Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.Zweites Buch. Die gesellschaftliche Verfassung der Volkswirtschaft. Heute besteht in den meisten Staaten ein kompliziertes System von Steuern; Der größte Fortschritt im Steuerwesen neben der Ausbildung des staatsrechtlichen In sehr vielen und zwar den vorangeschrittensten Staaten sind die Steuern Die Entwickelung der Steuer ist ein Teil der Entwickelungsgeschichte des Staates Die Steuern können in einem Staate mit größerem Staatseigentume und Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft. Heute beſteht in den meiſten Staaten ein kompliziertes Syſtem von Steuern; Der größte Fortſchritt im Steuerweſen neben der Ausbildung des ſtaatsrechtlichen In ſehr vielen und zwar den vorangeſchrittenſten Staaten ſind die Steuern Die Entwickelung der Steuer iſt ein Teil der Entwickelungsgeſchichte des Staates Die Steuern können in einem Staate mit größerem Staatseigentume und <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0324" n="308"/> <fw place="top" type="header">Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.</fw><lb/> <p>Heute beſteht in den meiſten Staaten ein kompliziertes Syſtem von Steuern;<lb/> einzelne ſind gebührenartig, andere verbinden ſich mit Staatsgewerben und ihrem Monopol,<lb/> werden in dem erhöhten Preiſe z. B. des Tabaks, der Eiſenbahntarife der Staatsbahnen<lb/> erhoben. Daneben unterſcheidet man die indirekten Steuern, welche, wie Zölle, Ver-<lb/> brauchs-, Aufwandſteuern, Steuern von der Bier-, Wein-, Branntwein-, Zuckerproduktion,<lb/> von einem Verkaufsgeſchäfte, einem Produzenten oder Händler mit der Abſicht erhoben<lb/> werden, daß er ſie auf den Konſumenten überwälze, und die direkten (Vermögens-, Ein-<lb/> kommen-, Perſonen-, Ertrags-, Grund-, Häuſer-, Gewerbeſteuern), welche der Inhaber<lb/> eines Einkommens oder Beſitzes direkt zahlt und tragen ſoll.</p><lb/> <p>Der größte Fortſchritt im Steuerweſen neben der Ausbildung des ſtaatsrechtlichen<lb/> Steuerhoheits- und des verfaſſungsmäßigen Steuerbewilligungsrechtes war der von den<lb/> Phyſiokraten und Ad. Smith begründete Gedanke, daß übermäßige und ungerechte<lb/> Steuern die Volkswirtſchaft bedrohen, daß eine ſtarke und reiche Regierung nur durch<lb/> Stärkung der Steuerkraft der Unterthanen herzuſtellen ſei. Bisher hatte man Steuern<lb/> erhoben, wo und wie es ging, wo man Geld fand oder zu finden glaubte. Nun erſt<lb/> begann die Forderung einer gerechten Beſteuerung, ein Verſuch, die Leiſtungsfähigkeit<lb/> zur Grundlage der gewöhnlichen Steuern zu machen, bei allen Steuern die volkswirt-<lb/> ſchaftlichen und ſocialen Nebenreſultate im Auge zu behalten, die Anforderungen der<lb/> praktiſchen Steuertechnik in richtige Verbindung mit den allgemeinen politiſchen und<lb/> rechtlichen Anforderungen der Steuerpolitik zu bringen, die Reichs-, Staats- und Kom-<lb/> munalſteuern richtig gegen einander abzugrenzen, die Geſamtſumme der Steuern immer<lb/> zu vergleichen mit dem Einkommen des Volkes und mit den Leiſtungen, die durch ſie<lb/> erreicht werden.</p><lb/> <p>In ſehr vielen und zwar den vorangeſchrittenſten Staaten ſind die Steuern<lb/> heute ſo zur hauptſächlichen Staatseinnahme geworden. Die Steuer und das Steuer-<lb/> ſyſtem jedes Staates iſt damit zugleich zu einem wichtigen Elemente der Volkswirtſchaft<lb/> geworden. Einmal dadurch, daß ihr Ergebnis, die Steuereinnahme, die ganze Staats-<lb/> verwaltung und ſo indirekt alles wirtſchaftliche Leben ermöglicht. Die Steuer entzieht<lb/> den Privatwirtſchaften beſtimmte Mittel, macht ſie um ſo viel ärmer, aber ſie giebt ſie<lb/> ihnen durch die Leiſtungen der Staatsverwaltung zurück, ſtützt und fördert ſie; natürlich<lb/> in dem Maße, wie letztere richtig verfährt. Außerdem aber üben alle Steuern und das<lb/> Steuerſyſtem durch die Art der Anlage die bedeutſamſten Wirkungen auf das wirtſchaft-<lb/> liche Leben im einzelnen aus. Die Zölle und indirekten Steuern wollen indirekt beſtimmte<lb/> Produktionen und Handelsgeſchäfte fördern oder erſchweren; auch wo ſie nicht dieſe Abſicht<lb/> haben, thun ſie es. Die direkten Steuern haben teilweiſe ähnliche Wirkungen; ſie haben<lb/> allerwärts die Feſtſtellung der Reinerträge und des Einkommens herbeigeführt; ſie treffen<lb/> die verſchiedenen Klaſſen nie ganz gleich. Alle Steueranlage wird von den Klaſſen-<lb/> intereſſen der herrſchenden beeinflußt; eine gerechte Regierung wird das zu vermeiden<lb/> ſuchen, es iſt aber nie ganz möglich. Die Steuergeſetzgebung bleibt immer bis auf einen<lb/> gewiſſen Grad ein Inſtrument der Einkommensverteilung. Man ſpricht heute von einer<lb/> kommenden Epoche der ſocialen Steuergerechtigkeit.</p><lb/> <p>Die Entwickelung der Steuer iſt ein Teil der Entwickelungsgeſchichte des Staates<lb/> in ſeinem Verhältnis zur Geſellſchaft, zu den Individualintereſſen. Indem das Geld-<lb/> ſteuerſyſtem ſich ausbildete, konnte der Staatshaushalt und das privatwirtſchaftliche<lb/> Leben ſich ſelbſtändig, je nach ihren beſonderen Tendenzen ausbilden; aber beide Teile des<lb/> nationalen Lebens blieben durch die Steuern, ihre Bewilligung, ihre Anlage doch in<lb/> engſter Verbindung. Mit den Steuern hat ſich die individuelle wirtſchaftliche Freiheit<lb/> und doch zugleich die moderne ſtaatswirtſchaftliche und ſociale Fürſorge der Regierung<lb/> für alles Wirtſchaftsleben entwickelt.</p><lb/> <p>Die Steuern können in einem Staate mit größerem Staatseigentume und<lb/> zunehmenden Staatsgewerben geringer ſein als in einem anderen; verſchwinden könnten<lb/> ſie nur in einem ſocialiſtiſchen Staate, der zugleich die individuelle wirtſchaftliche Frei-<lb/> heit, die Unternehmung, die privatwirtſchaftliche Preis- und Gewinnbildung aufhöbe.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [308/0324]
Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.
Heute beſteht in den meiſten Staaten ein kompliziertes Syſtem von Steuern;
einzelne ſind gebührenartig, andere verbinden ſich mit Staatsgewerben und ihrem Monopol,
werden in dem erhöhten Preiſe z. B. des Tabaks, der Eiſenbahntarife der Staatsbahnen
erhoben. Daneben unterſcheidet man die indirekten Steuern, welche, wie Zölle, Ver-
brauchs-, Aufwandſteuern, Steuern von der Bier-, Wein-, Branntwein-, Zuckerproduktion,
von einem Verkaufsgeſchäfte, einem Produzenten oder Händler mit der Abſicht erhoben
werden, daß er ſie auf den Konſumenten überwälze, und die direkten (Vermögens-, Ein-
kommen-, Perſonen-, Ertrags-, Grund-, Häuſer-, Gewerbeſteuern), welche der Inhaber
eines Einkommens oder Beſitzes direkt zahlt und tragen ſoll.
Der größte Fortſchritt im Steuerweſen neben der Ausbildung des ſtaatsrechtlichen
Steuerhoheits- und des verfaſſungsmäßigen Steuerbewilligungsrechtes war der von den
Phyſiokraten und Ad. Smith begründete Gedanke, daß übermäßige und ungerechte
Steuern die Volkswirtſchaft bedrohen, daß eine ſtarke und reiche Regierung nur durch
Stärkung der Steuerkraft der Unterthanen herzuſtellen ſei. Bisher hatte man Steuern
erhoben, wo und wie es ging, wo man Geld fand oder zu finden glaubte. Nun erſt
begann die Forderung einer gerechten Beſteuerung, ein Verſuch, die Leiſtungsfähigkeit
zur Grundlage der gewöhnlichen Steuern zu machen, bei allen Steuern die volkswirt-
ſchaftlichen und ſocialen Nebenreſultate im Auge zu behalten, die Anforderungen der
praktiſchen Steuertechnik in richtige Verbindung mit den allgemeinen politiſchen und
rechtlichen Anforderungen der Steuerpolitik zu bringen, die Reichs-, Staats- und Kom-
munalſteuern richtig gegen einander abzugrenzen, die Geſamtſumme der Steuern immer
zu vergleichen mit dem Einkommen des Volkes und mit den Leiſtungen, die durch ſie
erreicht werden.
In ſehr vielen und zwar den vorangeſchrittenſten Staaten ſind die Steuern
heute ſo zur hauptſächlichen Staatseinnahme geworden. Die Steuer und das Steuer-
ſyſtem jedes Staates iſt damit zugleich zu einem wichtigen Elemente der Volkswirtſchaft
geworden. Einmal dadurch, daß ihr Ergebnis, die Steuereinnahme, die ganze Staats-
verwaltung und ſo indirekt alles wirtſchaftliche Leben ermöglicht. Die Steuer entzieht
den Privatwirtſchaften beſtimmte Mittel, macht ſie um ſo viel ärmer, aber ſie giebt ſie
ihnen durch die Leiſtungen der Staatsverwaltung zurück, ſtützt und fördert ſie; natürlich
in dem Maße, wie letztere richtig verfährt. Außerdem aber üben alle Steuern und das
Steuerſyſtem durch die Art der Anlage die bedeutſamſten Wirkungen auf das wirtſchaft-
liche Leben im einzelnen aus. Die Zölle und indirekten Steuern wollen indirekt beſtimmte
Produktionen und Handelsgeſchäfte fördern oder erſchweren; auch wo ſie nicht dieſe Abſicht
haben, thun ſie es. Die direkten Steuern haben teilweiſe ähnliche Wirkungen; ſie haben
allerwärts die Feſtſtellung der Reinerträge und des Einkommens herbeigeführt; ſie treffen
die verſchiedenen Klaſſen nie ganz gleich. Alle Steueranlage wird von den Klaſſen-
intereſſen der herrſchenden beeinflußt; eine gerechte Regierung wird das zu vermeiden
ſuchen, es iſt aber nie ganz möglich. Die Steuergeſetzgebung bleibt immer bis auf einen
gewiſſen Grad ein Inſtrument der Einkommensverteilung. Man ſpricht heute von einer
kommenden Epoche der ſocialen Steuergerechtigkeit.
Die Entwickelung der Steuer iſt ein Teil der Entwickelungsgeſchichte des Staates
in ſeinem Verhältnis zur Geſellſchaft, zu den Individualintereſſen. Indem das Geld-
ſteuerſyſtem ſich ausbildete, konnte der Staatshaushalt und das privatwirtſchaftliche
Leben ſich ſelbſtändig, je nach ihren beſonderen Tendenzen ausbilden; aber beide Teile des
nationalen Lebens blieben durch die Steuern, ihre Bewilligung, ihre Anlage doch in
engſter Verbindung. Mit den Steuern hat ſich die individuelle wirtſchaftliche Freiheit
und doch zugleich die moderne ſtaatswirtſchaftliche und ſociale Fürſorge der Regierung
für alles Wirtſchaftsleben entwickelt.
Die Steuern können in einem Staate mit größerem Staatseigentume und
zunehmenden Staatsgewerben geringer ſein als in einem anderen; verſchwinden könnten
ſie nur in einem ſocialiſtiſchen Staate, der zugleich die individuelle wirtſchaftliche Frei-
heit, die Unternehmung, die privatwirtſchaftliche Preis- und Gewinnbildung aufhöbe.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |