Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.Gelernte und ungelernte Arbeiter. Liberale Berufe. vierter Stelle kommen dann die Arbeiter; die obere, wie mir scheint, größere Abteilungderselben, die gelernten und besser bezahlten Arbeiter, zu denen noch die höhere Schicht hausindustrieller Meister tritt, sind, wenn man so sagen darf, die heutigen Nachfolger des mittelalterlichen Handwerkerstandes; sie bilden mit den noch vorhandenen Hand- werkern und Kleinbauern die untere Hälfte des Mittelstandes. Die nichtgelernten, nicht arbeitsteilig specialisierten Arbeiter und Tagelöhner bilden eine sociale Klasse für sich; in früheren Epochen Sklaven oder Leibeigene, sind sie heute freie Arbeiter: ihr Zahlen- und ihr sonstiges Verhältnis zu den gelernten Arbeitern, zum Mittelstande und zur gewerblichen Aristokratie ist der Angelpunkt der heutigen socialen Entwickelung. 119. Die Arbeitsteilung der liberalen Berufe; die räumliche Das staatliche und Gemeindebeamtentum, der ärztliche, der Künstlerberuf, das Die ältere aristokratische Einrichtung der Nichtbezahlung hatte das für sich, daß Aber das Princip reichte schon im Altertume nicht aus, heute noch viel weniger. Als beim Übergang von der einfachen mittelalterlichen Gesellschaft in die komplizierte Schmoller, Grundriß der Volkswirtschaftslehre. I. 23
Gelernte und ungelernte Arbeiter. Liberale Berufe. vierter Stelle kommen dann die Arbeiter; die obere, wie mir ſcheint, größere Abteilungderſelben, die gelernten und beſſer bezahlten Arbeiter, zu denen noch die höhere Schicht hausinduſtrieller Meiſter tritt, ſind, wenn man ſo ſagen darf, die heutigen Nachfolger des mittelalterlichen Handwerkerſtandes; ſie bilden mit den noch vorhandenen Hand- werkern und Kleinbauern die untere Hälfte des Mittelſtandes. Die nichtgelernten, nicht arbeitsteilig ſpecialiſierten Arbeiter und Tagelöhner bilden eine ſociale Klaſſe für ſich; in früheren Epochen Sklaven oder Leibeigene, ſind ſie heute freie Arbeiter: ihr Zahlen- und ihr ſonſtiges Verhältnis zu den gelernten Arbeitern, zum Mittelſtande und zur gewerblichen Ariſtokratie iſt der Angelpunkt der heutigen ſocialen Entwickelung. 119. Die Arbeitsteilung der liberalen Berufe; die räumliche Das ſtaatliche und Gemeindebeamtentum, der ärztliche, der Künſtlerberuf, das Die ältere ariſtokratiſche Einrichtung der Nichtbezahlung hatte das für ſich, daß Aber das Princip reichte ſchon im Altertume nicht aus, heute noch viel weniger. Als beim Übergang von der einfachen mittelalterlichen Geſellſchaft in die komplizierte Schmoller, Grundriß der Volkswirtſchaftslehre. I. 23
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Das Eigentümliche ihrer Berufe liegt in dem Umſtande, daß viele dieſer<lb/> Thätigkeiten in älterer Zeit unbezahlte Nebenbeſchäftigung der Prieſter oder anderer<lb/> Ariſtokraten war, daß daneben aber früh der bezahlte Spielmann, Gaukler, Arzt,<lb/> Künſtler trat, daß aber die Formen und Grenzen dieſer Bezahlung ſo ſchwer zu finden<lb/> waren.</p><lb/> <p>Die ältere ariſtokratiſche Einrichtung der Nichtbezahlung hatte das für ſich, daß<lb/> dieſe höheren liberalen Thätigkeiten meiſt leiden, ſchlecht ausgeübt werden, wenn der<lb/> Gewinn ſie auslöſt. Sokrates verachtet die Sophiſten, die für den Unterricht ſich<lb/> bezahlen laſſen, als Krämer, welche mit den Gütern der Seele Handel treiben. Noch<lb/> heute giebt es viele hieher gehörige Handlungen und Dienſte, für welche der anſtändige<lb/> Mann nichts nimmt: der ganze unbezahlte Ehrendienſt in der Selbſtverwaltung gehört<lb/> hieher.</p><lb/> <p>Aber das Princip reichte ſchon im Altertume nicht aus, heute noch viel weniger.<lb/> Allerwärts entſtand mit der Geldwirtſchaft und höheren Arbeitsteilung die Bezahlung<lb/> der liberalen Thätigkeit; es drängten ſich dazu die Talente aus allen Klaſſen. Die<lb/> Folge war zunächſt in Griechenland und Rom ſchlimm genug. Wir ſehen in Athen<lb/> und Rom eine Schicht geld- und ruhmdürſtiger Elemente, deren Charakterloſigkeit,<lb/> Korruption und Gewinnſucht ſprichwörtlich wurde. Es waren Freigelaſſene, in Rom<lb/> hauptſächlich die einſtrömenden aſiatiſchen und griechiſchen Elemente, Leute, die ſich für<lb/> alles bezahlen ließen — für die ſchamloſeſten Künſte wie für guten ärztlichen Rat, die,<lb/> ohne feſte Vorbildung, ohne Standesehre, faſt als eine Eiterbeule der antiken Geſellſchaft<lb/> bezeichnet werden können.</p><lb/> <p>Als beim Übergang von der einfachen mittelalterlichen Geſellſchaft in die komplizierte<lb/> moderne, die unbezahlte Ariſtokratenarbeit des Klerikers und Patriciers ſich wieder in<lb/> ähnlicher Weiſe umwandelte in die demokratiſche Schreiber-, Gelehrten- und Künſtler-<lb/> thätigkeit, die nach Lohn geht, drohten ähnliche Gefahren. Man leſe die Schilderung<lb/> nach, die Burkhardt von dem fahrenden Gelehrten des 15. Jahrhunderts entwirft, man<lb/> erinnere ſich, wie heute noch vielfach Schauſpieler und Journaliſten ſich aus den Per-<lb/> ſonen rekrutieren, die moraliſch oder ſonſtwie in anderen Carrieren Schiffbruch gelitten.<lb/> Aber im ganzen hat die Entwickelung unſeres neueren Schul-, Studien-, Examenweſens,<lb/> auch das Vereinsweſen, die Ärztekammern mit ihren Ehrengerichten und anderes derart<lb/> die meiſten liberalen Berufe zu feſten Laufbahnen umgebildet, führt den einzelnen<lb/> Gruppen überwiegend homogene Elemente meiſt aus dem Mittelſtande zu, hat eine feſte<lb/> Standesehre, feſte Sitten und Gewohnheiten über Berufspflichten, ſichere Anſtands-<lb/> ſchranken des Gelderwerbes geſchaffen. Damit haben dieſe liberalen Berufe einen gänzlich<lb/> anderen Charakter erhalten, als ſie ihn (von den Prieſtern abgeſehen) früher hatten;<lb/> die Familien, welche ihre Söhne den liberalen Berufen widmen, ſind mehr oder weniger<lb/> eine ſociale Klaſſe für ſich geworden, die weniger durch Beſitz, als durch perſönliche<lb/> Eigenſchaften ſich auszeichnet, eine Klaſſe, die doch jedem Talentvollen offen ſteht, haupt-<lb/> <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Schmoller</hi>, Grundriß der Volkswirtſchaftslehre. <hi rendition="#aq">I.</hi> 23</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [353/0369]
Gelernte und ungelernte Arbeiter. Liberale Berufe.
vierter Stelle kommen dann die Arbeiter; die obere, wie mir ſcheint, größere Abteilung
derſelben, die gelernten und beſſer bezahlten Arbeiter, zu denen noch die höhere Schicht
hausinduſtrieller Meiſter tritt, ſind, wenn man ſo ſagen darf, die heutigen Nachfolger
des mittelalterlichen Handwerkerſtandes; ſie bilden mit den noch vorhandenen Hand-
werkern und Kleinbauern die untere Hälfte des Mittelſtandes. Die nichtgelernten, nicht
arbeitsteilig ſpecialiſierten Arbeiter und Tagelöhner bilden eine ſociale Klaſſe für ſich;
in früheren Epochen Sklaven oder Leibeigene, ſind ſie heute freie Arbeiter: ihr Zahlen-
und ihr ſonſtiges Verhältnis zu den gelernten Arbeitern, zum Mittelſtande und zur
gewerblichen Ariſtokratie iſt der Angelpunkt der heutigen ſocialen Entwickelung.
119. Die Arbeitsteilung der liberalen Berufe; die räumliche
Arbeitsteilung. Da wir im vorſtehenden ſchon faſt zu ausführlich waren, müſſen
wir über dieſe Teile oder Seiten der Arbeitsteilung uns mit wenigen Worten begnügen.
Das ſtaatliche und Gemeindebeamtentum, der ärztliche, der Künſtlerberuf, das
Lehrer- und Gelehrtentum, die Journaliſtik haben in unſeren neueren Volkswirtſchaften
eine ſteigende Ausdehnung, eine zunehmende Specialiſierung ihrer Thätigkeitsſphären
erhalten. Das Eigentümliche ihrer Berufe liegt in dem Umſtande, daß viele dieſer
Thätigkeiten in älterer Zeit unbezahlte Nebenbeſchäftigung der Prieſter oder anderer
Ariſtokraten war, daß daneben aber früh der bezahlte Spielmann, Gaukler, Arzt,
Künſtler trat, daß aber die Formen und Grenzen dieſer Bezahlung ſo ſchwer zu finden
waren.
Die ältere ariſtokratiſche Einrichtung der Nichtbezahlung hatte das für ſich, daß
dieſe höheren liberalen Thätigkeiten meiſt leiden, ſchlecht ausgeübt werden, wenn der
Gewinn ſie auslöſt. Sokrates verachtet die Sophiſten, die für den Unterricht ſich
bezahlen laſſen, als Krämer, welche mit den Gütern der Seele Handel treiben. Noch
heute giebt es viele hieher gehörige Handlungen und Dienſte, für welche der anſtändige
Mann nichts nimmt: der ganze unbezahlte Ehrendienſt in der Selbſtverwaltung gehört
hieher.
Aber das Princip reichte ſchon im Altertume nicht aus, heute noch viel weniger.
Allerwärts entſtand mit der Geldwirtſchaft und höheren Arbeitsteilung die Bezahlung
der liberalen Thätigkeit; es drängten ſich dazu die Talente aus allen Klaſſen. Die
Folge war zunächſt in Griechenland und Rom ſchlimm genug. Wir ſehen in Athen
und Rom eine Schicht geld- und ruhmdürſtiger Elemente, deren Charakterloſigkeit,
Korruption und Gewinnſucht ſprichwörtlich wurde. Es waren Freigelaſſene, in Rom
hauptſächlich die einſtrömenden aſiatiſchen und griechiſchen Elemente, Leute, die ſich für
alles bezahlen ließen — für die ſchamloſeſten Künſte wie für guten ärztlichen Rat, die,
ohne feſte Vorbildung, ohne Standesehre, faſt als eine Eiterbeule der antiken Geſellſchaft
bezeichnet werden können.
Als beim Übergang von der einfachen mittelalterlichen Geſellſchaft in die komplizierte
moderne, die unbezahlte Ariſtokratenarbeit des Klerikers und Patriciers ſich wieder in
ähnlicher Weiſe umwandelte in die demokratiſche Schreiber-, Gelehrten- und Künſtler-
thätigkeit, die nach Lohn geht, drohten ähnliche Gefahren. Man leſe die Schilderung
nach, die Burkhardt von dem fahrenden Gelehrten des 15. Jahrhunderts entwirft, man
erinnere ſich, wie heute noch vielfach Schauſpieler und Journaliſten ſich aus den Per-
ſonen rekrutieren, die moraliſch oder ſonſtwie in anderen Carrieren Schiffbruch gelitten.
Aber im ganzen hat die Entwickelung unſeres neueren Schul-, Studien-, Examenweſens,
auch das Vereinsweſen, die Ärztekammern mit ihren Ehrengerichten und anderes derart
die meiſten liberalen Berufe zu feſten Laufbahnen umgebildet, führt den einzelnen
Gruppen überwiegend homogene Elemente meiſt aus dem Mittelſtande zu, hat eine feſte
Standesehre, feſte Sitten und Gewohnheiten über Berufspflichten, ſichere Anſtands-
ſchranken des Gelderwerbes geſchaffen. Damit haben dieſe liberalen Berufe einen gänzlich
anderen Charakter erhalten, als ſie ihn (von den Prieſtern abgeſehen) früher hatten;
die Familien, welche ihre Söhne den liberalen Berufen widmen, ſind mehr oder weniger
eine ſociale Klaſſe für ſich geworden, die weniger durch Beſitz, als durch perſönliche
Eigenſchaften ſich auszeichnet, eine Klaſſe, die doch jedem Talentvollen offen ſteht, haupt-
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