Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.Zweites Buch. Die gesellschaftliche Verfassung der Volkswirtschaft. 1886 23; es hat also verstanden, seit 1815 seine Schulden zu vermindern. Frankreichhatte schon 1773 1700 Mill. Livres Schulden, machte dann wiederholt Bankerott; 1851 hatte es 5345 Mill., 1869 8782, 1887 21539 Mill. Francs Schulden; Preußens Staatsschuld betrug 1797 134, 1820 644, 1848 475, 1866 770, 1889--90 4457 Mill. Mark. Nach den Berechnungen Heckels über den neuesten Stand (1897--98) betrug in Millionen Mark [Tabelle] Wenn die größeren europäischen Staaten heute 12--38 % ihrer Einkünfte für 110. Die Finanzbehörden und die Schwierigkeit aller Finanz- Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft. 1886 23; es hat alſo verſtanden, ſeit 1815 ſeine Schulden zu vermindern. Frankreichhatte ſchon 1773 1700 Mill. Livres Schulden, machte dann wiederholt Bankerott; 1851 hatte es 5345 Mill., 1869 8782, 1887 21539 Mill. Francs Schulden; Preußens Staatsſchuld betrug 1797 134, 1820 644, 1848 475, 1866 770, 1889—90 4457 Mill. Mark. Nach den Berechnungen Heckels über den neueſten Stand (1897—98) betrug in Millionen Mark [Tabelle] Wenn die größeren europäiſchen Staaten heute 12—38 % ihrer Einkünfte für 110. Die Finanzbehörden und die Schwierigkeit aller Finanz- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0326" n="310"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.</fw><lb/> 1886 23; es hat alſo verſtanden, ſeit 1815 ſeine Schulden zu vermindern. Frankreich<lb/> hatte ſchon 1773 1700 Mill. Livres Schulden, machte dann wiederholt Bankerott;<lb/> 1851 hatte es 5345 Mill., 1869 8782, 1887 21539 Mill. Francs Schulden;<lb/> Preußens Staatsſchuld betrug 1797 134, 1820 644, 1848 475, 1866 770, 1889—90<lb/> 4457 Mill. Mark. 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Mit<lb/> und durch die Staatsſchulden haben ſich die Banken, die Börſen, die Formen des<lb/> Kreditverkehrs, hat ſich das Lebensverſicherungsgeſchäft entwickelt; durch die Schwierigkeit,<lb/> die Anlehen aufzubringen, iſt es den älteren Kreditvermittlern, wie Rothſchild, gelungen,<lb/> ein überfürſtliches Vermögen zu erwerben. Das ganze Verhältnis der Beſitzenden zu<lb/> den Nichtbeſitzenden iſt durch die Staatsſchulden ein anderes geworden. Hätte der Staat<lb/> ſtets, ſtatt Schulden zu machen, ſeine außerordentlichen Bedürfniſſe direkt durch Umlagen<lb/> gedeckt, ſo hätte er das nur mittelſt einer hohen Beſteuerung der Reicheren aufbringen<lb/> können. Indem er Anlehen aufnahm, gab er den beſitzenden Klaſſen die Gelegenheit<lb/> zu großen Kursgewinnen und bequemer Kapitalanlage, ſteigerte er immer wieder den<lb/> Zinsfuß und damit die Kapitalrente überhaupt; er verzinſte nun ſeinen Gläubigern<lb/> ihre Staatspapiere und deckte das durch Steuern, welche zwar auch die Reicheren, aber<lb/> neben ihnen die übrige Bevölkerung zahlen. Wären alle Bürger in gleichem Betrage<lb/> Gläubiger des Staates und Steuerzahler, ſo würde der Staat von jedem ſo viel<lb/> Steuern erheben, wie er Zinſen erhält, und die Schuldenverwaltung koſtet; die Koſten<lb/> der letzteren wären eine überflüſſige Mühe. Man thäte am beſten, Steuern und Zins<lb/> auf einmal niederzuſchlagen (Soetbeer). Nur die Ungleichheit der Teilnahme an Steuer<lb/> und Zins hindert das. Ohne die großen Staatsſchulden würde eine für die unteren<lb/> Klaſſen günſtigere Einkommensverteilung ſtattfinden. Und dieſe Thatſache wird etwas<lb/> gemildert, nicht aufgehoben, wenn die „Rente demokratiſiert“ wird, d. h. wenn kleinere<lb/> Staatsſchuldtitel auch bis in die mittleren und unteren Klaſſen eindringen, hier ganz<lb/> beſonders als geſicherte Kapitalanlage geſchätzt werden.</p><lb/> <p>110. <hi rendition="#g">Die Finanzbehörden und die Schwierigkeit aller Finanz-<lb/> verwaltung und ſtaatlichen Wirtſchaft</hi>. Die Verwaltung des Staats-<lb/> vermögens, der Steuern, der Staatsſchulden, ebenſo die von Staatsbanken, Staats-<lb/> eiſenbahnen, Staatspoſten, Staatsſchulen ꝛc. iſt nur möglich durch ein Syſtem einheitlich<lb/> organiſierter und disciplinierter Kräfte; ſie zu ſchaffen, zu richtiger Funktion zu bringen,<lb/> war ungemein ſchwer, wie wir ſchon einleitend (S. 281) erwähnten. Sie amtieren nicht,<lb/> wie die Menſchen in der Familie aus Zuneigung und Liebe, nicht, wie in der Unter-<lb/> nehmung aus bloßem Erwerbstrieb. Die pſychologiſche Grundlage iſt keine ſo einfache,<lb/> überall vorhandene, wie dort, ſondern eine komplizierte, aus Selbſtintereſſe, Ehr-, Standes-<lb/> und Pflichtgefühl, Sitten- und Rechtstraditionen gemiſchte. Die ſtaatlichen Behörden und<lb/> Ämter entſtehen langſam, die Finanzbehörden entwickeln ſich aus der allgemeinen Amts-,<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [310/0326]
Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.
1886 23; es hat alſo verſtanden, ſeit 1815 ſeine Schulden zu vermindern. Frankreich
hatte ſchon 1773 1700 Mill. Livres Schulden, machte dann wiederholt Bankerott;
1851 hatte es 5345 Mill., 1869 8782, 1887 21539 Mill. Francs Schulden;
Preußens Staatsſchuld betrug 1797 134, 1820 644, 1848 475, 1866 770, 1889—90
4457 Mill. Mark. Nach den Berechnungen Heckels über den neueſten Stand (1897—98)
betrug in Millionen Mark
Wenn die größeren europäiſchen Staaten heute 12—38 % ihrer Einkünfte für
die Staatsſchulden nötig haben, wenn von dem Geſamtbetrage der 55669 Mill. Mark
Effekten, die 1888 an der Berliner Börſe notiert wurden, 37653 auf Staats- und
Städteanleihen kamen, wenn man die ſämtlichen europäiſchen Staatsſchulden 1865—66
auf 66013, 1885—86 auf 100431 Mill. Mark ſchätzte (Kaufmann), ſo ſpringt aus
dieſen Zahlen die außerordentliche Bedeutung der Staatsſchulden in die Augen. Und
neben der finanziellen iſt die volkswirtſchaftliche und ſociale kaum minder groß. Mit
und durch die Staatsſchulden haben ſich die Banken, die Börſen, die Formen des
Kreditverkehrs, hat ſich das Lebensverſicherungsgeſchäft entwickelt; durch die Schwierigkeit,
die Anlehen aufzubringen, iſt es den älteren Kreditvermittlern, wie Rothſchild, gelungen,
ein überfürſtliches Vermögen zu erwerben. Das ganze Verhältnis der Beſitzenden zu
den Nichtbeſitzenden iſt durch die Staatsſchulden ein anderes geworden. Hätte der Staat
ſtets, ſtatt Schulden zu machen, ſeine außerordentlichen Bedürfniſſe direkt durch Umlagen
gedeckt, ſo hätte er das nur mittelſt einer hohen Beſteuerung der Reicheren aufbringen
können. Indem er Anlehen aufnahm, gab er den beſitzenden Klaſſen die Gelegenheit
zu großen Kursgewinnen und bequemer Kapitalanlage, ſteigerte er immer wieder den
Zinsfuß und damit die Kapitalrente überhaupt; er verzinſte nun ſeinen Gläubigern
ihre Staatspapiere und deckte das durch Steuern, welche zwar auch die Reicheren, aber
neben ihnen die übrige Bevölkerung zahlen. Wären alle Bürger in gleichem Betrage
Gläubiger des Staates und Steuerzahler, ſo würde der Staat von jedem ſo viel
Steuern erheben, wie er Zinſen erhält, und die Schuldenverwaltung koſtet; die Koſten
der letzteren wären eine überflüſſige Mühe. Man thäte am beſten, Steuern und Zins
auf einmal niederzuſchlagen (Soetbeer). Nur die Ungleichheit der Teilnahme an Steuer
und Zins hindert das. Ohne die großen Staatsſchulden würde eine für die unteren
Klaſſen günſtigere Einkommensverteilung ſtattfinden. Und dieſe Thatſache wird etwas
gemildert, nicht aufgehoben, wenn die „Rente demokratiſiert“ wird, d. h. wenn kleinere
Staatsſchuldtitel auch bis in die mittleren und unteren Klaſſen eindringen, hier ganz
beſonders als geſicherte Kapitalanlage geſchätzt werden.
110. Die Finanzbehörden und die Schwierigkeit aller Finanz-
verwaltung und ſtaatlichen Wirtſchaft. Die Verwaltung des Staats-
vermögens, der Steuern, der Staatsſchulden, ebenſo die von Staatsbanken, Staats-
eiſenbahnen, Staatspoſten, Staatsſchulen ꝛc. iſt nur möglich durch ein Syſtem einheitlich
organiſierter und disciplinierter Kräfte; ſie zu ſchaffen, zu richtiger Funktion zu bringen,
war ungemein ſchwer, wie wir ſchon einleitend (S. 281) erwähnten. Sie amtieren nicht,
wie die Menſchen in der Familie aus Zuneigung und Liebe, nicht, wie in der Unter-
nehmung aus bloßem Erwerbstrieb. Die pſychologiſche Grundlage iſt keine ſo einfache,
überall vorhandene, wie dort, ſondern eine komplizierte, aus Selbſtintereſſe, Ehr-, Standes-
und Pflichtgefühl, Sitten- und Rechtstraditionen gemiſchte. Die ſtaatlichen Behörden und
Ämter entſtehen langſam, die Finanzbehörden entwickeln ſich aus der allgemeinen Amts-,
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