Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.Die geographische Arbeitsteilung. ihrer Handelsplätze und Ackerbaudistrikte; die intensivste Arbeitsteilung setzt stets staatlicheZusammengehörigkeit voraus, wie umgekehrt jede staatliche Zusammengehörigkeit mit der Zeit darauf hinarbeitet, daß die politisch verbundenen Teile auch durch eine erhebliche wirtschaftliche Arbeitsteilung verknüpft werden. Alle moderne nationale Wirtschafts- und Schutzzollpolitik beruht darauf. Daneben aber greift dieselbe Tendenz der lokalen Arbeitsteilung doch notwendig über die einzelnen Staaten hinaus; erst befreundete und benachbarte, später alle civilisierten Länder kommen mit einander in Verkehr auf Grund völkerrechtlicher Abmachungen und handelspolitischer Verträge (vergl. S. 286--287). Aus der interlokalen wird die internationale Arbeitsteilung; aus den Nationalwirtschaften hat sich neuerdings die Weltwirtschaft entwickelt, die ihr Ideal im allgemeinen Weltfrieden und im Siege des Freihandels hat. Die beiden Tendenzen der nationalen und der internationalen Arbeitsteilung gehen gleichberechtigt nebeneinander her; so oft sie sich auch bekämpfen, müssen sie immer wieder die den realen Verhältnissen angepaßten Kompromisse schließen. Für Deutschland sehen wir hauptsächlich seit dem 15. Jahrhundert die interlokale Heute stellt jedes größere Land ein um so ausgebildeteres System räumlicher 23*
Die geographiſche Arbeitsteilung. ihrer Handelsplätze und Ackerbaudiſtrikte; die intenſivſte Arbeitsteilung ſetzt ſtets ſtaatlicheZuſammengehörigkeit voraus, wie umgekehrt jede ſtaatliche Zuſammengehörigkeit mit der Zeit darauf hinarbeitet, daß die politiſch verbundenen Teile auch durch eine erhebliche wirtſchaftliche Arbeitsteilung verknüpft werden. Alle moderne nationale Wirtſchafts- und Schutzzollpolitik beruht darauf. Daneben aber greift dieſelbe Tendenz der lokalen Arbeitsteilung doch notwendig über die einzelnen Staaten hinaus; erſt befreundete und benachbarte, ſpäter alle civiliſierten Länder kommen mit einander in Verkehr auf Grund völkerrechtlicher Abmachungen und handelspolitiſcher Verträge (vergl. S. 286—287). Aus der interlokalen wird die internationale Arbeitsteilung; aus den Nationalwirtſchaften hat ſich neuerdings die Weltwirtſchaft entwickelt, die ihr Ideal im allgemeinen Weltfrieden und im Siege des Freihandels hat. Die beiden Tendenzen der nationalen und der internationalen Arbeitsteilung gehen gleichberechtigt nebeneinander her; ſo oft ſie ſich auch bekämpfen, müſſen ſie immer wieder die den realen Verhältniſſen angepaßten Kompromiſſe ſchließen. Für Deutſchland ſehen wir hauptſächlich ſeit dem 15. Jahrhundert die interlokale Heute ſtellt jedes größere Land ein um ſo ausgebildeteres Syſtem räumlicher 23*
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0371" n="355"/><fw place="top" type="header">Die geographiſche Arbeitsteilung.</fw><lb/> ihrer Handelsplätze und Ackerbaudiſtrikte; die intenſivſte Arbeitsteilung ſetzt ſtets ſtaatliche<lb/> Zuſammengehörigkeit voraus, wie umgekehrt jede ſtaatliche Zuſammengehörigkeit mit der<lb/> Zeit darauf hinarbeitet, daß die politiſch verbundenen Teile auch durch eine erhebliche<lb/> wirtſchaftliche Arbeitsteilung verknüpft werden. Alle moderne nationale Wirtſchafts-<lb/> und Schutzzollpolitik beruht darauf. Daneben aber greift dieſelbe Tendenz der lokalen<lb/> Arbeitsteilung doch notwendig über die einzelnen Staaten hinaus; erſt befreundete und<lb/> benachbarte, ſpäter alle civiliſierten Länder kommen mit einander in Verkehr auf Grund<lb/> völkerrechtlicher Abmachungen und handelspolitiſcher Verträge (vergl. S. 286—287). Aus<lb/> der interlokalen wird die internationale Arbeitsteilung; aus den Nationalwirtſchaften hat<lb/> ſich neuerdings die Weltwirtſchaft entwickelt, die ihr Ideal im allgemeinen Weltfrieden<lb/> und im Siege des Freihandels hat. Die beiden Tendenzen der nationalen und der<lb/> internationalen Arbeitsteilung gehen gleichberechtigt nebeneinander her; ſo oft ſie ſich<lb/> auch bekämpfen, müſſen ſie immer wieder die den realen Verhältniſſen angepaßten<lb/> Kompromiſſe ſchließen.</p><lb/> <p>Für Deutſchland ſehen wir hauptſächlich ſeit dem 15. Jahrhundert die interlokale<lb/> Teilung zwiſchen verſchiedenen Städten und Gegenden eintreten. Die früher allerwärts<lb/> blühende Tuchinduſtrie konzentriert ſich auf beſtimmte Orte, an den anderen geht ſie<lb/> zurück. Zur ſelben Zeit fängt die Ulmer und Augsburger Barchentweberei, die Nürn-<lb/> berger Metallinduſtrie, die Solinger Klingeninduſtrie, die Baſeler Papierinduſtrie an,<lb/> mehr für andere Städte als für den lokalen Markt zu arbeiten, wie es ſchon früher<lb/> die flandriſche und niederrheiniſche Tuchinduſtrie gethan. Die Meſſen, auf denen dieſe<lb/> interlokale Arbeitsteilung ihre Produkte tauſcht, werden für Deutſchland von 1500 bis<lb/> 1800 ſo wichtig wie früher die lokalen Wochen- und Jahrmärkte. Für viele Orte<lb/> bedeutete dieſer Umbildungsprozeß einen unwiederbringlichen Verluſt; zahlreiche kleine<lb/> Städte ſind von da an zurückgegangen; Klagen darüber treffen wir daher auch in<lb/> Deutſchland wie in England ſeit dem 16. Jahrhundert. Die ältere gewerbliche Uni-<lb/> verſalität jeder Stadt war für immer verloren, wo und inſoweit dieſe interlokale<lb/> Arbeitsteilung ſiegte. Roſchers Unterſuchungen über den Standort der einzelnen Induſtrie-<lb/> zweige enthalten im weſentlichen den Nachweis, daß in älterer Zeit die meiſten Gewerbe<lb/> nur an dem Orte des Abſatzes gediehen, ſpäter an entfernteren Orten mit beſtimmten<lb/> Produktionsvorteilen. Seine zahlreichen Beiſpiele enthalten hauptſächlich Beweiſe der<lb/> Verſchiebung der Standorte innerhalb desſelben Landes.</p><lb/> <p>Heute ſtellt jedes größere Land ein um ſo ausgebildeteres Syſtem räumlicher<lb/> Arbeitsteilung dar, je ausgebauter ſein Verkehrsweſen, je abſchließender ſeine Handels-<lb/> politik iſt. In der Hauptſtadt konzentriert ſich heute mehr als früher die Central-<lb/> regierung, die Kunſt, die Litteratur, die großen Kreditgeſchäfte; in den großen Hafen-<lb/> plätzen konzentriert ſich mehr als früher alle Aus- und Einfuhr, ſchon weil ſie allein<lb/> die beſten Docks, Lagerhäuſer und Freihafeneinrichtungen haben, weil hieher die fremden<lb/> Beſteller am meiſten kommen. Aus Hunderten von kleineren Getreide- und Viehhandels-<lb/> plätzen werden einige wenige gut gelegene große, wie in Deutſchland Danzig, Berlin<lb/> und Mannheim. Während früher jede Stadt Wall und Graben hatte, übernehmen<lb/> jetzt wenige große Feſtungen den Schutz des ganzen Staates. Wie die Landes- und<lb/> Reichshauptſtadt, ſo wachſen die Provinzialhauptſtädte durch die Konzentration der<lb/> Provinzialverwaltung, durch die provinziellen Anſtalten, Sammlungen und Schulen.<lb/> An <hi rendition="#g">einer</hi> Stelle werden die Irren oder Kranken beſtimmter Art für eine Provinz oder<lb/> einen Bezirk verpflegt, die früher zerſtreut waren. Die einzelnen Städte bilden ſich<lb/> mehr und mehr zu ſtädtiſchen Specialitäten aus (vergl. S. 273). In wenigen Punkten<lb/> oder Gegenden konzentrieren ſich die großen Induſtrien des Maſchinenbaues, der Spinnerei,<lb/> der Weberei, der Gerberei, der Eiſenverhüttung, der Zuckerinduſtrie für den ganzen<lb/> Staat. Hier ſind Fachſchulen, Techniker, Maſchinenbau, Arbeiterbevölkerung darauf ein-<lb/> gerichtet, Verkehr und Kreditorganiſation paßt ſich den ſpeciellen Bedürfniſſen an. Den<lb/> Anſtoß hiezu haben die verſchiedenartigſten Urſachen gegeben: Gunſt der Natur, Ein-<lb/> wanderung von Gewerbsleuten, ältere verwandte Induſtrien, beſondere Pflege; meiſt<lb/> reichen die Keime Jahrhunderte zurück; aber während an anderen Orten die ähnlichen<lb/> <fw place="bottom" type="sig">23*</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [355/0371]
Die geographiſche Arbeitsteilung.
ihrer Handelsplätze und Ackerbaudiſtrikte; die intenſivſte Arbeitsteilung ſetzt ſtets ſtaatliche
Zuſammengehörigkeit voraus, wie umgekehrt jede ſtaatliche Zuſammengehörigkeit mit der
Zeit darauf hinarbeitet, daß die politiſch verbundenen Teile auch durch eine erhebliche
wirtſchaftliche Arbeitsteilung verknüpft werden. Alle moderne nationale Wirtſchafts-
und Schutzzollpolitik beruht darauf. Daneben aber greift dieſelbe Tendenz der lokalen
Arbeitsteilung doch notwendig über die einzelnen Staaten hinaus; erſt befreundete und
benachbarte, ſpäter alle civiliſierten Länder kommen mit einander in Verkehr auf Grund
völkerrechtlicher Abmachungen und handelspolitiſcher Verträge (vergl. S. 286—287). Aus
der interlokalen wird die internationale Arbeitsteilung; aus den Nationalwirtſchaften hat
ſich neuerdings die Weltwirtſchaft entwickelt, die ihr Ideal im allgemeinen Weltfrieden
und im Siege des Freihandels hat. Die beiden Tendenzen der nationalen und der
internationalen Arbeitsteilung gehen gleichberechtigt nebeneinander her; ſo oft ſie ſich
auch bekämpfen, müſſen ſie immer wieder die den realen Verhältniſſen angepaßten
Kompromiſſe ſchließen.
Für Deutſchland ſehen wir hauptſächlich ſeit dem 15. Jahrhundert die interlokale
Teilung zwiſchen verſchiedenen Städten und Gegenden eintreten. Die früher allerwärts
blühende Tuchinduſtrie konzentriert ſich auf beſtimmte Orte, an den anderen geht ſie
zurück. Zur ſelben Zeit fängt die Ulmer und Augsburger Barchentweberei, die Nürn-
berger Metallinduſtrie, die Solinger Klingeninduſtrie, die Baſeler Papierinduſtrie an,
mehr für andere Städte als für den lokalen Markt zu arbeiten, wie es ſchon früher
die flandriſche und niederrheiniſche Tuchinduſtrie gethan. Die Meſſen, auf denen dieſe
interlokale Arbeitsteilung ihre Produkte tauſcht, werden für Deutſchland von 1500 bis
1800 ſo wichtig wie früher die lokalen Wochen- und Jahrmärkte. Für viele Orte
bedeutete dieſer Umbildungsprozeß einen unwiederbringlichen Verluſt; zahlreiche kleine
Städte ſind von da an zurückgegangen; Klagen darüber treffen wir daher auch in
Deutſchland wie in England ſeit dem 16. Jahrhundert. Die ältere gewerbliche Uni-
verſalität jeder Stadt war für immer verloren, wo und inſoweit dieſe interlokale
Arbeitsteilung ſiegte. Roſchers Unterſuchungen über den Standort der einzelnen Induſtrie-
zweige enthalten im weſentlichen den Nachweis, daß in älterer Zeit die meiſten Gewerbe
nur an dem Orte des Abſatzes gediehen, ſpäter an entfernteren Orten mit beſtimmten
Produktionsvorteilen. Seine zahlreichen Beiſpiele enthalten hauptſächlich Beweiſe der
Verſchiebung der Standorte innerhalb desſelben Landes.
Heute ſtellt jedes größere Land ein um ſo ausgebildeteres Syſtem räumlicher
Arbeitsteilung dar, je ausgebauter ſein Verkehrsweſen, je abſchließender ſeine Handels-
politik iſt. In der Hauptſtadt konzentriert ſich heute mehr als früher die Central-
regierung, die Kunſt, die Litteratur, die großen Kreditgeſchäfte; in den großen Hafen-
plätzen konzentriert ſich mehr als früher alle Aus- und Einfuhr, ſchon weil ſie allein
die beſten Docks, Lagerhäuſer und Freihafeneinrichtungen haben, weil hieher die fremden
Beſteller am meiſten kommen. Aus Hunderten von kleineren Getreide- und Viehhandels-
plätzen werden einige wenige gut gelegene große, wie in Deutſchland Danzig, Berlin
und Mannheim. Während früher jede Stadt Wall und Graben hatte, übernehmen
jetzt wenige große Feſtungen den Schutz des ganzen Staates. Wie die Landes- und
Reichshauptſtadt, ſo wachſen die Provinzialhauptſtädte durch die Konzentration der
Provinzialverwaltung, durch die provinziellen Anſtalten, Sammlungen und Schulen.
An einer Stelle werden die Irren oder Kranken beſtimmter Art für eine Provinz oder
einen Bezirk verpflegt, die früher zerſtreut waren. Die einzelnen Städte bilden ſich
mehr und mehr zu ſtädtiſchen Specialitäten aus (vergl. S. 273). In wenigen Punkten
oder Gegenden konzentrieren ſich die großen Induſtrien des Maſchinenbaues, der Spinnerei,
der Weberei, der Gerberei, der Eiſenverhüttung, der Zuckerinduſtrie für den ganzen
Staat. Hier ſind Fachſchulen, Techniker, Maſchinenbau, Arbeiterbevölkerung darauf ein-
gerichtet, Verkehr und Kreditorganiſation paßt ſich den ſpeciellen Bedürfniſſen an. Den
Anſtoß hiezu haben die verſchiedenartigſten Urſachen gegeben: Gunſt der Natur, Ein-
wanderung von Gewerbsleuten, ältere verwandte Induſtrien, beſondere Pflege; meiſt
reichen die Keime Jahrhunderte zurück; aber während an anderen Orten die ähnlichen
23*
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |