Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.Zweites Buch. Die gesellschaftliche Verfassung der Volkswirtschaft. einschieben. Ich erinnere nur an den Ausspruch J. St. Mills, daß neun Zehntel derenglischen Detailhändler entbehrt werden könnten, und an die von Roscher beigefügte Anmerkung, die Übersetzung des englischen Detailhandels erzeuge jährlich Bankerotte im Betrage von 40 Millionen Pfund Sterling. Aber solche Unvollkommenheiten liegen in der Schwierigkeit des Problems. Sie beweisen nichts gegen die Beherrschung der Arbeits- teilung durch eine immer verständigere und immer vollkommenere gesellschaftliche Ordnung. Diese Ordnung wird durch geistig-moralische Faktoren erzeugt, sie besteht in ein- 122. Die gesellschaftlichen und individuellen Folgen der Arbeits- Die Arbeitsteilung ist das große Instrument des Kulturfortschrittes, des größeren Nur durch die Arbeitsteilung haben wir Denker und Dichter, Künstler und Tech- Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft. einſchieben. Ich erinnere nur an den Ausſpruch J. St. Mills, daß neun Zehntel derengliſchen Detailhändler entbehrt werden könnten, und an die von Roſcher beigefügte Anmerkung, die Überſetzung des engliſchen Detailhandels erzeuge jährlich Bankerotte im Betrage von 40 Millionen Pfund Sterling. Aber ſolche Unvollkommenheiten liegen in der Schwierigkeit des Problems. Sie beweiſen nichts gegen die Beherrſchung der Arbeits- teilung durch eine immer verſtändigere und immer vollkommenere geſellſchaftliche Ordnung. Dieſe Ordnung wird durch geiſtig-moraliſche Faktoren erzeugt, ſie beſteht in ein- 122. Die geſellſchaftlichen und individuellen Folgen der Arbeits- Die Arbeitsteilung iſt das große Inſtrument des Kulturfortſchrittes, des größeren Nur durch die Arbeitsteilung haben wir Denker und Dichter, Künſtler und Tech- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0380" n="364"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.</fw><lb/> einſchieben. Ich erinnere nur an den Ausſpruch J. St. Mills, daß neun Zehntel der<lb/> engliſchen Detailhändler entbehrt werden könnten, und an die von Roſcher beigefügte<lb/> Anmerkung, die Überſetzung des engliſchen Detailhandels erzeuge jährlich Bankerotte im<lb/> Betrage von 40 Millionen Pfund Sterling. Aber ſolche Unvollkommenheiten liegen in<lb/> der Schwierigkeit des Problems. Sie beweiſen nichts gegen die Beherrſchung der Arbeits-<lb/> teilung durch eine immer verſtändigere und immer vollkommenere geſellſchaftliche Ordnung.</p><lb/> <p>Dieſe Ordnung wird durch geiſtig-moraliſche Faktoren erzeugt, ſie beſteht in ein-<lb/> zelnen Teilen aus der leicht umbildſamen Sitte, in anderen aus dem ſtarren und feſten<lb/> Rechte; ſie iſt teilweiſe durch Befehle und Geſetze von oben her gemacht, teilweiſe durch<lb/> Anpaſſungen, freie Verträge, ſowie Gewohnheiten der Beteiligten von unten her ent-<lb/> ſtanden. Jedenfalls fehlen in ihr nie gewiſſe einheitliche Tendenzen, gewiſſe geiſtig-<lb/> ſittliche Faktoren, Vorſtellungen über das, was gut, recht und billig ſei. Immer ſind,<lb/> auch wo die Ordnung zunächſt eine unvollkommene iſt, die Anläufe und Anſätze vor-<lb/> handen, um aus den Härten und Unvollkommenheiten, aus dem zeit- und ſtellenweiſen<lb/> Mangel an Harmonie herauszukommen zu beſſeren Einrichtungen.</p><lb/> <p>122. <hi rendition="#g">Die geſellſchaftlichen und individuellen Folgen der Arbeits-<lb/> teilung</hi> haben wir in den bisherigen Betrachtungen über ihre Urſachen und Be-<lb/> dingungen teilweiſe ſchon berühren müſſen; auf einzelne andere Folgen, z. B. die<lb/> Eigentumsverteilung und ſociale Klaſſenbildung, kommen wir in den folgenden Kapiteln.<lb/> Hier iſt aber doch noch kurz auf den Kern derſelben einzugehen: was hat die Arbeits-<lb/> teilung geſchaffen, was hat ſie aus Geſellſchaft und Individuen gemacht, was hat ſie<lb/> ihnen genützt und geſchadet?</p><lb/> <p>Die Arbeitsteilung iſt das große Inſtrument des Kulturfortſchrittes, des größeren<lb/> Wohlſtandes, der größeren und beſſeren Arbeitsleiſtung. Da die beſchränkte menſchliche<lb/> Kraft da mehr leiſtet, wo ſie nach ihrer Eigentümlichkeit hinpaßt, da die Ausführung<lb/> immer ſchwierigerer geiſtiger und techniſcher Aufgaben ſtets eher den für ſie ausgewählten,<lb/> auf ſie eingeſchulten Kräften gelingt, ſo muß mit der Arbeitsteilung immer Größeres<lb/> mit geringerem Aufwande erreicht werden. Arbeitsteilung iſt wirtſchaftlichere Aus-<lb/> führung aller Arbeit, iſt Krafterſparnis. Die Lebensenergie nimmt zu in dem Maße,<lb/> wie die Funktionen ſich ſpecialiſieren; die Specialiſierung der geſellſchaftlichen Organe<lb/> bedeutet beſſere Anpaſſung, höhere Funktion, ſichereren Effekt. Indem das geſellſchaftliche<lb/> Syſtem der ineinander gepaßten Thätigkeiten jedem das zuweiſt, wozu ihn ſeine Geiſtes-<lb/> und Körperkräfte, ſeine Raſſen- und Familieneigenſchaften, ſeine Erziehung und ſeine<lb/> Schickſale, ſeine Gewohnheiten und ſein Alter, ſein Geſchlecht und ſein Geſundheitszuſtand<lb/> beſonders befähigen, indem dieſe verſchiedenen Thätigkeiten immer geſchickter ineinander<lb/> gefügt werden, müſſen die Leiſtungen der Geſamtheit immer vollkommenere und größere<lb/> werden. In der iſolierten Wirtſchaft des Individuums findet eine ungeheure Kraft-<lb/> verſchwendung ſtatt; zu jeder Stunde muß wieder anderes gethan werden; die Hemmung<lb/> und Reibung verbraucht den größeren Teil der Kraft; der Erfolg iſt ein minimaler<lb/> gegenüber der geteilten und geſellſchaftlich richtig geordneten Arbeit. Die kurze Lebens-<lb/> dauer und der geringe Umfang der individuellen Kräfte erlauben eine beſſere Ausbildung<lb/> der geiſtigen und körperlichen Fähigkeiten nur auf beſchränktem Gebiete.</p><lb/> <p>Nur durch die Arbeitsteilung haben wir Denker und Dichter, Künſtler und Tech-<lb/> niker, geſchickte Handwerker und beſſere Ackerbauer erhalten; aller geiſtige und techniſche,<lb/> aller politiſche und organiſatoriſche Fortſchritt beruht auf ihr. Selbſt der mittelmäßig<lb/> Begabte erlangt durch jahrelange Übung virtuoſe Fähigkeiten; der Talentvolle erlangt<lb/> durch eine Erziehung und Einſchulung in einem beſtimmten Berufe körperliche und<lb/> geiſtige Fähigkeiten, die ans Wunderbare grenzen. Die Gewöhnung des Geiſtes und<lb/> der Aufmerkſamkeit, der Nerven und Muskeln an beſtimmte Funktionen erzeugt nun<lb/> eine leichtere Auslöſung der betreffenden Thätigkeit; ſie geſchieht zuletzt automatiſch, läßt<lb/> die geiſtige, bisher auf ſie verwendete Kraft zur Verfolgung weiterer damit in Zuſammen-<lb/> hang ſtehender Arbeitszwecke frei. Die ſteigende Geſchicklichkeit arbeitsteilig thätiger<lb/> Menſchen beruht weſentlich auf der Möglichkeit, bei derſelben Arbeit eine Reihe von<lb/> Geſichtspunkten zugleich und in richtiger Verbindung zu verfolgen. Was die Talente<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [364/0380]
Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.
einſchieben. Ich erinnere nur an den Ausſpruch J. St. Mills, daß neun Zehntel der
engliſchen Detailhändler entbehrt werden könnten, und an die von Roſcher beigefügte
Anmerkung, die Überſetzung des engliſchen Detailhandels erzeuge jährlich Bankerotte im
Betrage von 40 Millionen Pfund Sterling. Aber ſolche Unvollkommenheiten liegen in
der Schwierigkeit des Problems. Sie beweiſen nichts gegen die Beherrſchung der Arbeits-
teilung durch eine immer verſtändigere und immer vollkommenere geſellſchaftliche Ordnung.
Dieſe Ordnung wird durch geiſtig-moraliſche Faktoren erzeugt, ſie beſteht in ein-
zelnen Teilen aus der leicht umbildſamen Sitte, in anderen aus dem ſtarren und feſten
Rechte; ſie iſt teilweiſe durch Befehle und Geſetze von oben her gemacht, teilweiſe durch
Anpaſſungen, freie Verträge, ſowie Gewohnheiten der Beteiligten von unten her ent-
ſtanden. Jedenfalls fehlen in ihr nie gewiſſe einheitliche Tendenzen, gewiſſe geiſtig-
ſittliche Faktoren, Vorſtellungen über das, was gut, recht und billig ſei. Immer ſind,
auch wo die Ordnung zunächſt eine unvollkommene iſt, die Anläufe und Anſätze vor-
handen, um aus den Härten und Unvollkommenheiten, aus dem zeit- und ſtellenweiſen
Mangel an Harmonie herauszukommen zu beſſeren Einrichtungen.
122. Die geſellſchaftlichen und individuellen Folgen der Arbeits-
teilung haben wir in den bisherigen Betrachtungen über ihre Urſachen und Be-
dingungen teilweiſe ſchon berühren müſſen; auf einzelne andere Folgen, z. B. die
Eigentumsverteilung und ſociale Klaſſenbildung, kommen wir in den folgenden Kapiteln.
Hier iſt aber doch noch kurz auf den Kern derſelben einzugehen: was hat die Arbeits-
teilung geſchaffen, was hat ſie aus Geſellſchaft und Individuen gemacht, was hat ſie
ihnen genützt und geſchadet?
Die Arbeitsteilung iſt das große Inſtrument des Kulturfortſchrittes, des größeren
Wohlſtandes, der größeren und beſſeren Arbeitsleiſtung. Da die beſchränkte menſchliche
Kraft da mehr leiſtet, wo ſie nach ihrer Eigentümlichkeit hinpaßt, da die Ausführung
immer ſchwierigerer geiſtiger und techniſcher Aufgaben ſtets eher den für ſie ausgewählten,
auf ſie eingeſchulten Kräften gelingt, ſo muß mit der Arbeitsteilung immer Größeres
mit geringerem Aufwande erreicht werden. Arbeitsteilung iſt wirtſchaftlichere Aus-
führung aller Arbeit, iſt Krafterſparnis. Die Lebensenergie nimmt zu in dem Maße,
wie die Funktionen ſich ſpecialiſieren; die Specialiſierung der geſellſchaftlichen Organe
bedeutet beſſere Anpaſſung, höhere Funktion, ſichereren Effekt. Indem das geſellſchaftliche
Syſtem der ineinander gepaßten Thätigkeiten jedem das zuweiſt, wozu ihn ſeine Geiſtes-
und Körperkräfte, ſeine Raſſen- und Familieneigenſchaften, ſeine Erziehung und ſeine
Schickſale, ſeine Gewohnheiten und ſein Alter, ſein Geſchlecht und ſein Geſundheitszuſtand
beſonders befähigen, indem dieſe verſchiedenen Thätigkeiten immer geſchickter ineinander
gefügt werden, müſſen die Leiſtungen der Geſamtheit immer vollkommenere und größere
werden. In der iſolierten Wirtſchaft des Individuums findet eine ungeheure Kraft-
verſchwendung ſtatt; zu jeder Stunde muß wieder anderes gethan werden; die Hemmung
und Reibung verbraucht den größeren Teil der Kraft; der Erfolg iſt ein minimaler
gegenüber der geteilten und geſellſchaftlich richtig geordneten Arbeit. Die kurze Lebens-
dauer und der geringe Umfang der individuellen Kräfte erlauben eine beſſere Ausbildung
der geiſtigen und körperlichen Fähigkeiten nur auf beſchränktem Gebiete.
Nur durch die Arbeitsteilung haben wir Denker und Dichter, Künſtler und Tech-
niker, geſchickte Handwerker und beſſere Ackerbauer erhalten; aller geiſtige und techniſche,
aller politiſche und organiſatoriſche Fortſchritt beruht auf ihr. Selbſt der mittelmäßig
Begabte erlangt durch jahrelange Übung virtuoſe Fähigkeiten; der Talentvolle erlangt
durch eine Erziehung und Einſchulung in einem beſtimmten Berufe körperliche und
geiſtige Fähigkeiten, die ans Wunderbare grenzen. Die Gewöhnung des Geiſtes und
der Aufmerkſamkeit, der Nerven und Muskeln an beſtimmte Funktionen erzeugt nun
eine leichtere Auslöſung der betreffenden Thätigkeit; ſie geſchieht zuletzt automatiſch, läßt
die geiſtige, bisher auf ſie verwendete Kraft zur Verfolgung weiterer damit in Zuſammen-
hang ſtehender Arbeitszwecke frei. Die ſteigende Geſchicklichkeit arbeitsteilig thätiger
Menſchen beruht weſentlich auf der Möglichkeit, bei derſelben Arbeit eine Reihe von
Geſichtspunkten zugleich und in richtiger Verbindung zu verfolgen. Was die Talente
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