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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Die älteste Grundeigentumsverfassung, einschließlich der der antiken Welt.
Agrarverfassung immer weniger durchführbar waren. Alle besseren Ackerbauer, oft auch
die kleinen, fürchteten bei solchen Maßregeln mehr zu verlieren, als zu gewinnen. Und
vollends die größeren Vieh- und Grundbesitzer stemmten sich mit Energie gegen die
Neuverteilung. Sie hatten stets die Gemeinweiden stärker in Anspruch genommen, sie
hatten, wie wir von den Römern wissen, vom eroberten Lande größere Striche occupiert,
auch durch Kauf ihre Besitzungen abgerundet; die billige Sklavenarbeit und die höhere
landwirtschaftliche Technik der großen Besitzer begünstigte diese in Judäa, in Griechen-
land und Italien gleichmäßig sich vollziehende Bewegung einer raschen Ansammlung
großen Grundeigentums.

M. Weber hat uns in einer geistreichen Untersuchung zu zeigen gesucht, wie an
Stelle der alten römischen Hufenverfassung mit Feldgemeinschaft die Großgrundbesitzer,
welche zugleich Kaufleute waren, die unbedingte Freiheit des Bodenverkehrs herbeiführten,
wie sie die Kleinbesitzer bewucherten, die neuen Eroberungen freilich teilweise mit den
nach Land hungrigen Kleinbesitzern teilten, im ganzen aber doch vor allem für sich
auf dem ager publicus freie Beweidung und Occupation mit einer niemals seither
wieder erreichten Nacktheit des Klassenegoismus durchsetzten. Sie haben die Landansprüche
der kleinen Leute immer wieder zu hemmen, die Gesetzes- und Verwaltungsanläufe nach
dieser Richtung zu nichte zu machen gewußt. Sie haben so zu dem Zustande geführt,
den der große Historiker mit den lapidaren Worten bezeichnet: latifundia perdidere
Romam.
Sechs Personen besaßen die Provinz Afrika. In dem späteren Stadium
hätten Landteilungen auch nichts mehr genützt; sie hätten aus verlumpten städtischen
Proletariern keine Bauern mehr machen können.

Wenn so die glänzendste, wirtschaftlich tüchtigste Aristokratie der Welt durch
Freiheit des Grundeigentums, Wucher, Eroberung, Sklavenwirtschaft, Spekulation und
harten Egoismus ihren Reichtum vergiftete, so endeten sie doch als Grundherren, die
ihren halbfreien Kolonen das Land überlassen mußten, weil die Sklavenwirtschaft zu
teuer wurde. Damit entstand eine neue, wieder gesundere Verteilung des Grundeigen-
tums, wie sie die Regierung, weder die patricische der späteren Republik, noch die demo-
kratische des Principats, unmöglich hätte durchführen können. Die Aufgabe einer plötzlichen
Neuverteilung des Grundeigentums wird in Ländern alter Kultur, dichter Bevölkerung
immer weniger durchführbar.

Wo in späterer Zeit und in größeren Staaten die Rechtsvorstellung vom Eigen-
tume des Staates an allem Grund und Boden wieder auftritt, da hat sie nie wieder
so weitgehende Resultate erzeugt wie in Ägypten und Peru; es war ja in den größeren,
komplizierteren Staaten der späteren Zeit auch unendlich viel schwieriger, sie praktisch
durchzuführen. So verflüchtigte sie sich z. B. im Islam frühe in ein Besteuerungsrecht
des Staates, oder sie wurde, wie im normannischen Lehnsstaate, zu einem allgemeinen
Rechte des Staates, die Besitzordnung zu regulieren. In dieser Form aber ist sie auch
später und bis heute immer wieder aufgetreten, und steht ihr eine fernere Zukunft bevor.
Die zwei Tendenzen 1. eines zunehmenden Individualeigentums am Grund und Boden
im Interesse des technischen Fortschrittes und im Anschluß an die Eigenschaften wirt-
schaftlicher Tüchtigkeit und technischer Fähigkeit und 2. die Unterordnung alles Privat-
eigentums, seiner Größe, seiner Veräußerlichkeit, Verschuldbarkeit und Vererblichkeit
unter die Gesamtinteressen des Staates haben immer wieder sich vertragen müssen, in
irgend welcher Form wieder Kompromisse geschlossen.

126. Die Ausbildung des neueren kleinen und großen Grund-
eigentums
. Wir haben oben die Ausbildung der westeuropäisch-mittelalterlichen
Dorfgenossenschaft und der Grundherrschaft geschildert (S. 287--293). Damit hängt die
Grundeigentumsentwickelung aufs engste zusammen; sie begreift eine ältere, stärkere,
auf kleine und mittlere Ackernahrungen gerichtete und eine spätere, aristokratische, den
größeren Besitz erzeugende Bewegung in sich.

In sämtlichen germanischen Staaten finden wir, daß mit der Seßhaftigkeit, dem
Siege des Ackerbaues, ganz überwiegend Landbesitzungen und Höfe entstehen, welche den
Zweck haben, eine Familie von 5--18 Personen zu ernähren und zu beschäftigen, sie

Die älteſte Grundeigentumsverfaſſung, einſchließlich der der antiken Welt.
Agrarverfaſſung immer weniger durchführbar waren. Alle beſſeren Ackerbauer, oft auch
die kleinen, fürchteten bei ſolchen Maßregeln mehr zu verlieren, als zu gewinnen. Und
vollends die größeren Vieh- und Grundbeſitzer ſtemmten ſich mit Energie gegen die
Neuverteilung. Sie hatten ſtets die Gemeinweiden ſtärker in Anſpruch genommen, ſie
hatten, wie wir von den Römern wiſſen, vom eroberten Lande größere Striche occupiert,
auch durch Kauf ihre Beſitzungen abgerundet; die billige Sklavenarbeit und die höhere
landwirtſchaftliche Technik der großen Beſitzer begünſtigte dieſe in Judäa, in Griechen-
land und Italien gleichmäßig ſich vollziehende Bewegung einer raſchen Anſammlung
großen Grundeigentums.

M. Weber hat uns in einer geiſtreichen Unterſuchung zu zeigen geſucht, wie an
Stelle der alten römiſchen Hufenverfaſſung mit Feldgemeinſchaft die Großgrundbeſitzer,
welche zugleich Kaufleute waren, die unbedingte Freiheit des Bodenverkehrs herbeiführten,
wie ſie die Kleinbeſitzer bewucherten, die neuen Eroberungen freilich teilweiſe mit den
nach Land hungrigen Kleinbeſitzern teilten, im ganzen aber doch vor allem für ſich
auf dem ager publicus freie Beweidung und Occupation mit einer niemals ſeither
wieder erreichten Nacktheit des Klaſſenegoismus durchſetzten. Sie haben die Landanſprüche
der kleinen Leute immer wieder zu hemmen, die Geſetzes- und Verwaltungsanläufe nach
dieſer Richtung zu nichte zu machen gewußt. Sie haben ſo zu dem Zuſtande geführt,
den der große Hiſtoriker mit den lapidaren Worten bezeichnet: latifundia perdidere
Romam.
Sechs Perſonen beſaßen die Provinz Afrika. In dem ſpäteren Stadium
hätten Landteilungen auch nichts mehr genützt; ſie hätten aus verlumpten ſtädtiſchen
Proletariern keine Bauern mehr machen können.

Wenn ſo die glänzendſte, wirtſchaftlich tüchtigſte Ariſtokratie der Welt durch
Freiheit des Grundeigentums, Wucher, Eroberung, Sklavenwirtſchaft, Spekulation und
harten Egoismus ihren Reichtum vergiftete, ſo endeten ſie doch als Grundherren, die
ihren halbfreien Kolonen das Land überlaſſen mußten, weil die Sklavenwirtſchaft zu
teuer wurde. Damit entſtand eine neue, wieder geſundere Verteilung des Grundeigen-
tums, wie ſie die Regierung, weder die patriciſche der ſpäteren Republik, noch die demo-
kratiſche des Principats, unmöglich hätte durchführen können. Die Aufgabe einer plötzlichen
Neuverteilung des Grundeigentums wird in Ländern alter Kultur, dichter Bevölkerung
immer weniger durchführbar.

Wo in ſpäterer Zeit und in größeren Staaten die Rechtsvorſtellung vom Eigen-
tume des Staates an allem Grund und Boden wieder auftritt, da hat ſie nie wieder
ſo weitgehende Reſultate erzeugt wie in Ägypten und Peru; es war ja in den größeren,
komplizierteren Staaten der ſpäteren Zeit auch unendlich viel ſchwieriger, ſie praktiſch
durchzuführen. So verflüchtigte ſie ſich z. B. im Islam frühe in ein Beſteuerungsrecht
des Staates, oder ſie wurde, wie im normanniſchen Lehnsſtaate, zu einem allgemeinen
Rechte des Staates, die Beſitzordnung zu regulieren. In dieſer Form aber iſt ſie auch
ſpäter und bis heute immer wieder aufgetreten, und ſteht ihr eine fernere Zukunft bevor.
Die zwei Tendenzen 1. eines zunehmenden Individualeigentums am Grund und Boden
im Intereſſe des techniſchen Fortſchrittes und im Anſchluß an die Eigenſchaften wirt-
ſchaftlicher Tüchtigkeit und techniſcher Fähigkeit und 2. die Unterordnung alles Privat-
eigentums, ſeiner Größe, ſeiner Veräußerlichkeit, Verſchuldbarkeit und Vererblichkeit
unter die Geſamtintereſſen des Staates haben immer wieder ſich vertragen müſſen, in
irgend welcher Form wieder Kompromiſſe geſchloſſen.

126. Die Ausbildung des neueren kleinen und großen Grund-
eigentums
. Wir haben oben die Ausbildung der weſteuropäiſch-mittelalterlichen
Dorfgenoſſenſchaft und der Grundherrſchaft geſchildert (S. 287—293). Damit hängt die
Grundeigentumsentwickelung aufs engſte zuſammen; ſie begreift eine ältere, ſtärkere,
auf kleine und mittlere Ackernahrungen gerichtete und eine ſpätere, ariſtokratiſche, den
größeren Beſitz erzeugende Bewegung in ſich.

In ſämtlichen germaniſchen Staaten finden wir, daß mit der Seßhaftigkeit, dem
Siege des Ackerbaues, ganz überwiegend Landbeſitzungen und Höfe entſtehen, welche den
Zweck haben, eine Familie von 5—18 Perſonen zu ernähren und zu beſchäftigen, ſie

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[373/0389] Die älteſte Grundeigentumsverfaſſung, einſchließlich der der antiken Welt. Agrarverfaſſung immer weniger durchführbar waren. Alle beſſeren Ackerbauer, oft auch die kleinen, fürchteten bei ſolchen Maßregeln mehr zu verlieren, als zu gewinnen. Und vollends die größeren Vieh- und Grundbeſitzer ſtemmten ſich mit Energie gegen die Neuverteilung. Sie hatten ſtets die Gemeinweiden ſtärker in Anſpruch genommen, ſie hatten, wie wir von den Römern wiſſen, vom eroberten Lande größere Striche occupiert, auch durch Kauf ihre Beſitzungen abgerundet; die billige Sklavenarbeit und die höhere landwirtſchaftliche Technik der großen Beſitzer begünſtigte dieſe in Judäa, in Griechen- land und Italien gleichmäßig ſich vollziehende Bewegung einer raſchen Anſammlung großen Grundeigentums. M. Weber hat uns in einer geiſtreichen Unterſuchung zu zeigen geſucht, wie an Stelle der alten römiſchen Hufenverfaſſung mit Feldgemeinſchaft die Großgrundbeſitzer, welche zugleich Kaufleute waren, die unbedingte Freiheit des Bodenverkehrs herbeiführten, wie ſie die Kleinbeſitzer bewucherten, die neuen Eroberungen freilich teilweiſe mit den nach Land hungrigen Kleinbeſitzern teilten, im ganzen aber doch vor allem für ſich auf dem ager publicus freie Beweidung und Occupation mit einer niemals ſeither wieder erreichten Nacktheit des Klaſſenegoismus durchſetzten. Sie haben die Landanſprüche der kleinen Leute immer wieder zu hemmen, die Geſetzes- und Verwaltungsanläufe nach dieſer Richtung zu nichte zu machen gewußt. Sie haben ſo zu dem Zuſtande geführt, den der große Hiſtoriker mit den lapidaren Worten bezeichnet: latifundia perdidere Romam. Sechs Perſonen beſaßen die Provinz Afrika. In dem ſpäteren Stadium hätten Landteilungen auch nichts mehr genützt; ſie hätten aus verlumpten ſtädtiſchen Proletariern keine Bauern mehr machen können. Wenn ſo die glänzendſte, wirtſchaftlich tüchtigſte Ariſtokratie der Welt durch Freiheit des Grundeigentums, Wucher, Eroberung, Sklavenwirtſchaft, Spekulation und harten Egoismus ihren Reichtum vergiftete, ſo endeten ſie doch als Grundherren, die ihren halbfreien Kolonen das Land überlaſſen mußten, weil die Sklavenwirtſchaft zu teuer wurde. Damit entſtand eine neue, wieder geſundere Verteilung des Grundeigen- tums, wie ſie die Regierung, weder die patriciſche der ſpäteren Republik, noch die demo- kratiſche des Principats, unmöglich hätte durchführen können. Die Aufgabe einer plötzlichen Neuverteilung des Grundeigentums wird in Ländern alter Kultur, dichter Bevölkerung immer weniger durchführbar. Wo in ſpäterer Zeit und in größeren Staaten die Rechtsvorſtellung vom Eigen- tume des Staates an allem Grund und Boden wieder auftritt, da hat ſie nie wieder ſo weitgehende Reſultate erzeugt wie in Ägypten und Peru; es war ja in den größeren, komplizierteren Staaten der ſpäteren Zeit auch unendlich viel ſchwieriger, ſie praktiſch durchzuführen. So verflüchtigte ſie ſich z. B. im Islam frühe in ein Beſteuerungsrecht des Staates, oder ſie wurde, wie im normanniſchen Lehnsſtaate, zu einem allgemeinen Rechte des Staates, die Beſitzordnung zu regulieren. In dieſer Form aber iſt ſie auch ſpäter und bis heute immer wieder aufgetreten, und ſteht ihr eine fernere Zukunft bevor. Die zwei Tendenzen 1. eines zunehmenden Individualeigentums am Grund und Boden im Intereſſe des techniſchen Fortſchrittes und im Anſchluß an die Eigenſchaften wirt- ſchaftlicher Tüchtigkeit und techniſcher Fähigkeit und 2. die Unterordnung alles Privat- eigentums, ſeiner Größe, ſeiner Veräußerlichkeit, Verſchuldbarkeit und Vererblichkeit unter die Geſamtintereſſen des Staates haben immer wieder ſich vertragen müſſen, in irgend welcher Form wieder Kompromiſſe geſchloſſen. 126. Die Ausbildung des neueren kleinen und großen Grund- eigentums. Wir haben oben die Ausbildung der weſteuropäiſch-mittelalterlichen Dorfgenoſſenſchaft und der Grundherrſchaft geſchildert (S. 287—293). Damit hängt die Grundeigentumsentwickelung aufs engſte zuſammen; ſie begreift eine ältere, ſtärkere, auf kleine und mittlere Ackernahrungen gerichtete und eine ſpätere, ariſtokratiſche, den größeren Beſitz erzeugende Bewegung in ſich. In ſämtlichen germaniſchen Staaten finden wir, daß mit der Seßhaftigkeit, dem Siege des Ackerbaues, ganz überwiegend Landbeſitzungen und Höfe entſtehen, welche den Zweck haben, eine Familie von 5—18 Perſonen zu ernähren und zu beſchäftigen, ſie

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 373. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/389>, abgerufen am 22.11.2024.