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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Zweites Buch. Die gesellschaftliche Verfassung der Volkswirtschaft.
1854 wieder 300 mit 25000 Mitgliedern: 1878 berichteten 1034, 1888 1204 Konsum-
vereine mit 0,5 und 0,8 Mill. Mitgliedern, jetzt wird eine Million längst überschritten
sein. An Baugenossenschaften zählte man 1887 2404 mit 0,6 Mill. Personen, 36 Mill.
eigenem, 15 Mill. fremdem Kapital. Seit den 60 er Jahren haben die Konsum-
vereine in Schottland und England zwei riesenhafte Großhandelsgesellschaften errichtet,
welche im ganzen Reiche eigene Fabriken, eigene Seedampfer, Einkäufer in allen
Weltteilen haben.

In Frankreich hat die Genossenschaftsbewegung 1832, 1848, 1863--69 und dann
wieder seit 1882 und diesmal kräftiger als früher eingesetzt. Produktiv-Genossen-
schaften und Vorschußvereine stehen im Vordergrunde. In Belgien hat seit den letzten
15 Jahren sich die socialdemokratische Arbeiterbewegung der Sache bemächtigt und
geradezu Staunenswertes geleistet. In Italien, der Schweiz, Österreich geht das Genossen-
schaftsleben auch rüstig voran.

In Deutschland war der erste Anstoß Schulze-Delitzsch, seinen Vorschußvereinen
und Handwerkergenossenschaften von 1849--53 an zu danken: man schätzte 1863 1250,
1873 4100 Genossenschaften mit 1,3 Mill. Mitgliedern, 140 Mill. Mark eigenem
Kapital, 2250 Mill. Mark Geschäftsumsatz. Nun folgte ein gewisser Stillstand, bis
in den 80 er Jahren die landwirtschaftlichen Genossenschaften ihre selten glänzende
Ausdehnung und Entwickelung erfuhren; an solchen gab es 1890 3000, 1900
13000; die Gesamtzahl aller deutschen Genossenschaften wird jetzt 17000--18000
erreicht haben, von welchen drei Viertel noch die Solidarhaft haben; die Mit-
gliederzahl wird über 2 Mill. betragen. H. Crüger rechnete pro 31. März 1899
10850 Kreditgenossenschaften, 1275 Rohstoffgenossenschaften (1193 landw.), 516 Werk-
genossenschaften (482 landw.), 273 Magazingenossenschaften (106 landw.), 1373 Konsum-
vereine, 244 Baugenossenschaften, 2210 Produktivgenossenschaften (2017 landw., haupt-
sächlich Molkerei-, Winzer- etc. Gen.). Von 927 berichtenden Kreditgenossenschaften
wurden fast 2 Milliarden Kredite 1898 gewährt. Die Genossenschaften fassen sich in
eine Reihe von Provinzial- und Landesverbänden, in Centralkassen und ähnliche
Organisationen zusammen. Die preußische Centralgenossenschaftskasse stützte sich 1899
auf 7454 eingetragene Genossenschaften mit 0,75 Mill. Genossen. Das preußische Ge-
nossenschaftskataster zählte 1898 1,11 Mill. Der Raiffeisensche Neuwieder Genossenschafts-
verband umfaßte 1. Juli 1899 12 Verbandsbezirke und 3273 Vereine.

Kann weder das eigene Kapital, noch die Zahl der von den Genossenschaften direkt
beschäftigten Personen mit denen der Aktiengesellschaften verglichen werden, so ist ihre all-
gemeine Bedeutung für die Signatur der Volkswirtschaft doch eine außerordentlich
große. Die Genossenschaftsbewegung erstreckt sich mit ihren Folgen auf den ganzen
Mittel- und Arbeiterstand, teilweise schon auch auf die höheren Schichten der Land-
wirte, der Konsumenten. Ihre allgemeine Bedeutung liegt in dem siegreichen Kampf
für ehrliche Geschäftsmaximen, für Barzahlung, für Sparsamkeit, in der Bekämpfung
des Wuchers und der Warenfälschung, in der geschäftlichen und sittlichen Erziehung
der unteren und mittleren Klassen, in der glücklichen Verbindung von Erwerbstrieb und
sympathisch-genossenschaftlichen Gefühlen, auf denen sie beruhen, die sie fördern. Sie
können die Tausende von teilnehmenden Kleinbürgern und Arbeitern nicht plötzlich zu
etwas ganz anderem machen; aber sie heben sie technisch, geschäftlich, social empor; sie
schaffen eine große Zahl von neuen Organen, die modern wirtschaften, teilweise einen
vollendeten Mittel- und Großbetrieb haben und doch in Leitung, Mitgliedschaft und
Besitzanteilen bis in die untersten Kreise herabreichen; sie erhalten die bestehenden kleinen
und mittleren gesunden Betriebe und füllen die sociale Kluft zwischen den großen
Privatunternehmern und kleinen Leuten aus. Sie sind im eminenten Sinne ein konser-
vatives Element, das doch ausschließlich dem socialen Fortschritt dient und noch eine
große Zukunft hat.

146. Die Verbände der Händler und Unternehmer, die Kartelle,
Ringe und Trusts
. Wo eine größere Zahl von Händlern und Unternehmern einen
Markt versorgten, da haben sie stets je nach Volkscharakter, je nach egoistischen und

Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.
1854 wieder 300 mit 25000 Mitgliedern: 1878 berichteten 1034, 1888 1204 Konſum-
vereine mit 0,5 und 0,8 Mill. Mitgliedern, jetzt wird eine Million längſt überſchritten
ſein. An Baugenoſſenſchaften zählte man 1887 2404 mit 0,6 Mill. Perſonen, 36 Mill.
eigenem, 15 Mill. fremdem Kapital. Seit den 60 er Jahren haben die Konſum-
vereine in Schottland und England zwei rieſenhafte Großhandelsgeſellſchaften errichtet,
welche im ganzen Reiche eigene Fabriken, eigene Seedampfer, Einkäufer in allen
Weltteilen haben.

In Frankreich hat die Genoſſenſchaftsbewegung 1832, 1848, 1863—69 und dann
wieder ſeit 1882 und diesmal kräftiger als früher eingeſetzt. Produktiv-Genoſſen-
ſchaften und Vorſchußvereine ſtehen im Vordergrunde. In Belgien hat ſeit den letzten
15 Jahren ſich die ſocialdemokratiſche Arbeiterbewegung der Sache bemächtigt und
geradezu Staunenswertes geleiſtet. In Italien, der Schweiz, Öſterreich geht das Genoſſen-
ſchaftsleben auch rüſtig voran.

In Deutſchland war der erſte Anſtoß Schulze-Delitzſch, ſeinen Vorſchußvereinen
und Handwerkergenoſſenſchaften von 1849—53 an zu danken: man ſchätzte 1863 1250,
1873 4100 Genoſſenſchaften mit 1,3 Mill. Mitgliedern, 140 Mill. Mark eigenem
Kapital, 2250 Mill. Mark Geſchäftsumſatz. Nun folgte ein gewiſſer Stillſtand, bis
in den 80 er Jahren die landwirtſchaftlichen Genoſſenſchaften ihre ſelten glänzende
Ausdehnung und Entwickelung erfuhren; an ſolchen gab es 1890 3000, 1900
13000; die Geſamtzahl aller deutſchen Genoſſenſchaften wird jetzt 17000—18000
erreicht haben, von welchen drei Viertel noch die Solidarhaft haben; die Mit-
gliederzahl wird über 2 Mill. betragen. H. Crüger rechnete pro 31. März 1899
10850 Kreditgenoſſenſchaften, 1275 Rohſtoffgenoſſenſchaften (1193 landw.), 516 Werk-
genoſſenſchaften (482 landw.), 273 Magazingenoſſenſchaften (106 landw.), 1373 Konſum-
vereine, 244 Baugenoſſenſchaften, 2210 Produktivgenoſſenſchaften (2017 landw., haupt-
ſächlich Molkerei-, Winzer- ꝛc. Gen.). Von 927 berichtenden Kreditgenoſſenſchaften
wurden faſt 2 Milliarden Kredite 1898 gewährt. Die Genoſſenſchaften faſſen ſich in
eine Reihe von Provinzial- und Landesverbänden, in Centralkaſſen und ähnliche
Organiſationen zuſammen. Die preußiſche Centralgenoſſenſchaftskaſſe ſtützte ſich 1899
auf 7454 eingetragene Genoſſenſchaften mit 0,75 Mill. Genoſſen. Das preußiſche Ge-
noſſenſchaftskataſter zählte 1898 1,11 Mill. Der Raiffeiſenſche Neuwieder Genoſſenſchafts-
verband umfaßte 1. Juli 1899 12 Verbandsbezirke und 3273 Vereine.

Kann weder das eigene Kapital, noch die Zahl der von den Genoſſenſchaften direkt
beſchäftigten Perſonen mit denen der Aktiengeſellſchaften verglichen werden, ſo iſt ihre all-
gemeine Bedeutung für die Signatur der Volkswirtſchaft doch eine außerordentlich
große. Die Genoſſenſchaftsbewegung erſtreckt ſich mit ihren Folgen auf den ganzen
Mittel- und Arbeiterſtand, teilweiſe ſchon auch auf die höheren Schichten der Land-
wirte, der Konſumenten. Ihre allgemeine Bedeutung liegt in dem ſiegreichen Kampf
für ehrliche Geſchäftsmaximen, für Barzahlung, für Sparſamkeit, in der Bekämpfung
des Wuchers und der Warenfälſchung, in der geſchäftlichen und ſittlichen Erziehung
der unteren und mittleren Klaſſen, in der glücklichen Verbindung von Erwerbstrieb und
ſympathiſch-genoſſenſchaftlichen Gefühlen, auf denen ſie beruhen, die ſie fördern. Sie
können die Tauſende von teilnehmenden Kleinbürgern und Arbeitern nicht plötzlich zu
etwas ganz anderem machen; aber ſie heben ſie techniſch, geſchäftlich, ſocial empor; ſie
ſchaffen eine große Zahl von neuen Organen, die modern wirtſchaften, teilweiſe einen
vollendeten Mittel- und Großbetrieb haben und doch in Leitung, Mitgliedſchaft und
Beſitzanteilen bis in die unterſten Kreiſe herabreichen; ſie erhalten die beſtehenden kleinen
und mittleren geſunden Betriebe und füllen die ſociale Kluft zwiſchen den großen
Privatunternehmern und kleinen Leuten aus. Sie ſind im eminenten Sinne ein konſer-
vatives Element, das doch ausſchließlich dem ſocialen Fortſchritt dient und noch eine
große Zukunft hat.

146. Die Verbände der Händler und Unternehmer, die Kartelle,
Ringe und Truſts
. Wo eine größere Zahl von Händlern und Unternehmern einen
Markt verſorgten, da haben ſie ſtets je nach Volkscharakter, je nach egoiſtiſchen und

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[448/0464] Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft. 1854 wieder 300 mit 25000 Mitgliedern: 1878 berichteten 1034, 1888 1204 Konſum- vereine mit 0,5 und 0,8 Mill. Mitgliedern, jetzt wird eine Million längſt überſchritten ſein. An Baugenoſſenſchaften zählte man 1887 2404 mit 0,6 Mill. Perſonen, 36 Mill. eigenem, 15 Mill. fremdem Kapital. Seit den 60 er Jahren haben die Konſum- vereine in Schottland und England zwei rieſenhafte Großhandelsgeſellſchaften errichtet, welche im ganzen Reiche eigene Fabriken, eigene Seedampfer, Einkäufer in allen Weltteilen haben. In Frankreich hat die Genoſſenſchaftsbewegung 1832, 1848, 1863—69 und dann wieder ſeit 1882 und diesmal kräftiger als früher eingeſetzt. Produktiv-Genoſſen- ſchaften und Vorſchußvereine ſtehen im Vordergrunde. In Belgien hat ſeit den letzten 15 Jahren ſich die ſocialdemokratiſche Arbeiterbewegung der Sache bemächtigt und geradezu Staunenswertes geleiſtet. In Italien, der Schweiz, Öſterreich geht das Genoſſen- ſchaftsleben auch rüſtig voran. In Deutſchland war der erſte Anſtoß Schulze-Delitzſch, ſeinen Vorſchußvereinen und Handwerkergenoſſenſchaften von 1849—53 an zu danken: man ſchätzte 1863 1250, 1873 4100 Genoſſenſchaften mit 1,3 Mill. Mitgliedern, 140 Mill. Mark eigenem Kapital, 2250 Mill. Mark Geſchäftsumſatz. Nun folgte ein gewiſſer Stillſtand, bis in den 80 er Jahren die landwirtſchaftlichen Genoſſenſchaften ihre ſelten glänzende Ausdehnung und Entwickelung erfuhren; an ſolchen gab es 1890 3000, 1900 13000; die Geſamtzahl aller deutſchen Genoſſenſchaften wird jetzt 17000—18000 erreicht haben, von welchen drei Viertel noch die Solidarhaft haben; die Mit- gliederzahl wird über 2 Mill. betragen. H. Crüger rechnete pro 31. März 1899 10850 Kreditgenoſſenſchaften, 1275 Rohſtoffgenoſſenſchaften (1193 landw.), 516 Werk- genoſſenſchaften (482 landw.), 273 Magazingenoſſenſchaften (106 landw.), 1373 Konſum- vereine, 244 Baugenoſſenſchaften, 2210 Produktivgenoſſenſchaften (2017 landw., haupt- ſächlich Molkerei-, Winzer- ꝛc. Gen.). Von 927 berichtenden Kreditgenoſſenſchaften wurden faſt 2 Milliarden Kredite 1898 gewährt. Die Genoſſenſchaften faſſen ſich in eine Reihe von Provinzial- und Landesverbänden, in Centralkaſſen und ähnliche Organiſationen zuſammen. Die preußiſche Centralgenoſſenſchaftskaſſe ſtützte ſich 1899 auf 7454 eingetragene Genoſſenſchaften mit 0,75 Mill. Genoſſen. Das preußiſche Ge- noſſenſchaftskataſter zählte 1898 1,11 Mill. Der Raiffeiſenſche Neuwieder Genoſſenſchafts- verband umfaßte 1. Juli 1899 12 Verbandsbezirke und 3273 Vereine. Kann weder das eigene Kapital, noch die Zahl der von den Genoſſenſchaften direkt beſchäftigten Perſonen mit denen der Aktiengeſellſchaften verglichen werden, ſo iſt ihre all- gemeine Bedeutung für die Signatur der Volkswirtſchaft doch eine außerordentlich große. Die Genoſſenſchaftsbewegung erſtreckt ſich mit ihren Folgen auf den ganzen Mittel- und Arbeiterſtand, teilweiſe ſchon auch auf die höheren Schichten der Land- wirte, der Konſumenten. Ihre allgemeine Bedeutung liegt in dem ſiegreichen Kampf für ehrliche Geſchäftsmaximen, für Barzahlung, für Sparſamkeit, in der Bekämpfung des Wuchers und der Warenfälſchung, in der geſchäftlichen und ſittlichen Erziehung der unteren und mittleren Klaſſen, in der glücklichen Verbindung von Erwerbstrieb und ſympathiſch-genoſſenſchaftlichen Gefühlen, auf denen ſie beruhen, die ſie fördern. Sie können die Tauſende von teilnehmenden Kleinbürgern und Arbeitern nicht plötzlich zu etwas ganz anderem machen; aber ſie heben ſie techniſch, geſchäftlich, ſocial empor; ſie ſchaffen eine große Zahl von neuen Organen, die modern wirtſchaften, teilweiſe einen vollendeten Mittel- und Großbetrieb haben und doch in Leitung, Mitgliedſchaft und Beſitzanteilen bis in die unterſten Kreiſe herabreichen; ſie erhalten die beſtehenden kleinen und mittleren geſunden Betriebe und füllen die ſociale Kluft zwiſchen den großen Privatunternehmern und kleinen Leuten aus. Sie ſind im eminenten Sinne ein konſer- vatives Element, das doch ausſchließlich dem ſocialen Fortſchritt dient und noch eine große Zukunft hat. 146. Die Verbände der Händler und Unternehmer, die Kartelle, Ringe und Truſts. Wo eine größere Zahl von Händlern und Unternehmern einen Markt verſorgten, da haben ſie ſtets je nach Volkscharakter, je nach egoiſtiſchen und

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 448. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/464>, abgerufen am 22.11.2024.