Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.Zweites Buch. Die gesellschaftliche Verfassung der Volkswirtschaft. bildung und Leistungsfähigkeit der finanziellen Organisation; aber sie bieten doch zurVergleichung einen festen Anhalt, so schwankend auch der Geldwert, so zweifelhaft viel- fach die Umrechnung älterer Münzen auf die heutige deutsche Mark sein mag; wir haben für die ältere Zeit nur Zahlen über die verfügbaren reinen Überschüsse der Central- regierung (Nettoeinnahmen), für spätere meist Angaben über die gesamten Staats- einnahmen (Bruttobudgets). Besser als keine Angaben sind die Zahlen doch. Die Ausbeute an Nachrichten für die älteren Zeiten ist sehr gering. Attika hatte Im Mittelalter sind es die größeren Städte einerseits, die fürstlichen Territorien Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft. bildung und Leiſtungsfähigkeit der finanziellen Organiſation; aber ſie bieten doch zurVergleichung einen feſten Anhalt, ſo ſchwankend auch der Geldwert, ſo zweifelhaft viel- fach die Umrechnung älterer Münzen auf die heutige deutſche Mark ſein mag; wir haben für die ältere Zeit nur Zahlen über die verfügbaren reinen Überſchüſſe der Central- regierung (Nettoeinnahmen), für ſpätere meiſt Angaben über die geſamten Staats- einnahmen (Bruttobudgets). Beſſer als keine Angaben ſind die Zahlen doch. Die Ausbeute an Nachrichten für die älteren Zeiten iſt ſehr gering. Attika hatte Im Mittelalter ſind es die größeren Städte einerſeits, die fürſtlichen Territorien <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0298" n="282"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.</fw><lb/> bildung und Leiſtungsfähigkeit der finanziellen Organiſation; aber ſie bieten doch zur<lb/> Vergleichung einen feſten Anhalt, ſo ſchwankend auch der Geldwert, ſo zweifelhaft viel-<lb/> fach die Umrechnung älterer Münzen auf die heutige deutſche Mark ſein mag; wir haben<lb/> für die ältere Zeit nur Zahlen über die verfügbaren reinen Überſchüſſe der Central-<lb/> regierung (Nettoeinnahmen), für ſpätere meiſt Angaben über die geſamten Staats-<lb/> einnahmen (Bruttobudgets). Beſſer als keine Angaben ſind die Zahlen doch.</p><lb/> <p>Die Ausbeute an Nachrichten für die älteren Zeiten iſt ſehr gering. Attika hatte<lb/> 2653 Geviertkilometer und 250000 Seelen beim Ausbruche des peloponneſiſchen Krieges;<lb/> Xenophon giebt ihm für dieſen Zeitpunkt 1000 Talente (5 Mill. Mark) Staatseinnahme,<lb/> wovon aber 600 auf die Tribute der unterworfenen und bündiſchen Städtegebiete fielen,<lb/> deren Hunderte gezählt wurden; die Einnahmen ſtiegen dann auf 2000 Talente, und<lb/> ſie ſollen ſpäter unter der ſparſamen Verwaltung Lykurgs ohne Tribute wieder 1200<lb/> betragen haben. Rom hatte am Ende der Königsherrſchaft ein Gebiet von 983,<lb/> 340 v. Chr. von 3096, vor dem zweiten Samniterkriege von 6039 Geviertkilometern<lb/> und nicht mehr als ½—1 Mill. Seelen. Seine finanzielle und militäriſche Kraft<lb/> ruhte damals auch ſchon auf den Bundesverhältniſſen, obwohl es erſt ſo groß war wie<lb/> ein kleiner preußiſcher Regierungsbezirk, obwohl es, noch wie Attika in ſeiner älteren<lb/> Zeit, einer heutigen großen Kommune näher als einem heutigen Staate ſtand; ſeine<lb/> Hauptausgaben waren, wie in jener, die für Bauten; aber freilich die eigene Politik<lb/> und die ſelbſtändigen Kriege unterſcheiden beide von heutigen Großſtädten oder Kan-<lb/> tonen. Ägypten hatte ſchon vor der griechiſchen Herrſchaft hochentwickelte Finanzen; es<lb/> war in ſeiner beſten Zeit ein Land mit 3—7 Mill. Menſchen, die auf etwa 27000 Geviert-<lb/> kilometern kulturfähigen Landes, auf einer Fläche wie die der Rheinprovinz ſaßen; es hatte<lb/> unter den griechiſchen Herrſchern eine jährliche Regierungseinnahme von 8—14000 Ta-<lb/> lenten, d. h. 29—50 Mill. Mark. Auch darunter ſteckten ſicher viele Tribute, die von<lb/> auswärts kamen. Immer war es ein einheitlicheres Reich als etwa Perſien unter<lb/> Dareios, das nach M. Duncker 46,5 Mill. Mark Grundſteuer einnahm, einen Hofhalt<lb/> hatte, der 66 Mill. Mark koſtete. Das römiſche Reich, das beim Tode von Auguſt<lb/> 3,3 Mill. Geviertkilometer und 54 Mill. Einwohner umfaßte, ſoll in der Zeit von<lb/> Auguſtus bis Konſtantin nach den einen nur etwa 30, nach den anderen bis 360 Mill.<lb/> Mark jährlich an Reichsausgaben gehabt haben. Aber es hätte, wenn es eine einheitliche<lb/> Volks- und Staatswirtſchaft wie unſere modernen Staaten dargeſtellt hätte, nicht viel-<lb/> mehr ein Civitäten- und Provinzenbund mit führender Spitze geweſen wäre, auch mit<lb/> der zehnfach größeren Summe nicht gereicht. Die auswärtige Politik, die großen Straßen,<lb/> die Armee, die Grenzverteidigung, die Oberleitung der Provinzen und gewiſſe Steuern<lb/> waren im römiſchen Reiche einheitlich, alles übrige politiſch-wirtſchaftliche Leben war<lb/> Sache der Stadtbezirke und der Städtebündniſſe.</p><lb/> <p>Im Mittelalter ſind es die größeren Städte einerſeits, die fürſtlichen Territorien<lb/> andererſeits, von denen wir zuerſt wieder Gebietsgröße, Menſchenzahl und Finanzkraft<lb/> einigermaßen feſt erfaſſen können. Die Städte haben meiſt ein viel kleineres Gebiet als<lb/> im Altertume; 100—500 Geviertkilometer ſind ſchon viel; aber ſie haben mit 10 oder<lb/> 20, höchſtens 40—50000 Seelen durch ihre Geld- und Kreditwirtſchaft bereits einen<lb/> außerordentlichen Einfluß; Baſel giebt im 15. Jahrhundert jährlich in Friedenszeiten<lb/> 100—160000, in kriegeriſchen 200—260000 Mark aus, Hamburg 1350 35000, 1400<lb/> 102000 Mark, Köln 1370 114000, 1392 44139 Mark (Stieda); Hamburgs Aus-<lb/> gaben ſteigen im 16. Jahrhundert einmal ſchon pro Jahr auf 759000 Mark. Venedig<lb/> hat bei mäßigem italieniſchem, freilich großem Kolonialgebiet 1423 1 Mill. Dukaten<lb/> Staatseinnahmen (alſo etwa 10 Mill. Mark), der Papſt gegen 1450 0,<hi rendition="#sub">5</hi>—0,<hi rendition="#sub">6</hi>, Mailand<lb/> 0,<hi rendition="#sub">6</hi>, Florenz 0,<hi rendition="#sub">3</hi> Mill. Dukaten. Die deutſchen Kurfürſten werden im 13. 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Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.
bildung und Leiſtungsfähigkeit der finanziellen Organiſation; aber ſie bieten doch zur
Vergleichung einen feſten Anhalt, ſo ſchwankend auch der Geldwert, ſo zweifelhaft viel-
fach die Umrechnung älterer Münzen auf die heutige deutſche Mark ſein mag; wir haben
für die ältere Zeit nur Zahlen über die verfügbaren reinen Überſchüſſe der Central-
regierung (Nettoeinnahmen), für ſpätere meiſt Angaben über die geſamten Staats-
einnahmen (Bruttobudgets). Beſſer als keine Angaben ſind die Zahlen doch.
Die Ausbeute an Nachrichten für die älteren Zeiten iſt ſehr gering. Attika hatte
2653 Geviertkilometer und 250000 Seelen beim Ausbruche des peloponneſiſchen Krieges;
Xenophon giebt ihm für dieſen Zeitpunkt 1000 Talente (5 Mill. Mark) Staatseinnahme,
wovon aber 600 auf die Tribute der unterworfenen und bündiſchen Städtegebiete fielen,
deren Hunderte gezählt wurden; die Einnahmen ſtiegen dann auf 2000 Talente, und
ſie ſollen ſpäter unter der ſparſamen Verwaltung Lykurgs ohne Tribute wieder 1200
betragen haben. Rom hatte am Ende der Königsherrſchaft ein Gebiet von 983,
340 v. Chr. von 3096, vor dem zweiten Samniterkriege von 6039 Geviertkilometern
und nicht mehr als ½—1 Mill. Seelen. Seine finanzielle und militäriſche Kraft
ruhte damals auch ſchon auf den Bundesverhältniſſen, obwohl es erſt ſo groß war wie
ein kleiner preußiſcher Regierungsbezirk, obwohl es, noch wie Attika in ſeiner älteren
Zeit, einer heutigen großen Kommune näher als einem heutigen Staate ſtand; ſeine
Hauptausgaben waren, wie in jener, die für Bauten; aber freilich die eigene Politik
und die ſelbſtändigen Kriege unterſcheiden beide von heutigen Großſtädten oder Kan-
tonen. Ägypten hatte ſchon vor der griechiſchen Herrſchaft hochentwickelte Finanzen; es
war in ſeiner beſten Zeit ein Land mit 3—7 Mill. Menſchen, die auf etwa 27000 Geviert-
kilometern kulturfähigen Landes, auf einer Fläche wie die der Rheinprovinz ſaßen; es hatte
unter den griechiſchen Herrſchern eine jährliche Regierungseinnahme von 8—14000 Ta-
lenten, d. h. 29—50 Mill. Mark. Auch darunter ſteckten ſicher viele Tribute, die von
auswärts kamen. Immer war es ein einheitlicheres Reich als etwa Perſien unter
Dareios, das nach M. Duncker 46,5 Mill. Mark Grundſteuer einnahm, einen Hofhalt
hatte, der 66 Mill. Mark koſtete. Das römiſche Reich, das beim Tode von Auguſt
3,3 Mill. Geviertkilometer und 54 Mill. Einwohner umfaßte, ſoll in der Zeit von
Auguſtus bis Konſtantin nach den einen nur etwa 30, nach den anderen bis 360 Mill.
Mark jährlich an Reichsausgaben gehabt haben. Aber es hätte, wenn es eine einheitliche
Volks- und Staatswirtſchaft wie unſere modernen Staaten dargeſtellt hätte, nicht viel-
mehr ein Civitäten- und Provinzenbund mit führender Spitze geweſen wäre, auch mit
der zehnfach größeren Summe nicht gereicht. Die auswärtige Politik, die großen Straßen,
die Armee, die Grenzverteidigung, die Oberleitung der Provinzen und gewiſſe Steuern
waren im römiſchen Reiche einheitlich, alles übrige politiſch-wirtſchaftliche Leben war
Sache der Stadtbezirke und der Städtebündniſſe.
Im Mittelalter ſind es die größeren Städte einerſeits, die fürſtlichen Territorien
andererſeits, von denen wir zuerſt wieder Gebietsgröße, Menſchenzahl und Finanzkraft
einigermaßen feſt erfaſſen können. Die Städte haben meiſt ein viel kleineres Gebiet als
im Altertume; 100—500 Geviertkilometer ſind ſchon viel; aber ſie haben mit 10 oder
20, höchſtens 40—50000 Seelen durch ihre Geld- und Kreditwirtſchaft bereits einen
außerordentlichen Einfluß; Baſel giebt im 15. Jahrhundert jährlich in Friedenszeiten
100—160000, in kriegeriſchen 200—260000 Mark aus, Hamburg 1350 35000, 1400
102000 Mark, Köln 1370 114000, 1392 44139 Mark (Stieda); Hamburgs Aus-
gaben ſteigen im 16. Jahrhundert einmal ſchon pro Jahr auf 759000 Mark. Venedig
hat bei mäßigem italieniſchem, freilich großem Kolonialgebiet 1423 1 Mill. Dukaten
Staatseinnahmen (alſo etwa 10 Mill. Mark), der Papſt gegen 1450 0,5—0,6, Mailand
0,6, Florenz 0,3 Mill. Dukaten. Die deutſchen Kurfürſten werden im 13. Jahrhundert
bei Gebieten von etwa 5500—27000 Geviertkilometern mit Seelenzahlen von wahr-
ſcheinlich keiner halben Million auf 3000—50000 damalige Mark Einkommen geſchätzt;
das ſind je nach der Gewichts- oder Zählmark (à 33 oder 16,5 heutige Mark) 50 oder
100000 bis 0,8 oder 1,6 Mill. Mark. Die kleineren Kurfürſten ſtehen alſo unter den Städten.
Alle gut regierten Staaten vom 13.—17. Jahrhundert waren Territorialgebiete, Klein-
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