Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.Individualität und Gesamtinteresse, Reform und Revolution in der Eigentumsordnung. die ganze Gesellschaftsverfassung beherrschende Einrichtung wie das Eigentum müsse aufeinen einzigen Gedanken sich historisch oder begrifflich zurückführen lassen. Sie über- sehen, daß das Wesen des Eigentums sich nur erschöpft in den gesamten vielgestaltigen socialen und wirtschaftlichen Institutionen, in den gesamten Beziehungen zwischen Individuum und Staat, in den großen historischen Veränderungen, welche die darauf bezüglichen Einrichtungen durchgemacht haben und immer wieder durchmachen. Das private und das öffentliche Eigentum sind entstanden und gewachsen in dem Damit soll nicht behauptet werden, die Widersprüche zwischen Ideal und harter 6. Die gesellschaftliche Klassenbildung. Allgemeines: Ferguson, Versuch über die Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft. 1768. -- Bensen, Die Proletarier. 1847. -- A. Widmann, Die Gesetze der socialen Bewegung. 1851. -- Riehl, Die bürgerliche Gesellschaft. 1851 ff. -- Mundt, Geschichte der Gesellschaft. 1856. -- v. Stein, Gesellschaftslehre. 1856. -- Roßbach, Geschichte der Gesellschaft. 8 Bde. 1868--1875. -- H. Spencer, Principien der Sociologie. 4 Bde. Deutsch 1877 ff. -- Schäffle, Bau und Leben Individualität und Geſamtintereſſe, Reform und Revolution in der Eigentumsordnung. die ganze Geſellſchaftsverfaſſung beherrſchende Einrichtung wie das Eigentum müſſe aufeinen einzigen Gedanken ſich hiſtoriſch oder begrifflich zurückführen laſſen. Sie über- ſehen, daß das Weſen des Eigentums ſich nur erſchöpft in den geſamten vielgeſtaltigen ſocialen und wirtſchaftlichen Inſtitutionen, in den geſamten Beziehungen zwiſchen Individuum und Staat, in den großen hiſtoriſchen Veränderungen, welche die darauf bezüglichen Einrichtungen durchgemacht haben und immer wieder durchmachen. Das private und das öffentliche Eigentum ſind entſtanden und gewachſen in dem Damit ſoll nicht behauptet werden, die Widerſprüche zwiſchen Ideal und harter 6. Die geſellſchaftliche Klaſſenbildung. Allgemeines: Ferguſon, Verſuch über die Geſchichte der bürgerlichen Geſellſchaft. 1768. — Benſen, Die Proletarier. 1847. — A. Widmann, Die Geſetze der ſocialen Bewegung. 1851. — Riehl, Die bürgerliche Geſellſchaft. 1851 ff. — Mundt, Geſchichte der Geſellſchaft. 1856. — v. Stein, Geſellſchaftslehre. 1856. — Roßbach, Geſchichte der Geſellſchaft. 8 Bde. 1868—1875. — H. Spencer, Principien der Sociologie. 4 Bde. Deutſch 1877 ff. — Schäffle, Bau und Leben <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0407" n="391"/><fw place="top" type="header">Individualität und Geſamtintereſſe, Reform und Revolution in der Eigentumsordnung.</fw><lb/> die ganze Geſellſchaftsverfaſſung beherrſchende Einrichtung wie das Eigentum müſſe auf<lb/> einen einzigen Gedanken ſich hiſtoriſch oder begrifflich zurückführen laſſen. Sie über-<lb/> ſehen, daß das Weſen des Eigentums ſich nur erſchöpft in den geſamten vielgeſtaltigen<lb/> ſocialen und wirtſchaftlichen Inſtitutionen, in den geſamten Beziehungen zwiſchen<lb/> Individuum und Staat, in den großen hiſtoriſchen Veränderungen, welche die darauf<lb/> bezüglichen Einrichtungen durchgemacht haben und immer wieder durchmachen.</p><lb/> <p>Das private und das öffentliche Eigentum ſind entſtanden und gewachſen in dem<lb/> Maße, wie das Individuum und die geſellſchaftlichen Organe ſich ausbildeten. Der<lb/> Schutz des nach den Anſchauungen der Zeit wohlerworbenen Eigentums wurde die Vor-<lb/> ausſetzung des Friedens in der Geſellſchaft, der höheren Geſittung, der komplizierteren<lb/> auf Arbeitsteilung und Geldverkehr beruhenden Verfaſſung. Gewiß konnten die Gerichte<lb/> und eine ſtets unvollkommen bleibende Geſetzgebung nicht jeden unrechten Erwerb<lb/> hindern; jeder verjährte Beſitz mußte als unangreifbar hingeſtellt werden, ſollte nicht<lb/> ein Rückfall in barbariſche Roheit eintreten. So konnten immer wieder zeitweiſe<lb/> ungeſunde Eigentumsverhältniſſe entſtehen; und niemals iſt auch eine an ſich geſunde<lb/> Eigentumsverteilung von allen als ſolche gleichmäßig anerkannt worden. Wo große<lb/> Veränderungen der Technik, der geſellſchaftlichen Organiſation einzelne oder ganze Klaſſen<lb/> emporhoben, andere herabdrückten, entſtand immer wieder die Frage, iſt das Reſultat<lb/> der veränderten Eigentumsverteilung ein gutes, ein gerechtes? Wo ungerechte Privilegien<lb/> und Vorrechte ſich zu lange hielten, blieb auch der Sturm der Revolution nicht aus<lb/> und ſuchte kühn und plötzlich in das beſtehende Eigentum einzugreifen und zu beſſern.<lb/> Meiſt nicht mit gutem Erfolg für die Bedrückten, häufig nur zu Gunſten weniger.<lb/> Jedenfalls nur in ganz rohen und einfachen Zuſtänden konnten Neuverteilungen des<lb/> Bodens z. B. denen zum Segen gereichen, die ſo ausgeſtattet wurden. Oft wurden<lb/> durch gewaltſame Ausbrüche, durch Beraubungen der Beſitzenden, durch Schulderlaſſe<lb/> und Ähnliches die Zuſtände ſchlimmer als vorher, wurde durch ſie die Kultur des<lb/> betreffenden Volkes begraben.</p><lb/> <p>Damit ſoll nicht behauptet werden, die Widerſprüche zwiſchen Ideal und harter<lb/> Wirklichkeit ließen ſich immer friedlich löſen. Auch die Eigentumsordnung kommt<lb/> zeitweiſe an Punkte, wo die Friedensdämme brechen, und für die veränderten Strömungen<lb/> neue Dämme der Ordnung im Sturm der Revolution gebaut werden müſſen. Aber<lb/> auch in ſolchen Stürmen wird der Neubau nur gelingen, wenn ein genialer Diktator<lb/> den entfeſſelten Gewalten Halt gebietet, die neuen Eigentumslinien unter Schonung des<lb/> Beſtehenden zieht. Beſſer wird die Reform meiſt durchgeführt, wenn eine feſte monarchiſche<lb/> Gewalt ſie in die Hand nimmt, dabei die Pole alles geſellſchaftlichen Lebens, Einzel-<lb/> und Geſamtintereſſen, gleichmäßig und als das wichtigſte Ziel das im Auge behält,<lb/> daß nicht ſowohl die plötzliche Beſſerung, als die künftig gerechtere Neuordnung der<lb/> Eigentumsverteilung anzuſtreben ſei. Keine irdiſche Gewalt kann jemals direkt eine<lb/> ganz gerechte Verteilung herbeiführen, ſie erhalten, ſie immer von neuem herbeiführen.<lb/> Nicht die direkten, ſondern die indirekten Wege führen, wie ſo oft, auch hier zum Ziele.<lb/> Die Rechtsordnung muß verſittlicht, die Zugänge zum Eigentum, die rechtlich zuläſſigen<lb/> Erwerbsarten müſſen ſo geordnet werden, daß daraus eine beſſere Eigentumsverteilung<lb/> nach und nach von ſelbſt entſteht. Nicht im Umſturz des beſtehenden Rechtes, ſondern<lb/> in der praktiſchen, auf das Mögliche gerichteten, an die beſſeren Triebe der Menſchen,<lb/> an die beſſere Sitte appellierenden, von großen Idealen geleiteten Reformarbeit im<lb/> einzelnen liegt das Ziel. Alles vorhandene Eigentum iſt dabei heilig zu halten.</p> </div><lb/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">6. 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Individualität und Geſamtintereſſe, Reform und Revolution in der Eigentumsordnung.
die ganze Geſellſchaftsverfaſſung beherrſchende Einrichtung wie das Eigentum müſſe auf
einen einzigen Gedanken ſich hiſtoriſch oder begrifflich zurückführen laſſen. Sie über-
ſehen, daß das Weſen des Eigentums ſich nur erſchöpft in den geſamten vielgeſtaltigen
ſocialen und wirtſchaftlichen Inſtitutionen, in den geſamten Beziehungen zwiſchen
Individuum und Staat, in den großen hiſtoriſchen Veränderungen, welche die darauf
bezüglichen Einrichtungen durchgemacht haben und immer wieder durchmachen.
Das private und das öffentliche Eigentum ſind entſtanden und gewachſen in dem
Maße, wie das Individuum und die geſellſchaftlichen Organe ſich ausbildeten. Der
Schutz des nach den Anſchauungen der Zeit wohlerworbenen Eigentums wurde die Vor-
ausſetzung des Friedens in der Geſellſchaft, der höheren Geſittung, der komplizierteren
auf Arbeitsteilung und Geldverkehr beruhenden Verfaſſung. Gewiß konnten die Gerichte
und eine ſtets unvollkommen bleibende Geſetzgebung nicht jeden unrechten Erwerb
hindern; jeder verjährte Beſitz mußte als unangreifbar hingeſtellt werden, ſollte nicht
ein Rückfall in barbariſche Roheit eintreten. So konnten immer wieder zeitweiſe
ungeſunde Eigentumsverhältniſſe entſtehen; und niemals iſt auch eine an ſich geſunde
Eigentumsverteilung von allen als ſolche gleichmäßig anerkannt worden. Wo große
Veränderungen der Technik, der geſellſchaftlichen Organiſation einzelne oder ganze Klaſſen
emporhoben, andere herabdrückten, entſtand immer wieder die Frage, iſt das Reſultat
der veränderten Eigentumsverteilung ein gutes, ein gerechtes? Wo ungerechte Privilegien
und Vorrechte ſich zu lange hielten, blieb auch der Sturm der Revolution nicht aus
und ſuchte kühn und plötzlich in das beſtehende Eigentum einzugreifen und zu beſſern.
Meiſt nicht mit gutem Erfolg für die Bedrückten, häufig nur zu Gunſten weniger.
Jedenfalls nur in ganz rohen und einfachen Zuſtänden konnten Neuverteilungen des
Bodens z. B. denen zum Segen gereichen, die ſo ausgeſtattet wurden. Oft wurden
durch gewaltſame Ausbrüche, durch Beraubungen der Beſitzenden, durch Schulderlaſſe
und Ähnliches die Zuſtände ſchlimmer als vorher, wurde durch ſie die Kultur des
betreffenden Volkes begraben.
Damit ſoll nicht behauptet werden, die Widerſprüche zwiſchen Ideal und harter
Wirklichkeit ließen ſich immer friedlich löſen. Auch die Eigentumsordnung kommt
zeitweiſe an Punkte, wo die Friedensdämme brechen, und für die veränderten Strömungen
neue Dämme der Ordnung im Sturm der Revolution gebaut werden müſſen. Aber
auch in ſolchen Stürmen wird der Neubau nur gelingen, wenn ein genialer Diktator
den entfeſſelten Gewalten Halt gebietet, die neuen Eigentumslinien unter Schonung des
Beſtehenden zieht. Beſſer wird die Reform meiſt durchgeführt, wenn eine feſte monarchiſche
Gewalt ſie in die Hand nimmt, dabei die Pole alles geſellſchaftlichen Lebens, Einzel-
und Geſamtintereſſen, gleichmäßig und als das wichtigſte Ziel das im Auge behält,
daß nicht ſowohl die plötzliche Beſſerung, als die künftig gerechtere Neuordnung der
Eigentumsverteilung anzuſtreben ſei. Keine irdiſche Gewalt kann jemals direkt eine
ganz gerechte Verteilung herbeiführen, ſie erhalten, ſie immer von neuem herbeiführen.
Nicht die direkten, ſondern die indirekten Wege führen, wie ſo oft, auch hier zum Ziele.
Die Rechtsordnung muß verſittlicht, die Zugänge zum Eigentum, die rechtlich zuläſſigen
Erwerbsarten müſſen ſo geordnet werden, daß daraus eine beſſere Eigentumsverteilung
nach und nach von ſelbſt entſteht. Nicht im Umſturz des beſtehenden Rechtes, ſondern
in der praktiſchen, auf das Mögliche gerichteten, an die beſſeren Triebe der Menſchen,
an die beſſere Sitte appellierenden, von großen Idealen geleiteten Reformarbeit im
einzelnen liegt das Ziel. Alles vorhandene Eigentum iſt dabei heilig zu halten.
6. Die geſellſchaftliche Klaſſenbildung.
Allgemeines: Ferguſon, Verſuch über die Geſchichte der bürgerlichen Geſellſchaft. 1768. —
Benſen, Die Proletarier. 1847. — A. Widmann, Die Geſetze der ſocialen Bewegung. 1851. —
Riehl, Die bürgerliche Geſellſchaft. 1851 ff. — Mundt, Geſchichte der Geſellſchaft. 1856. —
v. Stein, Geſellſchaftslehre. 1856. — Roßbach, Geſchichte der Geſellſchaft. 8 Bde. 1868—1875. —
H. Spencer, Principien der Sociologie. 4 Bde. Deutſch 1877 ff. — Schäffle, Bau und Leben
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