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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Alle Gesellschaft ein Kompromiß zwischen Frieden und Streit.
Erklärung der Bevölkerungserscheinungen benutzt und aus Erscheinungen, in denen sein
deutscher Vorgänger Süßmilch eine göttliche Ordnung sah, Faustkämpfe gemacht, die
mit Recht den Armen, dessen Arbeit die Gesellschaft nicht bedürfe, wieder durch Hunger
und Krankheit entfernen. Die Socialisten haben nur die Kämpfe der socialen Klassen
gesehen, das Recht der Schwachen auf Organisation in Anspruch genommen, um den
Mächtigen und den Aristokraten entgegen zu treten, während sie in ähnlichem Optimismus
wie A. Smith die Kämpfe der Völker nicht kannten oder als bloßes Unrecht verurteilten.
Ihre aristokratischen Gegner und die Anwälte des Kapitals, die Reichen, die Starken
haben ebenso einseitig das Herrenrecht dieser Kreise gepredigt und in jeder Armenunter-
stützung, jeder Arbeiterversicherung, jedem Kampfe gegen Arbeitslosigkeit eine falsche Er-
haltung der geringeren und schlechteren Elemente gesehen, nicht einmal eingedenk des
Darwinschen Wortes, daß die heutigen Sieger im Kampf ums Geld keineswegs stets
die Besten und die Tüchtigsten seien.

Wir sehen, wie wechselvoll der Kampfgedanke verwertet wurde, wie wenig Sicheres
dabei bisher herauskam, weil man ein Schlagwort ohne nähere Prüfung der konkreten
Verhältnisse, Menschen, Institutionen und der Folgen des Kampfes im einzelnen an-
wandte. Wir kommen auf diese speciellen Verhältnisse unten. Hier ist nur zu sagen:
im internationalen Handelskampfe, im individuellen Kampfe auf dem Markte um den
Preis und den Absatz, im socialen Kampfe der Klassen handelt es sich um große psycho-
logische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Prozesse, wobei stets zugleich Gruppen zu
friedlichem Zusammenwirken durch bindende Ordnungen des Rechtes, der Sitte und der
Moral zusammen zu fassen sind, wobei dem egoistischen Interesse der einzelnen und der
Gruppen ein gewisser Spielraum zu gönnen, aber zugleich eine Grenze zu setzen ist.
Teilweise reguliert der Egoismus sich selbst und hält durch Druck und Gegendruck den
Mißbrauch ab; ebenso oft aber muß er gebändigt werden.

Man hat Sitte, Moral und Recht Streitordnungen genannt; das ist bis
auf einen gewissen Grad richtig, nur muß man hinzufügen, daß die immer feinere
und gerechtere Ausbildung der Streitordnungen eine Hauptaufgabe der höheren sittlichen
Kultur sei, und daß der letzte Zweck der Streiteinengung nicht bloß die Schaffung des
Friedens, sondern die immer größerer, harmonisierter, komplizierterer und wirkungsvollerer
Kollektivkräfte sei. Concordia parvae res crescunt. Je höher unsere sittliche und staat-
liche Entwickelung geht, desto mehr müssen auch die Leute mit starker Faust und großem
Geldbeutel, mit verschlagener Pfiffigkeit sich den sittlichen Lebensordnungen fügen, desto
weniger werden brutale Vergewaltigungen, Ausbeutungen, harte Herrschaftsverhältnisse
mehr zugelassen. Mehr und mehr läßt man nur bestimmte Arten des Sieges zu, den
Sieg der größeren Intelligenz und Fähigkeit, der sich im Konkurrenzkampf vor der
Öffentlichkeit, im Kampf um die Ämter vor der Prüfungsbehörde ausgewiesen hat.
Man muß suchen die Siege der Klugen zugleich zu Siegen der Edlen und Guten zu
machen. Man wird im Kampfe der socialen Klassen nicht den unteren Handschellen
anlegen, den oberen freie Bahn geben, -- aber auch nicht die Ausschreitungen der
unteren Klassen, soweit sie zu maßloser, vergiftender Leidenschaft, zu Gewaltthätig-
keiten, zur Bedrohung des ganzen öffentlichen Friedenszustandes und der volkswirtschaft-
lichen Blüte der Nation führen, dulden dürfen. Man wird mit allen Mitteln suchen
müssen, an die Stelle roher, mit brutaler Gewalt durchgeführter Kraftproben, an Stelle
von Kämpfen mit zufälligem Ergebnis billig vernünftige Entscheidungen von Schieds-
gerichten oder Behörden zu setzen. Man wird sich stets erinnern, daß nur ein gewisses
Maß des Streites und Kampfes die Energie und Thatkraft fördert, ein weiteres diese
Eigenschaften auch lähmen kann. Schutzmaßregeln, Erziehung, Wettkämpfe beschränkter
Art können für viele Kreise richtiger sein, auch die Energie mehr fördern als überharte,
erschöpfende und tötende Kämpfe. In jeder civilisierten Gesellschaft findet eine fort-
währende Ethisierung aller Kämpfe statt. Selbst die kriegführenden Truppen unterwerfen
sich den Satzungen des Völkerrechts.

Der Kampf hört damit nicht auf und er soll nicht aufhören. Jedes Individuum
und jede Gruppe will sich behaupten, will leben, sich ausdehnen, an Macht zunehmen.

5*

Alle Geſellſchaft ein Kompromiß zwiſchen Frieden und Streit.
Erklärung der Bevölkerungserſcheinungen benutzt und aus Erſcheinungen, in denen ſein
deutſcher Vorgänger Süßmilch eine göttliche Ordnung ſah, Fauſtkämpfe gemacht, die
mit Recht den Armen, deſſen Arbeit die Geſellſchaft nicht bedürfe, wieder durch Hunger
und Krankheit entfernen. Die Socialiſten haben nur die Kämpfe der ſocialen Klaſſen
geſehen, das Recht der Schwachen auf Organiſation in Anſpruch genommen, um den
Mächtigen und den Ariſtokraten entgegen zu treten, während ſie in ähnlichem Optimismus
wie A. Smith die Kämpfe der Völker nicht kannten oder als bloßes Unrecht verurteilten.
Ihre ariſtokratiſchen Gegner und die Anwälte des Kapitals, die Reichen, die Starken
haben ebenſo einſeitig das Herrenrecht dieſer Kreiſe gepredigt und in jeder Armenunter-
ſtützung, jeder Arbeiterverſicherung, jedem Kampfe gegen Arbeitsloſigkeit eine falſche Er-
haltung der geringeren und ſchlechteren Elemente geſehen, nicht einmal eingedenk des
Darwinſchen Wortes, daß die heutigen Sieger im Kampf ums Geld keineswegs ſtets
die Beſten und die Tüchtigſten ſeien.

Wir ſehen, wie wechſelvoll der Kampfgedanke verwertet wurde, wie wenig Sicheres
dabei bisher herauskam, weil man ein Schlagwort ohne nähere Prüfung der konkreten
Verhältniſſe, Menſchen, Inſtitutionen und der Folgen des Kampfes im einzelnen an-
wandte. Wir kommen auf dieſe ſpeciellen Verhältniſſe unten. Hier iſt nur zu ſagen:
im internationalen Handelskampfe, im individuellen Kampfe auf dem Markte um den
Preis und den Abſatz, im ſocialen Kampfe der Klaſſen handelt es ſich um große pſycho-
logiſche, geſellſchaftliche und wirtſchaftliche Prozeſſe, wobei ſtets zugleich Gruppen zu
friedlichem Zuſammenwirken durch bindende Ordnungen des Rechtes, der Sitte und der
Moral zuſammen zu faſſen ſind, wobei dem egoiſtiſchen Intereſſe der einzelnen und der
Gruppen ein gewiſſer Spielraum zu gönnen, aber zugleich eine Grenze zu ſetzen iſt.
Teilweiſe reguliert der Egoismus ſich ſelbſt und hält durch Druck und Gegendruck den
Mißbrauch ab; ebenſo oft aber muß er gebändigt werden.

Man hat Sitte, Moral und Recht Streitordnungen genannt; das iſt bis
auf einen gewiſſen Grad richtig, nur muß man hinzufügen, daß die immer feinere
und gerechtere Ausbildung der Streitordnungen eine Hauptaufgabe der höheren ſittlichen
Kultur ſei, und daß der letzte Zweck der Streiteinengung nicht bloß die Schaffung des
Friedens, ſondern die immer größerer, harmoniſierter, komplizierterer und wirkungsvollerer
Kollektivkräfte ſei. Concordia parvae res crescunt. Je höher unſere ſittliche und ſtaat-
liche Entwickelung geht, deſto mehr müſſen auch die Leute mit ſtarker Fauſt und großem
Geldbeutel, mit verſchlagener Pfiffigkeit ſich den ſittlichen Lebensordnungen fügen, deſto
weniger werden brutale Vergewaltigungen, Ausbeutungen, harte Herrſchaftsverhältniſſe
mehr zugelaſſen. Mehr und mehr läßt man nur beſtimmte Arten des Sieges zu, den
Sieg der größeren Intelligenz und Fähigkeit, der ſich im Konkurrenzkampf vor der
Öffentlichkeit, im Kampf um die Ämter vor der Prüfungsbehörde ausgewieſen hat.
Man muß ſuchen die Siege der Klugen zugleich zu Siegen der Edlen und Guten zu
machen. Man wird im Kampfe der ſocialen Klaſſen nicht den unteren Handſchellen
anlegen, den oberen freie Bahn geben, — aber auch nicht die Ausſchreitungen der
unteren Klaſſen, ſoweit ſie zu maßloſer, vergiftender Leidenſchaft, zu Gewaltthätig-
keiten, zur Bedrohung des ganzen öffentlichen Friedenszuſtandes und der volkswirtſchaft-
lichen Blüte der Nation führen, dulden dürfen. Man wird mit allen Mitteln ſuchen
müſſen, an die Stelle roher, mit brutaler Gewalt durchgeführter Kraftproben, an Stelle
von Kämpfen mit zufälligem Ergebnis billig vernünftige Entſcheidungen von Schieds-
gerichten oder Behörden zu ſetzen. Man wird ſich ſtets erinnern, daß nur ein gewiſſes
Maß des Streites und Kampfes die Energie und Thatkraft fördert, ein weiteres dieſe
Eigenſchaften auch lähmen kann. Schutzmaßregeln, Erziehung, Wettkämpfe beſchränkter
Art können für viele Kreiſe richtiger ſein, auch die Energie mehr fördern als überharte,
erſchöpfende und tötende Kämpfe. In jeder civiliſierten Geſellſchaft findet eine fort-
währende Ethiſierung aller Kämpfe ſtatt. Selbſt die kriegführenden Truppen unterwerfen
ſich den Satzungen des Völkerrechts.

Der Kampf hört damit nicht auf und er ſoll nicht aufhören. Jedes Individuum
und jede Gruppe will ſich behaupten, will leben, ſich ausdehnen, an Macht zunehmen.

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[67/0083] Alle Geſellſchaft ein Kompromiß zwiſchen Frieden und Streit. Erklärung der Bevölkerungserſcheinungen benutzt und aus Erſcheinungen, in denen ſein deutſcher Vorgänger Süßmilch eine göttliche Ordnung ſah, Fauſtkämpfe gemacht, die mit Recht den Armen, deſſen Arbeit die Geſellſchaft nicht bedürfe, wieder durch Hunger und Krankheit entfernen. Die Socialiſten haben nur die Kämpfe der ſocialen Klaſſen geſehen, das Recht der Schwachen auf Organiſation in Anſpruch genommen, um den Mächtigen und den Ariſtokraten entgegen zu treten, während ſie in ähnlichem Optimismus wie A. Smith die Kämpfe der Völker nicht kannten oder als bloßes Unrecht verurteilten. Ihre ariſtokratiſchen Gegner und die Anwälte des Kapitals, die Reichen, die Starken haben ebenſo einſeitig das Herrenrecht dieſer Kreiſe gepredigt und in jeder Armenunter- ſtützung, jeder Arbeiterverſicherung, jedem Kampfe gegen Arbeitsloſigkeit eine falſche Er- haltung der geringeren und ſchlechteren Elemente geſehen, nicht einmal eingedenk des Darwinſchen Wortes, daß die heutigen Sieger im Kampf ums Geld keineswegs ſtets die Beſten und die Tüchtigſten ſeien. Wir ſehen, wie wechſelvoll der Kampfgedanke verwertet wurde, wie wenig Sicheres dabei bisher herauskam, weil man ein Schlagwort ohne nähere Prüfung der konkreten Verhältniſſe, Menſchen, Inſtitutionen und der Folgen des Kampfes im einzelnen an- wandte. Wir kommen auf dieſe ſpeciellen Verhältniſſe unten. Hier iſt nur zu ſagen: im internationalen Handelskampfe, im individuellen Kampfe auf dem Markte um den Preis und den Abſatz, im ſocialen Kampfe der Klaſſen handelt es ſich um große pſycho- logiſche, geſellſchaftliche und wirtſchaftliche Prozeſſe, wobei ſtets zugleich Gruppen zu friedlichem Zuſammenwirken durch bindende Ordnungen des Rechtes, der Sitte und der Moral zuſammen zu faſſen ſind, wobei dem egoiſtiſchen Intereſſe der einzelnen und der Gruppen ein gewiſſer Spielraum zu gönnen, aber zugleich eine Grenze zu ſetzen iſt. Teilweiſe reguliert der Egoismus ſich ſelbſt und hält durch Druck und Gegendruck den Mißbrauch ab; ebenſo oft aber muß er gebändigt werden. Man hat Sitte, Moral und Recht Streitordnungen genannt; das iſt bis auf einen gewiſſen Grad richtig, nur muß man hinzufügen, daß die immer feinere und gerechtere Ausbildung der Streitordnungen eine Hauptaufgabe der höheren ſittlichen Kultur ſei, und daß der letzte Zweck der Streiteinengung nicht bloß die Schaffung des Friedens, ſondern die immer größerer, harmoniſierter, komplizierterer und wirkungsvollerer Kollektivkräfte ſei. Concordia parvae res crescunt. Je höher unſere ſittliche und ſtaat- liche Entwickelung geht, deſto mehr müſſen auch die Leute mit ſtarker Fauſt und großem Geldbeutel, mit verſchlagener Pfiffigkeit ſich den ſittlichen Lebensordnungen fügen, deſto weniger werden brutale Vergewaltigungen, Ausbeutungen, harte Herrſchaftsverhältniſſe mehr zugelaſſen. Mehr und mehr läßt man nur beſtimmte Arten des Sieges zu, den Sieg der größeren Intelligenz und Fähigkeit, der ſich im Konkurrenzkampf vor der Öffentlichkeit, im Kampf um die Ämter vor der Prüfungsbehörde ausgewieſen hat. Man muß ſuchen die Siege der Klugen zugleich zu Siegen der Edlen und Guten zu machen. Man wird im Kampfe der ſocialen Klaſſen nicht den unteren Handſchellen anlegen, den oberen freie Bahn geben, — aber auch nicht die Ausſchreitungen der unteren Klaſſen, ſoweit ſie zu maßloſer, vergiftender Leidenſchaft, zu Gewaltthätig- keiten, zur Bedrohung des ganzen öffentlichen Friedenszuſtandes und der volkswirtſchaft- lichen Blüte der Nation führen, dulden dürfen. Man wird mit allen Mitteln ſuchen müſſen, an die Stelle roher, mit brutaler Gewalt durchgeführter Kraftproben, an Stelle von Kämpfen mit zufälligem Ergebnis billig vernünftige Entſcheidungen von Schieds- gerichten oder Behörden zu ſetzen. Man wird ſich ſtets erinnern, daß nur ein gewiſſes Maß des Streites und Kampfes die Energie und Thatkraft fördert, ein weiteres dieſe Eigenſchaften auch lähmen kann. Schutzmaßregeln, Erziehung, Wettkämpfe beſchränkter Art können für viele Kreiſe richtiger ſein, auch die Energie mehr fördern als überharte, erſchöpfende und tötende Kämpfe. In jeder civiliſierten Geſellſchaft findet eine fort- währende Ethiſierung aller Kämpfe ſtatt. Selbſt die kriegführenden Truppen unterwerfen ſich den Satzungen des Völkerrechts. Der Kampf hört damit nicht auf und er ſoll nicht aufhören. Jedes Individuum und jede Gruppe will ſich behaupten, will leben, ſich ausdehnen, an Macht zunehmen. 5*

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/83>, abgerufen am 21.11.2024.