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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Der wirtschaftliche und sittliche Fortschritt in der heutigen Familienverfassung.

Die große Verbesserung der Familienwohnung, welche in den letzten 200 Jahren
sich bis in die Arbeiterkreise erstreckte, war einerseits die Voraussetzung der besseren
Ordnung der Produktion, und sie hat mit der Scheidung der Wohn- und Produktions-
stätten andererseits die inneren Verhältnisse des Familienlebens doch neben den vorhin
erwähnten Schädigungen nach anderer Seite hin außerordentlich gefördert, erleichtert,
ja dieses Leben auf eine viel höhere Stufe gehoben oder stellt solches in Aussicht, wo
diese Schädigungen überwunden werden.

Die Leitung der älteren Familienwirtschaft mußte eine strenge, harte sein; die der
neuen ist viel einfacher und daher milder. Die Zügel sind im ganzen in die mildere
Hand der Frau und Mutter gegeben. Die Leitung von drei bis sechs Menschen ist ja
an sich leichter, sie kommen eher friedlich miteinander aus als zehn bis fünfzig. Die
ältere Familie war zugleich Geschäft, arbeitsteiliger Produktionsorganismus, war ein
Rechtsinstitut, das harter Disciplin bedurfte, um seinen Zweck zu erreichen. Auch wenn
sie zur Zeit der Eigenwirtschaft nicht allzu viel zu verkaufen und wieder einzukaufen
hatte, so bedurfte sie doch für die innere Produktionsleitung und für die Händel der
Knechte und Mägde, der zahlreichen Verwandten untereinander des männlichen, oft
gewaltthätigen Herrschers ebenso wie für ihre Vertretung in der Gemeinde, auf dem
Markte, im Staate. Die moderne kleine Familie ist ein wesentlich nach innen gerichteter
Haushalt, ohne jene komplizierte Produktionsthätigkeit und Arbeitsgliederung; der
herrschaftlichen Disciplinierung ist sie kaum mehr bedürftig; leicht verständigen sich
Mann und Frau und, wenn sie im richtigen Verhältnis stehen, auch Frau und Dienst-
boten über das, was zu geschehen hat. Die Dienstbotenmisere von heute wächst mit der
Zunahme persönlicher Individualisierung, aber sie ist, glaube ich, doch im ganzen ver-
schwindend gegen die Schwierigkeiten und Härten, mit denen früher eine viel größere
Zahl in Ordnung zu halten war. Die wirtschaftlichen Beziehungen der Familien-
wirtschaft nach außen, so sehr sie wachsen, so sehr man die Waren und Leistungen der
verschiedensten Geschäfte und Handwerker heranziehen, Lehrer und andere Personen
beschäftigen muß, erfordern doch kein festes, hartes Regiment, wie einst das in der
patriarchalischen Familie war; diese Beziehungen spielen sich in der Form täglich neu
zu knüpfender und leicht zu lösender Verträge ab, welche in der Hauptsache die Frau
abschließt. So ist die Härte und Gewalt, die Ausbeutung und der Arbeitszwang, die
früher in der Familie kaum zu vermeiden waren, hinausgewiesen in die Unternehmungen,
auf den Markt des Lebens und der Konkurrenz. Und in der Familie ist nun Raum
für Friede und Behagen, für ein Wirtschaften mit Liebe und ungeteiltem Interesse
geschaffen, wie es früher in gleichem Maße nicht vorhanden sein konnte.

Die Arbeitsteilung fehlt freilich auch in dieser kleinen Familie nicht; die Mutter,
die Köchin, die erwachsene Tochter, die halb erwachsenen Kinder haben ihre besonderen
Aufgaben; aber im ganzen geht diese Teilung nicht weit; jedes hilft wo es kann und
ist stets mit ganzer Seele dabei, weil die stärksten sympathischen Gefühle zur intensivsten
Thätigkeit anspornen. Die Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau aber vollzieht sich
in der Hauptsache nicht innerhalb der Familie, sondern eben zwischen der Familien-
wirtschaft überhaupt und den weiteren socialen Organisationen. Der Mann sucht sich
draußen eine Stellung, einen Erwerb, ein Vermögen; er kämpft da den harten Kampf
ums Dasein und findet die Kraft dazu, weil er in der Familie dafür die Ruhe, die
Harmonie, das friedliche Glück einer behaglichen Existenz genießt. Die Frau aber, die
die Kinder unter dem Herzen getragen, pflegt und erzieht sie; sie stellt die Dienstboten
an und entläßt sie, sie waltet in Küche, Keller und Kammer, sie reinigt und flickt,
stellt überall im Hause wieder die Ordnung her, führt den kleinen Kampf gegen Staub
und Verderbnis und erhält so allen Besitz, alle Geräte, alle Mobilien sehr viel längere
Zeit; sie kann mit demselben Einkommen das Doppelte schaffen, wenn sie ihr Budget
richtig einzuteilen, wenn sie mit Waren- und Menschenkenntnis einzukaufen versteht,
wenn sie die nötigen kleinen chemischen, technischen und Küchenkenntnisse hat; von ihrem
hygienischen Verständnis, ihrer Erfahrung und Umsicht am Krankenbette hängen Gesund-
heit und Leben aller Familienglieder ab.

Der wirtſchaftliche und ſittliche Fortſchritt in der heutigen Familienverfaſſung.

Die große Verbeſſerung der Familienwohnung, welche in den letzten 200 Jahren
ſich bis in die Arbeiterkreiſe erſtreckte, war einerſeits die Vorausſetzung der beſſeren
Ordnung der Produktion, und ſie hat mit der Scheidung der Wohn- und Produktions-
ſtätten andererſeits die inneren Verhältniſſe des Familienlebens doch neben den vorhin
erwähnten Schädigungen nach anderer Seite hin außerordentlich gefördert, erleichtert,
ja dieſes Leben auf eine viel höhere Stufe gehoben oder ſtellt ſolches in Ausſicht, wo
dieſe Schädigungen überwunden werden.

Die Leitung der älteren Familienwirtſchaft mußte eine ſtrenge, harte ſein; die der
neuen iſt viel einfacher und daher milder. Die Zügel ſind im ganzen in die mildere
Hand der Frau und Mutter gegeben. Die Leitung von drei bis ſechs Menſchen iſt ja
an ſich leichter, ſie kommen eher friedlich miteinander aus als zehn bis fünfzig. Die
ältere Familie war zugleich Geſchäft, arbeitsteiliger Produktionsorganismus, war ein
Rechtsinſtitut, das harter Disciplin bedurfte, um ſeinen Zweck zu erreichen. Auch wenn
ſie zur Zeit der Eigenwirtſchaft nicht allzu viel zu verkaufen und wieder einzukaufen
hatte, ſo bedurfte ſie doch für die innere Produktionsleitung und für die Händel der
Knechte und Mägde, der zahlreichen Verwandten untereinander des männlichen, oft
gewaltthätigen Herrſchers ebenſo wie für ihre Vertretung in der Gemeinde, auf dem
Markte, im Staate. Die moderne kleine Familie iſt ein weſentlich nach innen gerichteter
Haushalt, ohne jene komplizierte Produktionsthätigkeit und Arbeitsgliederung; der
herrſchaftlichen Disciplinierung iſt ſie kaum mehr bedürftig; leicht verſtändigen ſich
Mann und Frau und, wenn ſie im richtigen Verhältnis ſtehen, auch Frau und Dienſt-
boten über das, was zu geſchehen hat. Die Dienſtbotenmiſere von heute wächſt mit der
Zunahme perſönlicher Individualiſierung, aber ſie iſt, glaube ich, doch im ganzen ver-
ſchwindend gegen die Schwierigkeiten und Härten, mit denen früher eine viel größere
Zahl in Ordnung zu halten war. Die wirtſchaftlichen Beziehungen der Familien-
wirtſchaft nach außen, ſo ſehr ſie wachſen, ſo ſehr man die Waren und Leiſtungen der
verſchiedenſten Geſchäfte und Handwerker heranziehen, Lehrer und andere Perſonen
beſchäftigen muß, erfordern doch kein feſtes, hartes Regiment, wie einſt das in der
patriarchaliſchen Familie war; dieſe Beziehungen ſpielen ſich in der Form täglich neu
zu knüpfender und leicht zu löſender Verträge ab, welche in der Hauptſache die Frau
abſchließt. So iſt die Härte und Gewalt, die Ausbeutung und der Arbeitszwang, die
früher in der Familie kaum zu vermeiden waren, hinausgewieſen in die Unternehmungen,
auf den Markt des Lebens und der Konkurrenz. Und in der Familie iſt nun Raum
für Friede und Behagen, für ein Wirtſchaften mit Liebe und ungeteiltem Intereſſe
geſchaffen, wie es früher in gleichem Maße nicht vorhanden ſein konnte.

Die Arbeitsteilung fehlt freilich auch in dieſer kleinen Familie nicht; die Mutter,
die Köchin, die erwachſene Tochter, die halb erwachſenen Kinder haben ihre beſonderen
Aufgaben; aber im ganzen geht dieſe Teilung nicht weit; jedes hilft wo es kann und
iſt ſtets mit ganzer Seele dabei, weil die ſtärkſten ſympathiſchen Gefühle zur intenſivſten
Thätigkeit anſpornen. Die Arbeitsteilung zwiſchen Mann und Frau aber vollzieht ſich
in der Hauptſache nicht innerhalb der Familie, ſondern eben zwiſchen der Familien-
wirtſchaft überhaupt und den weiteren ſocialen Organiſationen. Der Mann ſucht ſich
draußen eine Stellung, einen Erwerb, ein Vermögen; er kämpft da den harten Kampf
ums Daſein und findet die Kraft dazu, weil er in der Familie dafür die Ruhe, die
Harmonie, das friedliche Glück einer behaglichen Exiſtenz genießt. Die Frau aber, die
die Kinder unter dem Herzen getragen, pflegt und erzieht ſie; ſie ſtellt die Dienſtboten
an und entläßt ſie, ſie waltet in Küche, Keller und Kammer, ſie reinigt und flickt,
ſtellt überall im Hauſe wieder die Ordnung her, führt den kleinen Kampf gegen Staub
und Verderbnis und erhält ſo allen Beſitz, alle Geräte, alle Mobilien ſehr viel längere
Zeit; ſie kann mit demſelben Einkommen das Doppelte ſchaffen, wenn ſie ihr Budget
richtig einzuteilen, wenn ſie mit Waren- und Menſchenkenntnis einzukaufen verſteht,
wenn ſie die nötigen kleinen chemiſchen, techniſchen und Küchenkenntniſſe hat; von ihrem
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heit und Leben aller Familienglieder ab.

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[249/0265] Der wirtſchaftliche und ſittliche Fortſchritt in der heutigen Familienverfaſſung. Die große Verbeſſerung der Familienwohnung, welche in den letzten 200 Jahren ſich bis in die Arbeiterkreiſe erſtreckte, war einerſeits die Vorausſetzung der beſſeren Ordnung der Produktion, und ſie hat mit der Scheidung der Wohn- und Produktions- ſtätten andererſeits die inneren Verhältniſſe des Familienlebens doch neben den vorhin erwähnten Schädigungen nach anderer Seite hin außerordentlich gefördert, erleichtert, ja dieſes Leben auf eine viel höhere Stufe gehoben oder ſtellt ſolches in Ausſicht, wo dieſe Schädigungen überwunden werden. Die Leitung der älteren Familienwirtſchaft mußte eine ſtrenge, harte ſein; die der neuen iſt viel einfacher und daher milder. Die Zügel ſind im ganzen in die mildere Hand der Frau und Mutter gegeben. Die Leitung von drei bis ſechs Menſchen iſt ja an ſich leichter, ſie kommen eher friedlich miteinander aus als zehn bis fünfzig. Die ältere Familie war zugleich Geſchäft, arbeitsteiliger Produktionsorganismus, war ein Rechtsinſtitut, das harter Disciplin bedurfte, um ſeinen Zweck zu erreichen. Auch wenn ſie zur Zeit der Eigenwirtſchaft nicht allzu viel zu verkaufen und wieder einzukaufen hatte, ſo bedurfte ſie doch für die innere Produktionsleitung und für die Händel der Knechte und Mägde, der zahlreichen Verwandten untereinander des männlichen, oft gewaltthätigen Herrſchers ebenſo wie für ihre Vertretung in der Gemeinde, auf dem Markte, im Staate. Die moderne kleine Familie iſt ein weſentlich nach innen gerichteter Haushalt, ohne jene komplizierte Produktionsthätigkeit und Arbeitsgliederung; der herrſchaftlichen Disciplinierung iſt ſie kaum mehr bedürftig; leicht verſtändigen ſich Mann und Frau und, wenn ſie im richtigen Verhältnis ſtehen, auch Frau und Dienſt- boten über das, was zu geſchehen hat. Die Dienſtbotenmiſere von heute wächſt mit der Zunahme perſönlicher Individualiſierung, aber ſie iſt, glaube ich, doch im ganzen ver- ſchwindend gegen die Schwierigkeiten und Härten, mit denen früher eine viel größere Zahl in Ordnung zu halten war. Die wirtſchaftlichen Beziehungen der Familien- wirtſchaft nach außen, ſo ſehr ſie wachſen, ſo ſehr man die Waren und Leiſtungen der verſchiedenſten Geſchäfte und Handwerker heranziehen, Lehrer und andere Perſonen beſchäftigen muß, erfordern doch kein feſtes, hartes Regiment, wie einſt das in der patriarchaliſchen Familie war; dieſe Beziehungen ſpielen ſich in der Form täglich neu zu knüpfender und leicht zu löſender Verträge ab, welche in der Hauptſache die Frau abſchließt. So iſt die Härte und Gewalt, die Ausbeutung und der Arbeitszwang, die früher in der Familie kaum zu vermeiden waren, hinausgewieſen in die Unternehmungen, auf den Markt des Lebens und der Konkurrenz. Und in der Familie iſt nun Raum für Friede und Behagen, für ein Wirtſchaften mit Liebe und ungeteiltem Intereſſe geſchaffen, wie es früher in gleichem Maße nicht vorhanden ſein konnte. Die Arbeitsteilung fehlt freilich auch in dieſer kleinen Familie nicht; die Mutter, die Köchin, die erwachſene Tochter, die halb erwachſenen Kinder haben ihre beſonderen Aufgaben; aber im ganzen geht dieſe Teilung nicht weit; jedes hilft wo es kann und iſt ſtets mit ganzer Seele dabei, weil die ſtärkſten ſympathiſchen Gefühle zur intenſivſten Thätigkeit anſpornen. Die Arbeitsteilung zwiſchen Mann und Frau aber vollzieht ſich in der Hauptſache nicht innerhalb der Familie, ſondern eben zwiſchen der Familien- wirtſchaft überhaupt und den weiteren ſocialen Organiſationen. Der Mann ſucht ſich draußen eine Stellung, einen Erwerb, ein Vermögen; er kämpft da den harten Kampf ums Daſein und findet die Kraft dazu, weil er in der Familie dafür die Ruhe, die Harmonie, das friedliche Glück einer behaglichen Exiſtenz genießt. Die Frau aber, die die Kinder unter dem Herzen getragen, pflegt und erzieht ſie; ſie ſtellt die Dienſtboten an und entläßt ſie, ſie waltet in Küche, Keller und Kammer, ſie reinigt und flickt, ſtellt überall im Hauſe wieder die Ordnung her, führt den kleinen Kampf gegen Staub und Verderbnis und erhält ſo allen Beſitz, alle Geräte, alle Mobilien ſehr viel längere Zeit; ſie kann mit demſelben Einkommen das Doppelte ſchaffen, wenn ſie ihr Budget richtig einzuteilen, wenn ſie mit Waren- und Menſchenkenntnis einzukaufen verſteht, wenn ſie die nötigen kleinen chemiſchen, techniſchen und Küchenkenntniſſe hat; von ihrem hygieniſchen Verſtändnis, ihrer Erfahrung und Umſicht am Krankenbette hängen Geſund- heit und Leben aller Familienglieder ab.

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/265>, abgerufen am 21.11.2024.