Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.Wirtschaftliche und sittliche Würdigung des Erwerbstriebes. Machtgelüsten; derselbe Erwerbstrieb ist hier mit Verschwendung, dort mit Geiz, hiermit Energie und Thatkraft, dort nur mit Schlauheit verbunden. Der Erwerbstrieb ist keine überall gleiche Naturkraft, er ist stets gebunden und Auch wenn heute das Feilschen, Kaufen und Verkaufen und ähnliche Handlungen Darin liegt auch der Maßstab für seine sittliche Beurteilung. Der wachsende Es gilt so vom Erwerbstrieb, was von allen selbstischen Neigungen gilt: sie haben Wirtſchaftliche und ſittliche Würdigung des Erwerbstriebes. Machtgelüſten; derſelbe Erwerbstrieb iſt hier mit Verſchwendung, dort mit Geiz, hiermit Energie und Thatkraft, dort nur mit Schlauheit verbunden. Der Erwerbstrieb iſt keine überall gleiche Naturkraft, er iſt ſtets gebunden und Auch wenn heute das Feilſchen, Kaufen und Verkaufen und ähnliche Handlungen Darin liegt auch der Maßſtab für ſeine ſittliche Beurteilung. Der wachſende Es gilt ſo vom Erwerbstrieb, was von allen ſelbſtiſchen Neigungen gilt: ſie haben <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0053" n="37"/><fw place="top" type="header">Wirtſchaftliche und ſittliche Würdigung des Erwerbstriebes.</fw><lb/> Machtgelüſten; derſelbe Erwerbstrieb iſt hier mit Verſchwendung, dort mit Geiz, hier<lb/> mit Energie und Thatkraft, dort nur mit Schlauheit verbunden.</p><lb/> <p>Der Erwerbstrieb iſt keine überall gleiche Naturkraft, er iſt ſtets gebunden und<lb/> gebändigt durch gewiſſe ſittliche Einflüſſe, Rechtsſatzungen und Inſtitutionen. Aber<lb/> dieſe können zu einer gewiſſen Zeit, in einem beſtimmten Volke, bei einer ſocialen<lb/> Klaſſe im Durchſchnitte ſo einheitliche ſein, daß allerdings geſagt werden kann, auf dem<lb/> Markte und im Geſchäftsleben werden beſtimmte Menſchengruppen regelmäßig durch ihn,<lb/> durch den Trieb, mit möglichſt wenig Opfern viel zu erwerben, beſtimmt. Und darauf<lb/> beruht die Möglichkeit, die Preisbildung, die Einkommensverteilung, die Zinsbildung<lb/> und ähnliche volkswirtſchaftliche Erſcheinungen unſerer Kulturſtaaten auf den vorher<lb/> beſtimmt geſchilderten oder den allgemein angenommenen Erwerbstrieb zurückzuführen.<lb/> Man darf nur dabei nie überſehen, daß ſelbſt unter den Kaufleuten derſelben Stadt<lb/> dieſer Erwerbstrieb nicht ſtets derſelbe iſt; vollends hat der ſchamloſe Wucherer oder<lb/> der harte Faktor einer Hausinduſtrie nicht denſelben Erwerbstrieb, wie der vornehme<lb/> reelle Unternehmer, der jeden unrechten und unbilligen Gewinn verſchmäht, ſeinen Kunden<lb/> ſtets mit kleinen Dienſten und Gefälligkeiten entgegen kommt, ſich mit ihnen auf dem-<lb/> ſelben ſittlich-ſympathiſchen Boden weiß, ſeine Leute gut behandelt.</p><lb/> <p>Auch wenn heute das Feilſchen, Kaufen und Verkaufen und ähnliche Handlungen<lb/> auf den Erwerbstrieb zurückgeführt werden können, ſo iſt damit nicht alles wirtſchaft-<lb/> liche Handeln, ſo ſind damit nicht alle volkswirtſchaftlichen Erſcheinungen erklärt. Iſt<lb/> etwa die Haus- und Familienwirtſchaft, ſind die Unternehmungsformen, die ſtaatliche<lb/> Finanz auf den Erwerbstrieb zurückzuführen? Noch weniger läßt ſich behaupten, daß<lb/> das Maß des zunehmenden Erwerbstriebes zugleich das Maß des ſteigenden Reichtums<lb/> der Völker ſei. Nur das iſt richtig, daß die zunehmende Ausbildung der Tauſchwirt-<lb/> ſchaft und Tauſchgeſellſchaft die ſtärkere Ausbildung des Erwerbstriebes vorausſetzte,<lb/> und daß die Steigerung individueller wirtſchaftlicher Energie und Thatkraft in den<lb/> letzten Jahrhunderten ohne ihn nicht denkbar wäre.</p><lb/> <p>Darin liegt auch der Maßſtab für ſeine ſittliche Beurteilung. Der wachſende<lb/> Erwerbstrieb hat eine ſteigende Zahl von Menſchen erzeugt, die vor allem Vermögen<lb/> gewinnen wollen: die Leute mit kräftigem Willen, klugem Unternehmungsgeiſt, harter<lb/> Energie, welche oft von Ehrgeiz und Eitelkeit, oft von ſtarken animaliſchen Trieben<lb/> beherrſcht, häufig ohne höhere Intereſſen und ohne ſtärkere ſympathiſche Gefühle ſind,<lb/> ſpielten eine erhebliche Rolle, wurden vor anderen reich. Gewiß ſind das häufig keine<lb/> anziehenden, edlen Perſönlichkeiten; ebenſowenig iſt zu wünſchen, daß ſie ausſchließlich<lb/> die Geſellſchaft beherrſchen; aber ſo lange ihre Thatkraft und Energie ſehr viel größer<lb/> iſt als ihr Erwerbstrieb, ihre Härte gegen ihre Konkurrenten, Kunden und Arbeiter,<lb/> fragt es ſich ſtets, ob ſie der Wohlfahrt des Ganzen nicht mehr dienen, als wenn<lb/> an ihrer Stelle edle Schwächlinge und unkluge, geſchäftsunkundige Unternehmer ſtünden.<lb/> Überhaupt iſt für alle Klaſſen die Ausbildung des Erwerbstriebes ſo lange ein Fort-<lb/> ſchritt, als er die Thätigkeit im ganzen ſteigert, ohne zur Ungerechtigkeit, zur Herzloſigkeit<lb/> und Freude an der Mißhandlung der Schwachen zu führen, wie wir ſie als Laſter des<lb/> Geizhalſes, des Arbeiterſchinders, des Wucherers kennen.</p><lb/> <p>Es gilt ſo vom Erwerbstrieb, was von allen ſelbſtiſchen Neigungen gilt: ſie haben<lb/> ihr Recht im Syſtem des menſchlichen Handelns, wenn ſie einerſeits die Individuen in<lb/> ihrer Selbſtbehauptung, in ihrer Geſundheit, ihrer Kraft und Leiſtungsfähigkeit ſtärken<lb/> und andererſeits die Grenzen inne halten, die durch die Wohlfahrt des Ganzen geſteckt<lb/> ſind, wenn ſie als Teilinhalte des menſchlichen Willens ſich den höheren Zwecken richtig<lb/> eingliedern. Der bloße nackte Erwerbstrieb iſt böſe und iſt auch wirtſchaftlich zerſtörend,<lb/> ſofern alles höhere wirtſchaftliche Leben in Verbänden ſich vollzieht, die nicht ohne<lb/> ſympathiſche Gefühle und ſittliche Einrichtungen exiſtieren können. Die Familienwirtſchaft,<lb/> die Unternehmung, das wirtſchaftliche Vereins- und Korporationsweſen, ja ſelbſt der<lb/> einfache Markt- und Tauſchverkehr ruhen auf dem Gefühl eines gewiſſen Verbundenſeins,<lb/> eines wechſelſeitigen Vertrauens; ſie ſind ohne eine Summe moraliſcher Eigenſchaften,<lb/> wie Billigkeit und Gerechtigkeit, nicht möglich. Mindeſtens all’ das, was man als wirt-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [37/0053]
Wirtſchaftliche und ſittliche Würdigung des Erwerbstriebes.
Machtgelüſten; derſelbe Erwerbstrieb iſt hier mit Verſchwendung, dort mit Geiz, hier
mit Energie und Thatkraft, dort nur mit Schlauheit verbunden.
Der Erwerbstrieb iſt keine überall gleiche Naturkraft, er iſt ſtets gebunden und
gebändigt durch gewiſſe ſittliche Einflüſſe, Rechtsſatzungen und Inſtitutionen. Aber
dieſe können zu einer gewiſſen Zeit, in einem beſtimmten Volke, bei einer ſocialen
Klaſſe im Durchſchnitte ſo einheitliche ſein, daß allerdings geſagt werden kann, auf dem
Markte und im Geſchäftsleben werden beſtimmte Menſchengruppen regelmäßig durch ihn,
durch den Trieb, mit möglichſt wenig Opfern viel zu erwerben, beſtimmt. Und darauf
beruht die Möglichkeit, die Preisbildung, die Einkommensverteilung, die Zinsbildung
und ähnliche volkswirtſchaftliche Erſcheinungen unſerer Kulturſtaaten auf den vorher
beſtimmt geſchilderten oder den allgemein angenommenen Erwerbstrieb zurückzuführen.
Man darf nur dabei nie überſehen, daß ſelbſt unter den Kaufleuten derſelben Stadt
dieſer Erwerbstrieb nicht ſtets derſelbe iſt; vollends hat der ſchamloſe Wucherer oder
der harte Faktor einer Hausinduſtrie nicht denſelben Erwerbstrieb, wie der vornehme
reelle Unternehmer, der jeden unrechten und unbilligen Gewinn verſchmäht, ſeinen Kunden
ſtets mit kleinen Dienſten und Gefälligkeiten entgegen kommt, ſich mit ihnen auf dem-
ſelben ſittlich-ſympathiſchen Boden weiß, ſeine Leute gut behandelt.
Auch wenn heute das Feilſchen, Kaufen und Verkaufen und ähnliche Handlungen
auf den Erwerbstrieb zurückgeführt werden können, ſo iſt damit nicht alles wirtſchaft-
liche Handeln, ſo ſind damit nicht alle volkswirtſchaftlichen Erſcheinungen erklärt. Iſt
etwa die Haus- und Familienwirtſchaft, ſind die Unternehmungsformen, die ſtaatliche
Finanz auf den Erwerbstrieb zurückzuführen? Noch weniger läßt ſich behaupten, daß
das Maß des zunehmenden Erwerbstriebes zugleich das Maß des ſteigenden Reichtums
der Völker ſei. Nur das iſt richtig, daß die zunehmende Ausbildung der Tauſchwirt-
ſchaft und Tauſchgeſellſchaft die ſtärkere Ausbildung des Erwerbstriebes vorausſetzte,
und daß die Steigerung individueller wirtſchaftlicher Energie und Thatkraft in den
letzten Jahrhunderten ohne ihn nicht denkbar wäre.
Darin liegt auch der Maßſtab für ſeine ſittliche Beurteilung. Der wachſende
Erwerbstrieb hat eine ſteigende Zahl von Menſchen erzeugt, die vor allem Vermögen
gewinnen wollen: die Leute mit kräftigem Willen, klugem Unternehmungsgeiſt, harter
Energie, welche oft von Ehrgeiz und Eitelkeit, oft von ſtarken animaliſchen Trieben
beherrſcht, häufig ohne höhere Intereſſen und ohne ſtärkere ſympathiſche Gefühle ſind,
ſpielten eine erhebliche Rolle, wurden vor anderen reich. Gewiß ſind das häufig keine
anziehenden, edlen Perſönlichkeiten; ebenſowenig iſt zu wünſchen, daß ſie ausſchließlich
die Geſellſchaft beherrſchen; aber ſo lange ihre Thatkraft und Energie ſehr viel größer
iſt als ihr Erwerbstrieb, ihre Härte gegen ihre Konkurrenten, Kunden und Arbeiter,
fragt es ſich ſtets, ob ſie der Wohlfahrt des Ganzen nicht mehr dienen, als wenn
an ihrer Stelle edle Schwächlinge und unkluge, geſchäftsunkundige Unternehmer ſtünden.
Überhaupt iſt für alle Klaſſen die Ausbildung des Erwerbstriebes ſo lange ein Fort-
ſchritt, als er die Thätigkeit im ganzen ſteigert, ohne zur Ungerechtigkeit, zur Herzloſigkeit
und Freude an der Mißhandlung der Schwachen zu führen, wie wir ſie als Laſter des
Geizhalſes, des Arbeiterſchinders, des Wucherers kennen.
Es gilt ſo vom Erwerbstrieb, was von allen ſelbſtiſchen Neigungen gilt: ſie haben
ihr Recht im Syſtem des menſchlichen Handelns, wenn ſie einerſeits die Individuen in
ihrer Selbſtbehauptung, in ihrer Geſundheit, ihrer Kraft und Leiſtungsfähigkeit ſtärken
und andererſeits die Grenzen inne halten, die durch die Wohlfahrt des Ganzen geſteckt
ſind, wenn ſie als Teilinhalte des menſchlichen Willens ſich den höheren Zwecken richtig
eingliedern. Der bloße nackte Erwerbstrieb iſt böſe und iſt auch wirtſchaftlich zerſtörend,
ſofern alles höhere wirtſchaftliche Leben in Verbänden ſich vollzieht, die nicht ohne
ſympathiſche Gefühle und ſittliche Einrichtungen exiſtieren können. Die Familienwirtſchaft,
die Unternehmung, das wirtſchaftliche Vereins- und Korporationsweſen, ja ſelbſt der
einfache Markt- und Tauſchverkehr ruhen auf dem Gefühl eines gewiſſen Verbundenſeins,
eines wechſelſeitigen Vertrauens; ſie ſind ohne eine Summe moraliſcher Eigenſchaften,
wie Billigkeit und Gerechtigkeit, nicht möglich. Mindeſtens all’ das, was man als wirt-
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