Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.Klassenorganisation und Vereinsfreiheit. Nur kurzsichtige oder Klassenregierungen können die Gefahren übersehen, die da Diese Tendenzen sind aber nicht ganz zu hindern, weil sie doch einen gewissen wirt- Das sind die Gesichtspunkte, von denen aus heute das Vereins- und Korporations- Nicht die naturrechtlichen Fiktionen und vagen Hoffnungen, daß jede Vereinsfreiheit 137. Schlußbetrachtung über die sociale Klassenbildung. Wie "Auf dem Gesetz der Arbeitsteilung," sagt Engels, "beruht die Teilung der Klaſſenorganiſation und Vereinsfreiheit. Nur kurzſichtige oder Klaſſenregierungen können die Gefahren überſehen, die da Dieſe Tendenzen ſind aber nicht ganz zu hindern, weil ſie doch einen gewiſſen wirt- Das ſind die Geſichtspunkte, von denen aus heute das Vereins- und Korporations- Nicht die naturrechtlichen Fiktionen und vagen Hoffnungen, daß jede Vereinsfreiheit 137. Schlußbetrachtung über die ſociale Klaſſenbildung. Wie „Auf dem Geſetz der Arbeitsteilung,“ ſagt Engels, „beruht die Teilung der <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0425" n="409"/> <fw place="top" type="header">Klaſſenorganiſation und Vereinsfreiheit.</fw><lb/> <p>Nur kurzſichtige oder Klaſſenregierungen können die Gefahren überſehen, die da<lb/> drohen: eine uneingeſchränkte Vereins-, Aſſociations-, Korporationsfreiheit muß, ſoweit<lb/> ſie dieſen Klaſſen zu gute kommt, mit der Klaſſenherrſchaft endigen, wie ſie das ſtets<lb/> that, wenn man die oberen Klaſſen ſich ganz frei organiſieren ließ.</p><lb/> <p>Dieſe Tendenzen ſind aber nicht ganz zu hindern, weil ſie doch einen gewiſſen wirt-<lb/> ſchaftlich-techniſchen und organiſatoriſchen Fortſchritt bedeuten; die großen Erwerbsgeſell-<lb/> ſchaften, die Ringe, die Handelskammern und andere Verbände haben — in den richtigen<lb/> Schranken gehalten — viele gute Folgen. Man braucht heute wirtſchaftliche Intereſſen-<lb/> vertretungen, alſo muß man ſie dulden und fördern, aber im Geſamtintereſſe gewiſſen<lb/> Kontrollen und Schranken unterwerfen. Und man muß zugleich als Gegengewicht die<lb/> Arbeiterverbände ſich entwickeln laſſen, natürlich auch innerhalb feſter ſtaatlicher Ord-<lb/> nungen und Kontrollen. Verfährt man dabei richtig, ſo werden nicht bloß die Gefahren<lb/> der Klaſſenorganiſation vermieden, ſondern es wird zugleich damit das ſittliche und<lb/> wirtſchaftliche Aufſteigen der Arbeiterklaſſe befördert. Die Arbeiter bedürfen heute eines<lb/> ausgebildeten Vereinsweſens, nur durch ein ſolches werden ſie dem heutigen Staate richtig<lb/> eingefügt, mit der Regierung und den oberen Klaſſen verſöhnt. All’ das wird aber<lb/> gehindert durch eine kurzſichtige Unterdrückungspolitik.</p><lb/> <p>Das ſind die Geſichtspunkte, von denen aus heute das Vereins- und Korporations-<lb/> recht, ſoweit es die ſocialen Klaſſen betrifft, geordnet werden muß. Auf das einzelne<lb/> kommen wir im zweiten Teile bei der Beſprechung der Arbeiterfrage und der ſocialen<lb/> Entwickelung der Gegenwart.</p><lb/> <p>Nicht die naturrechtlichen Fiktionen und vagen Hoffnungen, daß jede Vereinsfreiheit<lb/> von Segen ſei, dürfen entſcheiden, ſondern die konkrete Beurteilung der ſocialen Zu-<lb/> ſtände und die Einſicht, daß eine vereinsmäßige Organiſation heute nicht zu hindern<lb/> ſei und eben deshalb innerhalb der vom Staate geordneten Bahnen und Schranken ſich<lb/> vollziehen müſſe.</p><lb/> <p>137. <hi rendition="#g">Schlußbetrachtung über die ſociale Klaſſenbildung</hi>. Wie<lb/> wir mehrfach erwähnt, werden wir erſt im zweiten Teile auf die ſociale Geſamt-<lb/> entwickelung kommen. So haben wir hier nur kurz die Elemente einer ſocialen Klaſſen-<lb/> lehre, die wir zu geben ſuchten, zuſammenzufaſſen.</p><lb/> <p>„Auf dem Geſetz der Arbeitsteilung,“ ſagt Engels, „beruht die Teilung der<lb/> Geſellſchaft in Klaſſen.“ Wenn dies ſelbſt ein Führer der Socialdemokratie zugiebt, ſo<lb/> werden alle billig Denkenden es nicht leugnen können, daß die höhere Kultur, weil auf<lb/> Arbeitsteilung beruhend, auch verſchiedene ſociale Klaſſen haben muß. Jede Klaſſen-<lb/> ordnung, welche den Fähigſten und Beſten höhere Stellung giebt, erſcheint dem naiven<lb/> Urteil gerechtfertigt. Und jede Ausbildung einer Klaſſenordnung hängt mit dem Auf-<lb/> ſteigen der Tüchtigeren, mit der Führerrolle zuſammen, welche den Leiſtungsfähigſten<lb/> ſtets von ſelbſt zufällt. Ohne dieſes Aufſteigen, ohne dieſen Ausleſeprozeß gäbe es<lb/> keinen Fortſchritt irgend welcher Art. Alle Stämme und Völker ſind nur auf dieſe<lb/> Weiſe vorangeſchritten; die fähigen, aktiven, kräftigen Elemente übernahmen die Führung;<lb/> es handelte ſich dabei überwiegend und im ganzen um die Siege der größeren körper-<lb/> lichen oder geiſtigen Kraft. Die Herrſchaft, die dieſe Elemente üben, wird allgemein<lb/> auch zuerſt trotz ihrer nie ganz fehlenden Mißbräuche dankbar anerkannt, ſie wird mit<lb/> Hingebung und Treue belohnt; ſie iſt in ihrem Kerne ſtets eine berechtigte, auch wenn<lb/> ſie auf Gewalt und Unterwerfung beruht. Die Unterwerfung der ſchwächeren durch die<lb/> ſtärkere und fähigere Raſſe, der politiſch unfähigen Ackerbauern durch kriegeriſche Hirten-<lb/> ſtämme war dem Fortſchritte dienlich, wenn ſie eine beſſere Regierung, geiſtige, techniſche,<lb/> moraliſche Erziehung, beſſeren Schutz nach außen brachte. Die Herrſchaft des ritterlichen<lb/> Feudaladels vom 11.—16. Jahrhundert, die Leitung der Städte durch das Patriciat,<lb/> die Organiſation der Unternehmungen durch die Kaufleute vom 17.—19. Jahrhundert<lb/> waren lauter Siege höherer Klaſſen, welche zugleich der Geſamtheit dienten, ſie förderten.<lb/> Wie der Radikale F. A. Lange die Ariſtokratien damit rechtfertigt, daß ſie die Muſter<lb/> und Vorbilder für alles weitere Streben, für alle ſpäteren Generationen und Völker<lb/> lieferten, ſo können wir heute ſagen, keine Demokratie, keine Arbeiterklaſſe hätte Führer<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [409/0425]
Klaſſenorganiſation und Vereinsfreiheit.
Nur kurzſichtige oder Klaſſenregierungen können die Gefahren überſehen, die da
drohen: eine uneingeſchränkte Vereins-, Aſſociations-, Korporationsfreiheit muß, ſoweit
ſie dieſen Klaſſen zu gute kommt, mit der Klaſſenherrſchaft endigen, wie ſie das ſtets
that, wenn man die oberen Klaſſen ſich ganz frei organiſieren ließ.
Dieſe Tendenzen ſind aber nicht ganz zu hindern, weil ſie doch einen gewiſſen wirt-
ſchaftlich-techniſchen und organiſatoriſchen Fortſchritt bedeuten; die großen Erwerbsgeſell-
ſchaften, die Ringe, die Handelskammern und andere Verbände haben — in den richtigen
Schranken gehalten — viele gute Folgen. Man braucht heute wirtſchaftliche Intereſſen-
vertretungen, alſo muß man ſie dulden und fördern, aber im Geſamtintereſſe gewiſſen
Kontrollen und Schranken unterwerfen. Und man muß zugleich als Gegengewicht die
Arbeiterverbände ſich entwickeln laſſen, natürlich auch innerhalb feſter ſtaatlicher Ord-
nungen und Kontrollen. Verfährt man dabei richtig, ſo werden nicht bloß die Gefahren
der Klaſſenorganiſation vermieden, ſondern es wird zugleich damit das ſittliche und
wirtſchaftliche Aufſteigen der Arbeiterklaſſe befördert. Die Arbeiter bedürfen heute eines
ausgebildeten Vereinsweſens, nur durch ein ſolches werden ſie dem heutigen Staate richtig
eingefügt, mit der Regierung und den oberen Klaſſen verſöhnt. All’ das wird aber
gehindert durch eine kurzſichtige Unterdrückungspolitik.
Das ſind die Geſichtspunkte, von denen aus heute das Vereins- und Korporations-
recht, ſoweit es die ſocialen Klaſſen betrifft, geordnet werden muß. Auf das einzelne
kommen wir im zweiten Teile bei der Beſprechung der Arbeiterfrage und der ſocialen
Entwickelung der Gegenwart.
Nicht die naturrechtlichen Fiktionen und vagen Hoffnungen, daß jede Vereinsfreiheit
von Segen ſei, dürfen entſcheiden, ſondern die konkrete Beurteilung der ſocialen Zu-
ſtände und die Einſicht, daß eine vereinsmäßige Organiſation heute nicht zu hindern
ſei und eben deshalb innerhalb der vom Staate geordneten Bahnen und Schranken ſich
vollziehen müſſe.
137. Schlußbetrachtung über die ſociale Klaſſenbildung. Wie
wir mehrfach erwähnt, werden wir erſt im zweiten Teile auf die ſociale Geſamt-
entwickelung kommen. So haben wir hier nur kurz die Elemente einer ſocialen Klaſſen-
lehre, die wir zu geben ſuchten, zuſammenzufaſſen.
„Auf dem Geſetz der Arbeitsteilung,“ ſagt Engels, „beruht die Teilung der
Geſellſchaft in Klaſſen.“ Wenn dies ſelbſt ein Führer der Socialdemokratie zugiebt, ſo
werden alle billig Denkenden es nicht leugnen können, daß die höhere Kultur, weil auf
Arbeitsteilung beruhend, auch verſchiedene ſociale Klaſſen haben muß. Jede Klaſſen-
ordnung, welche den Fähigſten und Beſten höhere Stellung giebt, erſcheint dem naiven
Urteil gerechtfertigt. Und jede Ausbildung einer Klaſſenordnung hängt mit dem Auf-
ſteigen der Tüchtigeren, mit der Führerrolle zuſammen, welche den Leiſtungsfähigſten
ſtets von ſelbſt zufällt. Ohne dieſes Aufſteigen, ohne dieſen Ausleſeprozeß gäbe es
keinen Fortſchritt irgend welcher Art. Alle Stämme und Völker ſind nur auf dieſe
Weiſe vorangeſchritten; die fähigen, aktiven, kräftigen Elemente übernahmen die Führung;
es handelte ſich dabei überwiegend und im ganzen um die Siege der größeren körper-
lichen oder geiſtigen Kraft. Die Herrſchaft, die dieſe Elemente üben, wird allgemein
auch zuerſt trotz ihrer nie ganz fehlenden Mißbräuche dankbar anerkannt, ſie wird mit
Hingebung und Treue belohnt; ſie iſt in ihrem Kerne ſtets eine berechtigte, auch wenn
ſie auf Gewalt und Unterwerfung beruht. Die Unterwerfung der ſchwächeren durch die
ſtärkere und fähigere Raſſe, der politiſch unfähigen Ackerbauern durch kriegeriſche Hirten-
ſtämme war dem Fortſchritte dienlich, wenn ſie eine beſſere Regierung, geiſtige, techniſche,
moraliſche Erziehung, beſſeren Schutz nach außen brachte. Die Herrſchaft des ritterlichen
Feudaladels vom 11.—16. Jahrhundert, die Leitung der Städte durch das Patriciat,
die Organiſation der Unternehmungen durch die Kaufleute vom 17.—19. Jahrhundert
waren lauter Siege höherer Klaſſen, welche zugleich der Geſamtheit dienten, ſie förderten.
Wie der Radikale F. A. Lange die Ariſtokratien damit rechtfertigt, daß ſie die Muſter
und Vorbilder für alles weitere Streben, für alle ſpäteren Generationen und Völker
lieferten, ſo können wir heute ſagen, keine Demokratie, keine Arbeiterklaſſe hätte Führer
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