vereinigung des Mahlens, Kochens, Vorrathaltens mit der Wein-, Butter- und Käſebereitung mit der Flachs-, Baumwolle- und Wolleverarbeitung, mit der Spinnerei, Weberei, Nähen im Hauſe, die Ausgeſtaltung von Haus und Hof für die Unterkunft von Menſchen und Vieh, von Vorräten aller Art, ihre Ausſtattung mit Schemeln, Stühlen, Schränken, Betten, wie wir ſie ſchon in Ägypten treffen, all’ das erzeugte die hauswirtſchaftlichen Tugenden, welche zuerſt die vorzugsweiſe im Hauſe thätigen Frauen beſaßen, und die

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/220>, abgerufen am 04.12.2024.