Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.Größe der älteren Städte. Stadtentwickelung anderwärts. 18. Jahrhundert galt es als selbstverständliche Schranke -- selbst für einen Hamburgerwie Büsch --, daß die Kosten des Bezuges von Brennholz, Getreide und Ähnlichem jeder Stadt ihre enge Grenze ziehen. Über den Rückgang der kleineren Märkte und Landstädte wird in Deutschland schon im 16. Jahrhundert außerordentlich, auch in England in dem Maße geklagt, wie dort der Bauernstand, welcher kleine Städte in der Nähe braucht und erhält, zurückgeht. Dieser Rückgang beruhte daneben auf dem stärkeren Wachsen der größeren Städte infolge des verbesserten Verkehrs und der beginnenden lokalen Arbeitsteilung. In Preußen hat die monarchische Politik dann im 17.--18. Jahr- hundert gerade auch diese kleinen Städte durch Garnisonen, Lieferungen, Verbote des Landhandwerks wieder zu heben gesucht. Welchen Teil der Gesamtbevölkerung die städtische im Mittelalter ausgemacht habe, Dafür, daß vorübergehend in Not- und Kriegszeiten die Stadtbevölkerung im Über die städtische Entwickelung anderer Länder wissen wir wenig. Im Slaven- In den englisch-amerikanischen Kolonien hat man, wo nur eine agrarische Ent- 98. Stadt und Land im 19. Jahrhundert. Die neuere Zeit hat, wie Größe der älteren Städte. Stadtentwickelung anderwärts. 18. Jahrhundert galt es als ſelbſtverſtändliche Schranke — ſelbſt für einen Hamburgerwie Büſch —, daß die Koſten des Bezuges von Brennholz, Getreide und Ähnlichem jeder Stadt ihre enge Grenze ziehen. Über den Rückgang der kleineren Märkte und Landſtädte wird in Deutſchland ſchon im 16. Jahrhundert außerordentlich, auch in England in dem Maße geklagt, wie dort der Bauernſtand, welcher kleine Städte in der Nähe braucht und erhält, zurückgeht. Dieſer Rückgang beruhte daneben auf dem ſtärkeren Wachſen der größeren Städte infolge des verbeſſerten Verkehrs und der beginnenden lokalen Arbeitsteilung. In Preußen hat die monarchiſche Politik dann im 17.—18. Jahr- hundert gerade auch dieſe kleinen Städte durch Garniſonen, Lieferungen, Verbote des Landhandwerks wieder zu heben geſucht. Welchen Teil der Geſamtbevölkerung die ſtädtiſche im Mittelalter ausgemacht habe, Dafür, daß vorübergehend in Not- und Kriegszeiten die Stadtbevölkerung im Über die ſtädtiſche Entwickelung anderer Länder wiſſen wir wenig. Im Slaven- In den engliſch-amerikaniſchen Kolonien hat man, wo nur eine agrariſche Ent- 98. Stadt und Land im 19. Jahrhundert. Die neuere Zeit hat, wie <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0283" n="267"/><fw place="top" type="header">Größe der älteren Städte. Stadtentwickelung anderwärts.</fw><lb/> 18. Jahrhundert galt es als ſelbſtverſtändliche Schranke — ſelbſt für einen Hamburger<lb/> wie Büſch —, daß die Koſten des Bezuges von Brennholz, Getreide und Ähnlichem<lb/> jeder Stadt ihre enge Grenze ziehen. Über den Rückgang der kleineren Märkte und<lb/> Landſtädte wird in Deutſchland ſchon im 16. Jahrhundert außerordentlich, auch in<lb/> England in dem Maße geklagt, wie dort der Bauernſtand, welcher kleine Städte in der<lb/> Nähe braucht und erhält, zurückgeht. Dieſer Rückgang beruhte daneben auf dem ſtärkeren<lb/> Wachſen der größeren Städte infolge des verbeſſerten Verkehrs und der beginnenden<lb/> lokalen Arbeitsteilung. In Preußen hat die monarchiſche Politik dann im 17.—18. Jahr-<lb/> hundert gerade auch dieſe kleinen Städte durch Garniſonen, Lieferungen, Verbote des<lb/> Landhandwerks wieder zu heben geſucht.</p><lb/> <p>Welchen Teil der Geſamtbevölkerung die ſtädtiſche im Mittelalter ausgemacht habe,<lb/> darüber fehlen uns faſt alle Nachrichten. Rogers führt für das England von 1377<lb/> 8 Prozent an. Im ganzen können wir annehmen, daß, von einigen ſtädte- und ver-<lb/> kehrsreichen Gegenden abgeſehen, in ganz Europa die ſtädtiſche Bevölkerung bis gegen<lb/> 1800 10—20 Prozent der Geſamtzahl nicht leicht überſchritten habe.</p><lb/> <p>Dafür, daß vorübergehend in Not- und Kriegszeiten die Stadtbevölkerung im<lb/> Mittelalter oft aufs Doppelte wuchs, haben wir mancherlei ſichere Anhaltspunkte; es<lb/> iſt der Reſt der alten Einrichtung, daß ganze Völkerſchaften ſich in den ſtädtiſchen<lb/> Mittelpunkt zurückzogen. Eine übergroße, flottierende Fremdenbevölkerung haben nach<lb/> den Reiſeberichten periodiſch heute noch die afrikaniſchen Handelsorte. —</p><lb/> <p>Über die ſtädtiſche Entwickelung anderer Länder wiſſen wir wenig. Im Slaven-<lb/> gebiete hatten früher die Bezirke und kleinen Völkerſchaften von 2—10 Geviertmeilen<lb/> wenig oder nicht bewohnte Burgwalle als Rückzugsorte (Meitzen). Später waren es<lb/> hier und im Norden deutſche Kaufmanns- und Handwerkerkolonien, welche die Städte<lb/> nach deutſcher Art gegründet oder als korporativ begünſtigte Bevölkerungsgruppen den<lb/> Orten ihrer Niederlaſſung Bedeutung verſchafft haben. Für Rußland berichtet Keußler,<lb/> daß erſt 1648—1700 eine Anzahl größerer Orte zu wirklich ſtädtiſchem Leben<lb/> gekommen ſei. Wo im Norden und Oſten die Deutſchen als Städtegründer auftraten,<lb/> da hat man ihnen ſpäter ihre Vorrechte genommen, ſuchte den feſtgewurzelten Teil zu<lb/> nationaliſieren, den anderen zu vertreiben, die heimiſche Bevölkerung durch verſchiedene<lb/> Privilegien zum ſtädtiſchen Leben und Verkehr anzureizen; den Fremden wurde aller<lb/> Landhandel und Kleinhandel verboten, die einheimiſchen Marktorte erhielten die Vor-<lb/> rechte wie die deutſchen Städte und dergleichen mehr.</p><lb/> <p>In den engliſch-amerikaniſchen Kolonien hat man, wo nur eine agrariſche Ent-<lb/> wickelung Platz griff, und es lange an allen Städten fehlte, zu ähnlichen ſtädtefördernden<lb/> Geſetzen und Einrichtungen gegriffen, wie die däniſchen und ſchwediſchen Könige ſie im<lb/> 16. und 17. Jahrhundert erließen und geſchaffen hatten. Ein virginiſches Geſetz von<lb/> 1655 wollte in jeder Grafſchaft eine Stadt mit dem Alleinrecht des Handels ins Leben<lb/> rufen. Ein Geſetz von 1705 hat denſelben Zweck, es befreit die Stadtbewohner vom<lb/> Militärdienſt, giebt jeder Stadt das Alleinrecht des Handels auf 5 Meilen.</p><lb/> <p>98. <hi rendition="#g">Stadt und Land im 19. Jahrhundert</hi>. Die neuere Zeit hat, wie<lb/> für die ſtädtiſche Entwickelung, ſo für das ganze Siedlungsweſen andere Bedingungen<lb/> geſchaffen. Zunächſt haben die Verkehrsmittel ſich ausgebildet wie niemals früher: die<lb/> Poſt im 16. und 17. Jahrhundert, die Kanäle im 18., die Chauſſeen und Vicinalwege<lb/> in der erſten Hälfte, die Eiſenbahnen und Telegraphen in der zweiten Hälfte des<lb/> 19. Jahrhunderts; dazu kam die Entwickelung der modernen Technik, welche zunächſt<lb/> gewiſſe gewerbetreibende Städte außerordentlich raſch hob. Ebenſo einflußreich war die<lb/> allenthalben erfolgende Aufrichtung feſterer ſtaatlicher Gewalten auf viel größeren Ge-<lb/> bieten, einer geordneten Polizei, eines freien Verkehrs innerhalb der Staaten. In unſerem<lb/> Jahrhundert fiel mit der Gewerbe- und Niederlaſſungsfreiheit meiſt der ganze ſeit Jahr-<lb/> hunderten beſtehende Vorzug der Städte für Gewerbe und Handel; Stadt und Land<lb/> wurden überall ſich rechtlich gleichgeſtellt; die ſtädtiſchen Mauern fielen, mit Ausnahme<lb/> einzelner Feſtungen, überall, in Preußen ſchon unter Friedrich Wilhelm <hi rendition="#aq">I.;</hi> noch weniger<lb/> bedurften die Dörfer weiter ſolchen Schutzes: immer reiner und unbedingter konnten die<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [267/0283]
Größe der älteren Städte. Stadtentwickelung anderwärts.
18. Jahrhundert galt es als ſelbſtverſtändliche Schranke — ſelbſt für einen Hamburger
wie Büſch —, daß die Koſten des Bezuges von Brennholz, Getreide und Ähnlichem
jeder Stadt ihre enge Grenze ziehen. Über den Rückgang der kleineren Märkte und
Landſtädte wird in Deutſchland ſchon im 16. Jahrhundert außerordentlich, auch in
England in dem Maße geklagt, wie dort der Bauernſtand, welcher kleine Städte in der
Nähe braucht und erhält, zurückgeht. Dieſer Rückgang beruhte daneben auf dem ſtärkeren
Wachſen der größeren Städte infolge des verbeſſerten Verkehrs und der beginnenden
lokalen Arbeitsteilung. In Preußen hat die monarchiſche Politik dann im 17.—18. Jahr-
hundert gerade auch dieſe kleinen Städte durch Garniſonen, Lieferungen, Verbote des
Landhandwerks wieder zu heben geſucht.
Welchen Teil der Geſamtbevölkerung die ſtädtiſche im Mittelalter ausgemacht habe,
darüber fehlen uns faſt alle Nachrichten. Rogers führt für das England von 1377
8 Prozent an. Im ganzen können wir annehmen, daß, von einigen ſtädte- und ver-
kehrsreichen Gegenden abgeſehen, in ganz Europa die ſtädtiſche Bevölkerung bis gegen
1800 10—20 Prozent der Geſamtzahl nicht leicht überſchritten habe.
Dafür, daß vorübergehend in Not- und Kriegszeiten die Stadtbevölkerung im
Mittelalter oft aufs Doppelte wuchs, haben wir mancherlei ſichere Anhaltspunkte; es
iſt der Reſt der alten Einrichtung, daß ganze Völkerſchaften ſich in den ſtädtiſchen
Mittelpunkt zurückzogen. Eine übergroße, flottierende Fremdenbevölkerung haben nach
den Reiſeberichten periodiſch heute noch die afrikaniſchen Handelsorte. —
Über die ſtädtiſche Entwickelung anderer Länder wiſſen wir wenig. Im Slaven-
gebiete hatten früher die Bezirke und kleinen Völkerſchaften von 2—10 Geviertmeilen
wenig oder nicht bewohnte Burgwalle als Rückzugsorte (Meitzen). Später waren es
hier und im Norden deutſche Kaufmanns- und Handwerkerkolonien, welche die Städte
nach deutſcher Art gegründet oder als korporativ begünſtigte Bevölkerungsgruppen den
Orten ihrer Niederlaſſung Bedeutung verſchafft haben. Für Rußland berichtet Keußler,
daß erſt 1648—1700 eine Anzahl größerer Orte zu wirklich ſtädtiſchem Leben
gekommen ſei. Wo im Norden und Oſten die Deutſchen als Städtegründer auftraten,
da hat man ihnen ſpäter ihre Vorrechte genommen, ſuchte den feſtgewurzelten Teil zu
nationaliſieren, den anderen zu vertreiben, die heimiſche Bevölkerung durch verſchiedene
Privilegien zum ſtädtiſchen Leben und Verkehr anzureizen; den Fremden wurde aller
Landhandel und Kleinhandel verboten, die einheimiſchen Marktorte erhielten die Vor-
rechte wie die deutſchen Städte und dergleichen mehr.
In den engliſch-amerikaniſchen Kolonien hat man, wo nur eine agrariſche Ent-
wickelung Platz griff, und es lange an allen Städten fehlte, zu ähnlichen ſtädtefördernden
Geſetzen und Einrichtungen gegriffen, wie die däniſchen und ſchwediſchen Könige ſie im
16. und 17. Jahrhundert erließen und geſchaffen hatten. Ein virginiſches Geſetz von
1655 wollte in jeder Grafſchaft eine Stadt mit dem Alleinrecht des Handels ins Leben
rufen. Ein Geſetz von 1705 hat denſelben Zweck, es befreit die Stadtbewohner vom
Militärdienſt, giebt jeder Stadt das Alleinrecht des Handels auf 5 Meilen.
98. Stadt und Land im 19. Jahrhundert. Die neuere Zeit hat, wie
für die ſtädtiſche Entwickelung, ſo für das ganze Siedlungsweſen andere Bedingungen
geſchaffen. Zunächſt haben die Verkehrsmittel ſich ausgebildet wie niemals früher: die
Poſt im 16. und 17. Jahrhundert, die Kanäle im 18., die Chauſſeen und Vicinalwege
in der erſten Hälfte, die Eiſenbahnen und Telegraphen in der zweiten Hälfte des
19. Jahrhunderts; dazu kam die Entwickelung der modernen Technik, welche zunächſt
gewiſſe gewerbetreibende Städte außerordentlich raſch hob. Ebenſo einflußreich war die
allenthalben erfolgende Aufrichtung feſterer ſtaatlicher Gewalten auf viel größeren Ge-
bieten, einer geordneten Polizei, eines freien Verkehrs innerhalb der Staaten. In unſerem
Jahrhundert fiel mit der Gewerbe- und Niederlaſſungsfreiheit meiſt der ganze ſeit Jahr-
hunderten beſtehende Vorzug der Städte für Gewerbe und Handel; Stadt und Land
wurden überall ſich rechtlich gleichgeſtellt; die ſtädtiſchen Mauern fielen, mit Ausnahme
einzelner Feſtungen, überall, in Preußen ſchon unter Friedrich Wilhelm I.; noch weniger
bedurften die Dörfer weiter ſolchen Schutzes: immer reiner und unbedingter konnten die
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