Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.Zweites Buch. Die gesellschaftliche Verfassung der Volkswirtschaft. ermöglicht. Die Folgen sind vielfach so ungünstig für diese Ärmsten der Armen, daßman teilweise die künftige Beseitigung dieser Art der Heimarbeit, einen gesetzlichen Zwang zur Verlegung derselben in Werkstatt und Fabrik verlangt hat. Doch dürften solche Wünsche in absehbarer Zeit keine Hoffnung auf Durchführung haben; man nähme Tausenden von armen Familien ihren letzten Verdienst. Es darf nicht übersehen werden, daß heute in der ganzen Hausindustrie 1. die schwächlichsten Arbeiter und 2. die beschäftigt werden, die ihrer Familienstellung, ihrem sonstigen Erwerb nach keine volle Arbeitsstellung, sondern nur einen Nebenerwerb suchen können. Auf den Versuch, die Abnahme der Hausindustrie, ihr teilweises Wiederanwachsen Die Hausindustrie unterscheidet sich vom Handwerk dadurch, daß sie nicht mehr Für den Unternehmer ist die Hausindustrie kapitalsparend; er kann viel leichter Die Hausindustrie wird nicht ganz verschwinden; sie wird vielleicht durch die 142. Die moderne Unternehmung, hauptsächlich der Groß- Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft. ermöglicht. Die Folgen ſind vielfach ſo ungünſtig für dieſe Ärmſten der Armen, daßman teilweiſe die künftige Beſeitigung dieſer Art der Heimarbeit, einen geſetzlichen Zwang zur Verlegung derſelben in Werkſtatt und Fabrik verlangt hat. Doch dürften ſolche Wünſche in abſehbarer Zeit keine Hoffnung auf Durchführung haben; man nähme Tauſenden von armen Familien ihren letzten Verdienſt. Es darf nicht überſehen werden, daß heute in der ganzen Hausinduſtrie 1. die ſchwächlichſten Arbeiter und 2. die beſchäftigt werden, die ihrer Familienſtellung, ihrem ſonſtigen Erwerb nach keine volle Arbeitsſtellung, ſondern nur einen Nebenerwerb ſuchen können. Auf den Verſuch, die Abnahme der Hausinduſtrie, ihr teilweiſes Wiederanwachſen Die Hausinduſtrie unterſcheidet ſich vom Handwerk dadurch, daß ſie nicht mehr Für den Unternehmer iſt die Hausinduſtrie kapitalſparend; er kann viel leichter Die Hausinduſtrie wird nicht ganz verſchwinden; ſie wird vielleicht durch die 142. Die moderne Unternehmung, hauptſächlich der Groß- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0444" n="428"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.</fw><lb/> ermöglicht. Die Folgen ſind vielfach ſo ungünſtig für dieſe Ärmſten der Armen, daß<lb/> man teilweiſe die künftige Beſeitigung dieſer Art der Heimarbeit, einen geſetzlichen<lb/> Zwang zur Verlegung derſelben in Werkſtatt und Fabrik verlangt hat. Doch dürften<lb/> ſolche Wünſche in abſehbarer Zeit keine Hoffnung auf Durchführung haben; man<lb/> nähme Tauſenden von armen Familien ihren letzten Verdienſt. Es darf nicht überſehen<lb/> werden, daß heute in der ganzen Hausinduſtrie 1. die ſchwächlichſten Arbeiter und<lb/> 2. die beſchäftigt werden, die ihrer Familienſtellung, ihrem ſonſtigen Erwerb nach keine<lb/> volle Arbeitsſtellung, ſondern nur einen Nebenerwerb ſuchen können.</p><lb/> <p>Auf den Verſuch, die Abnahme der Hausinduſtrie, ihr teilweiſes Wiederanwachſen<lb/> hiſtoriſch-ſtatiſtiſch darzulegen, müſſen wir im ganzen verzichten. Das Material dazu<lb/> iſt zu unſicher; die direkten deutſchen Erhebungen geben offenbar nur einen Teil der<lb/> Hausinduſtrie. Daß ſie in Oſteuropa noch viel umfangreicher iſt als in England und<lb/> bei uns, iſt ſicher. Ich bemerke nur, daß die ſelbſtändigen Hausinduſtriellen (ohne<lb/> ihre Gehülfen) in Deutſchland von 1882—95 von 329 644 auf 287 389 (— 15,<hi rendition="#sub">39</hi> %)<lb/> nach den amtlichen Zahlen abgenommen haben, daß ſie 1895 mit Gehülfen und<lb/> mithelfenden Familienangehörigen noch 4—500 000 Perſonen ausmachten, während<lb/> für Öſterreich St. Bauer auf 2,<hi rendition="#sub">24</hi> Mill. gewerblich thätige Arbeiter 0,<hi rendition="#sub">95</hi> Mill. groß-<lb/> induſtrielle (42 %), 0,<hi rendition="#sub">58</hi> Mill. handwerksmäßige (27 %) und 0,<hi rendition="#sub">71</hi> Mill. hausinduſtrielle<lb/> (31 %) ſchätzen will. In der Schweiz ſollen 19 % der Arbeitenden der Hausinduſtrie<lb/> angehören, in Rußland die 6—7 fache Zahl der Fabrikarbeiter.</p><lb/> <p>Die Hausinduſtrie unterſcheidet ſich vom Handwerk dadurch, daß ſie nicht mehr<lb/> Kundenabſatz, ſondern Maſſenabſatz bezweckt, daß die kaufmänniſche Leitung und die<lb/> gewerbliche Arbeit ganz getrennt iſt, daß dem Hausinduſtriellen, auch wenn er noch<lb/> eine Werkſtatt leitet und eine Ware verkauft, doch der größere Teil der Unternehmer-<lb/> thätigkeit und damit auch der Unternehmergewinn entzogen iſt. Immer ſind in der<lb/> Hausinduſtrie noch zahlreiche Mittelglieder zwiſchen der Unternehmer- und Arbeiter-<lb/> ſtellung; daneben aber auch viel tieferſtehende Arbeiter als in der Großinduſtrie.</p><lb/> <p>Für den Unternehmer iſt die Hausinduſtrie kapitalſparend; er kann viel leichter<lb/> als beim Fabrikbetrieb ſein Geſchäft ausdehnen und einſchränken, er wälzt einen Teil des<lb/> Riſikos auf die an ſich ſchwächeren Arbeiter ab. Dafür hat er mit der Schwierigkeit<lb/> zu rechnen, Dutzende, Hunderte und Tauſende von Arbeitern zu einheitlichem Thun zu<lb/> verbinden; es fehlt die ſichere Einheitlichkeit und Planmäßigkeit des großinduſtriellen<lb/> Arbeitsprozeſſes; Maſchinenanwendung iſt nur in geringem Maße möglich; nur<lb/> Produkte, wobei dieſe zu entbehren iſt, laſſen ſich hausinduſtriell herſtellen.</p><lb/> <p>Die Hausinduſtrie wird nicht ganz verſchwinden; ſie wird vielleicht durch die<lb/> Elektricität, durch Centralwerkſtätten, durch techniſche Schulung, auch da und dort durch<lb/> Übervölkerung noch zunehmen; ſie hat auch nicht überall die ſocialen Nachteile der<lb/> Über- und Kinderarbeit, des Lohndruckes, der Proletariſierung; ſie kann unter<lb/> beſtimmten Verhältniſſen, zumal wenn eine innere Organiſation der Heimarbeiter und<lb/> der Verleger gelingen ſollte, dann bei nicht ganz Beſitzloſen, auf dem Lande, im Gebirge,<lb/> auch in der Stadt für beſtimmte Perſonen eine normale Form der Betriebsorganiſation<lb/> noch heute ſein. Im ganzen aber iſt ſie mehr eine Form der Vergangenheit, des Über-<lb/> ganges zur Großinduſtrie.</p><lb/> <p>142. <hi rendition="#g">Die moderne Unternehmung, hauptſächlich der Groß-<lb/> betrieb. Die Fabrik</hi>. Wo in den Staaten des klaſſiſchen Altertums aus dem<lb/> Haus- der Bergwerks-, Plantagen-, Fabrikſklave wurde, da entſtanden große, weſentlich<lb/> auf Gewinn bedachte Geſchäftsbetriebe. Wie Nikias von Athen 1000 Sklaven in den<lb/> lauriſchen Bergwerken hatte, ſo zählten die ſogenannten <hi rendition="#aq">familiae</hi> reicher römiſcher<lb/> Ritter und Freigelaſſener bis 5, 10 und 20 000 Sklaven; es waren halb fürſtliche<lb/> Haushaltungen, halb hart disciplinierte Großunternehmungen, welche Handel, Verkehr<lb/> und Kredit, landwirtſchaftliche und gewerbliche Produktion mit großen Kapitalien und<lb/> vollendeter Technik zu glänzender Entwickelung brachten, bedeutende Gewinne abwarfen<lb/> (vergl. oben S. 339—340, S. 418).</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [428/0444]
Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.
ermöglicht. Die Folgen ſind vielfach ſo ungünſtig für dieſe Ärmſten der Armen, daß
man teilweiſe die künftige Beſeitigung dieſer Art der Heimarbeit, einen geſetzlichen
Zwang zur Verlegung derſelben in Werkſtatt und Fabrik verlangt hat. Doch dürften
ſolche Wünſche in abſehbarer Zeit keine Hoffnung auf Durchführung haben; man
nähme Tauſenden von armen Familien ihren letzten Verdienſt. Es darf nicht überſehen
werden, daß heute in der ganzen Hausinduſtrie 1. die ſchwächlichſten Arbeiter und
2. die beſchäftigt werden, die ihrer Familienſtellung, ihrem ſonſtigen Erwerb nach keine
volle Arbeitsſtellung, ſondern nur einen Nebenerwerb ſuchen können.
Auf den Verſuch, die Abnahme der Hausinduſtrie, ihr teilweiſes Wiederanwachſen
hiſtoriſch-ſtatiſtiſch darzulegen, müſſen wir im ganzen verzichten. Das Material dazu
iſt zu unſicher; die direkten deutſchen Erhebungen geben offenbar nur einen Teil der
Hausinduſtrie. Daß ſie in Oſteuropa noch viel umfangreicher iſt als in England und
bei uns, iſt ſicher. Ich bemerke nur, daß die ſelbſtändigen Hausinduſtriellen (ohne
ihre Gehülfen) in Deutſchland von 1882—95 von 329 644 auf 287 389 (— 15,39 %)
nach den amtlichen Zahlen abgenommen haben, daß ſie 1895 mit Gehülfen und
mithelfenden Familienangehörigen noch 4—500 000 Perſonen ausmachten, während
für Öſterreich St. Bauer auf 2,24 Mill. gewerblich thätige Arbeiter 0,95 Mill. groß-
induſtrielle (42 %), 0,58 Mill. handwerksmäßige (27 %) und 0,71 Mill. hausinduſtrielle
(31 %) ſchätzen will. In der Schweiz ſollen 19 % der Arbeitenden der Hausinduſtrie
angehören, in Rußland die 6—7 fache Zahl der Fabrikarbeiter.
Die Hausinduſtrie unterſcheidet ſich vom Handwerk dadurch, daß ſie nicht mehr
Kundenabſatz, ſondern Maſſenabſatz bezweckt, daß die kaufmänniſche Leitung und die
gewerbliche Arbeit ganz getrennt iſt, daß dem Hausinduſtriellen, auch wenn er noch
eine Werkſtatt leitet und eine Ware verkauft, doch der größere Teil der Unternehmer-
thätigkeit und damit auch der Unternehmergewinn entzogen iſt. Immer ſind in der
Hausinduſtrie noch zahlreiche Mittelglieder zwiſchen der Unternehmer- und Arbeiter-
ſtellung; daneben aber auch viel tieferſtehende Arbeiter als in der Großinduſtrie.
Für den Unternehmer iſt die Hausinduſtrie kapitalſparend; er kann viel leichter
als beim Fabrikbetrieb ſein Geſchäft ausdehnen und einſchränken, er wälzt einen Teil des
Riſikos auf die an ſich ſchwächeren Arbeiter ab. Dafür hat er mit der Schwierigkeit
zu rechnen, Dutzende, Hunderte und Tauſende von Arbeitern zu einheitlichem Thun zu
verbinden; es fehlt die ſichere Einheitlichkeit und Planmäßigkeit des großinduſtriellen
Arbeitsprozeſſes; Maſchinenanwendung iſt nur in geringem Maße möglich; nur
Produkte, wobei dieſe zu entbehren iſt, laſſen ſich hausinduſtriell herſtellen.
Die Hausinduſtrie wird nicht ganz verſchwinden; ſie wird vielleicht durch die
Elektricität, durch Centralwerkſtätten, durch techniſche Schulung, auch da und dort durch
Übervölkerung noch zunehmen; ſie hat auch nicht überall die ſocialen Nachteile der
Über- und Kinderarbeit, des Lohndruckes, der Proletariſierung; ſie kann unter
beſtimmten Verhältniſſen, zumal wenn eine innere Organiſation der Heimarbeiter und
der Verleger gelingen ſollte, dann bei nicht ganz Beſitzloſen, auf dem Lande, im Gebirge,
auch in der Stadt für beſtimmte Perſonen eine normale Form der Betriebsorganiſation
noch heute ſein. Im ganzen aber iſt ſie mehr eine Form der Vergangenheit, des Über-
ganges zur Großinduſtrie.
142. Die moderne Unternehmung, hauptſächlich der Groß-
betrieb. Die Fabrik. Wo in den Staaten des klaſſiſchen Altertums aus dem
Haus- der Bergwerks-, Plantagen-, Fabrikſklave wurde, da entſtanden große, weſentlich
auf Gewinn bedachte Geſchäftsbetriebe. Wie Nikias von Athen 1000 Sklaven in den
lauriſchen Bergwerken hatte, ſo zählten die ſogenannten familiae reicher römiſcher
Ritter und Freigelaſſener bis 5, 10 und 20 000 Sklaven; es waren halb fürſtliche
Haushaltungen, halb hart disciplinierte Großunternehmungen, welche Handel, Verkehr
und Kredit, landwirtſchaftliche und gewerbliche Produktion mit großen Kapitalien und
vollendeter Technik zu glänzender Entwickelung brachten, bedeutende Gewinne abwarfen
(vergl. oben S. 339—340, S. 418).
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |